„Im Markt der Pure Player wird es aufgrund extrem niedriger Margen zur Konsolidierung und zum Shake out kommen. 90 % der heute am Markt aktiven Pure Player werden nicht überleben.“ So lautete im Juni 2014 eine These von ECC Köln und Mücke, Sturm & Company. Schuld sei eine viel zu hohe Dichte an Konkurrenz. Ohne Kanalexcellenz und klaren USP sei ein Überleben schwierig.
Zugegeben, die These, dass neun von zehn der Online-Händler pleite gehen würden, habe ich nie für bare Münze genommen. Viel wichtiger fand ich die dahinterliegende Kernaussage, dass reine Kistenschieber, die nur Ware einkaufen und verkaufen, so gut wie keine Überlebenschance haben. Aber das war schon lange klar und auch bereits in den Jahren vor 2014 von uns und anderen proklamiert. Von dem her fand ich diese gewagt anmutende Aussage auch gut. Quasi als weiteren Warnschuss vor den Bug der Online-Händler, sich endlich zu positionieren und zu professionalisieren.
Die Weltuntergangspropheten des E-Commerce
Weniger gut fand ich, was sich daraus entwickelte. Klar wurde diese These, gekürzt auf die Bild-Schlagzeile „90% der Online-Händler werden sterben“, in der Folge gerne und oft von der Fachpresse zitiert.
Und klar wurde sie in genügend PowerPoint-Folien, Blogbeiträgen und Unternehmens- bzw. Leistungsbeschreibungen gerne wiederholt. Manchmal ganz so, wie in früheren Zeiten die Weltuntergangspropheten durchs Land zogen, um ihre Botschaft zu verkünden. Wobei – oh großer Zufall und welch ein Glück – Rettung oder zumindest Erlösung mit Hilfe dieser Propheten immer noch möglich war.
Die Hutschnur platzte mir jedoch erst kürzlich, als ich in irgendeiner Fachzeitschrift über irgendjemanden las, dass er überzeugt sei, in den nächsten Jahren würden 90% aller Online-Händler sterben. Wahrscheinlich setzte er sogar das Wort „mindestens“ vor die Zahl. Also eher zehn von zehn. Oder sogar noch mehr.
Jetzt mal ganz ehrlich – wenn der ECC diese These aufstellt, ist das eine Sache. Wenn andere – aus welchen Gründen auch immer – auf diese These verweisen, ist das auch eine Sache. Wenn jetzt aber Lolek und Bolek, Hinz und Kunz dies als ihre Weisheit verkaufen, wird es für mein Empfinden gefährlich. Denn dann scheint dieses spekulative, mögliche Szenario wieder einmal zur unumstößlichen Wahrheit zu werden. Genauso wie die angebliche uneinholbare Übermacht Amazons. Doch darüber habe ich mich ja bereits an anderer Stelle ausgelassen.
Juckt mich!
Mein bald 13-jähriger Sohn würde jetzt sagen: „Juckt mich nicht“. Aber ihn juckt ja, altersbedingt, überhaupt und generell gerade (angeblich) vieles nicht. Mich hingegen juckt es schon. Vor allem immer mehr das dumpfe, weil völlig ungeprüfte, Nachplappern, dass in Zukunft in den meisten Branchen nur noch Platz für zwei große Player sei, im Zweifelsfall für Amazon + 1. Zudem würden nur noch kleinere Nischenanbieter ihren Platz finden.
Das juckt mich auch deswegen, da sich Online-Händler von der Aussicht, nur jeder Zehnte habe eine Zukunftschance, anscheinend tatsächlich beeinflussen lassen. Zumindest bestätigten mir etablierte Händler, dass sich manch Branchenkollegen seitdem fragen, ob sie gleich aufgeben oder die wenige Zeit bis zum sicheren und scheinbar unvermeidlichen Exitus noch durchhalten sollen.
Ich gehe durchaus davon aus, dass so manch Online-Händler noch die Segel streichen wird. Ich denke auch, dass es mehr als früher sein werden bzw. eine überfällige Konsolidierung bereits im Gange ist. Diese dürfte jedoch vor allem kleine und kleinste Händler betreffen. Oder etwas vereinfacht ausgedrückt: Die Nebenerwerbs-Shops mit wenigen zehntausend Euro Umsatz funktionieren nicht mehr. Diese haben sich aber in Wirklichkeit noch nie gelohnt. (Nachtrag: Auch hier wurde ich zwischenzeitlich schon eines besseren belehrt. Man sollte eben nie „nie“ sagen. Andererseits bestätigen Ausnahmen ja auch die Regel.)
Ich habe aber, ehrlich gesagt, wieder einmal keine Ahnung, wie viele Online-Händler es am Ende treffen wird. Ich glaube aber definitiv nicht, dass wir von einer großen Marktbereinigung sprechen werden. Und dass wir von den 90% sehr, sehr, sehr weit weg sind und auch bleiben werden. Aber wissen tue ich es nicht. Doch wie schon mal in einem anderen Artikel erwähnt habe: Die gute Nachricht ist, dass es andere auch nicht wissen können. [Weiterlesen…] about Einspruch: Die große Marktbereinigung juckt mich nicht