Die jungen Wilden in der E-Commerce-Branche schwärmen ja davon, wie smart und clever es doch sei, ausschließlich über Amazon zu verkaufen. Mag auf den ersten Blick so scheinen, nur ist es selten clever. Lassen sie doch so mitunter eine Menge Geld liegen. Und das war noch nie besonders smart.
Aber wo ist der Denkfehler? – aufgewachsen mit Amazon, haben sie auch nur Amazon kennengelernt. Zugegeben, nirgends kann man schneller skalieren als auf dem Marktplatz der unbegrenzten Möglichkeiten. Nirgends wird einem mehr abgenommen, von der Logistik, dem Kundenservice, dem Payment über den einfachen Werbemöglichkeiten. Und nirgends ist es einfacher zu internationalisieren.
Ein Onlineshop bedeutet dagegen erstmal den mühsamen Gang durch das Tal der Tränen. Alleine schon die Auswahl des richtigen Shopsystems ist eine Qual. Hinzu kommt, dass man sich in den verschiedensten Disziplinen wie Usability, Online-Marketing, Recht oder Payment einarbeiten und dann Entscheidungen treffen muss. Zu Dingen über die man eigentlich viel zu wenig weiß.
Dies ist tatsächlich der Hauptgrund, warum ich grundsätzlich (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel) jedem Neueinsteiger ins E-Commerce rate, seine Produkte zuerst auf Amazon zu verkaufen. Es ist wohl tatsächlich nirgends einfacher und günstiger die ersten Schritte als Onlinehändler zu machen. Und Amazon lehrt einem dann auch recht schnell, worauf man tunlichst achten sollte bzw. nicht tun sollte. Nämlich die Sache leger anzugehen. Auf Amazon lernt man E-Commerce recht schnell, wenn man weiterkommen möchte. Oder gibt schnell wieder auf.
Disclaimer: Wie mich ein aufmerksamer Leser hinwies, könnte mein letzter Absatz missverstanden werden. Ich meine damit nicht, dass man mit Amazon das Handwerk des E-Commerce erlernen kann. Aber man lernt worauf es ankommt: 100% Kundenzentrierung.
Aber wann macht ein Onlineshop Sinn und andersrum gefragt, wann macht er keinen Sinn mehr?
Über diese Frage ließe sich stundenlang und ausführlich referieren, aber da wir ja alle keine Zeit haben, nur ganz kurz und auch verkürzt: Für Amazon Pure-Händler macht es Sinn, wenn sie Amazon professionell im Griff haben, wachsen wollen und die notwendige Zeit und Ressourcen haben. Es kann auch Sinn machen, wenn sie es leid sind gegen die Konkurrenz der nächsten Private Label-Anbieter (die sie ja selbst einmal waren) und „Chinesen-Händler“ (die oft genug mit äußerst unfairen Mitteln arbeiten) anzukämpfen.
Ein eigener Onlineshop, macht vor allem für den Sinn, der eine Marke aufbauen konnte und/oder wiederkehrende Käufer hat. Meist in Verbindung mit Verbrauchsgütern. Denn merke:
Richtig gemacht, werden Stammkunden im eigenen Shop immer günstiger sein, als über Amazon! Da hilft auch Amazons Sparabo-Modell nichts. Wer etwas Anderes erzählt, hat keine Ahnung von E-Commerce. Und weiss auch nicht, dass Amazon immer noch, nur ein Teil vom Onlinehandel ist und nicht andersrum.
Aber andersrum geht ja auch. Es gibt genügend Händler die ihren Onlineshop besser zusperren und Amazon Pure-Händler werden sollten. Beispielsweise wer vier oder mehr der sieben Fragen mit Ja beantworten muss:
- Hast Du ein großes Sortiment (mehr als 1.000 Artikel) mit hohem Lagerbestand, aber die Hälfte der Produkte hat sich in den letzten 12 Monaten nicht verkauft? –mach Dir hier nichts vor. Das ist, wie bei allen anderen Händlern, auch bei Dir so. Du weißt es nur nicht.
- Machst Du mehr als 80% Deines Umsatzes mit weniger als 5% Deiner Produkte? Auch hier solltest Du Dir nichts vormachen. Das ist auch bei Dir so. Du weißt es nur nicht.
- Hast Du im Onlineshop weniger als 20% Stammkunden? Und sag jetzt ja nicht, Du wüsstest das gerade nicht. Wer seine wichtigsten Kennzahlen nicht kennt, hat es nicht verdient ein Händler zu sein. Die Stammkundenquote gehört da für einen Onlineshop-Betreiber definitiv dazu.
- Verkaufst Du Produkte die man sich nur alle paar Jahre anschafft und nicht regelmäßig?
- Dein Umsatz ist in den letzten beiden Jahren hintereinander gesunken, statt zu wachsen?
- Du verdienst mit Deinem Onlineshop kein Geld oder es bleiben nach Abzug eines fairen Unternehmerlohns (was würde ein Mitarbeiter kosten, der Deinen Job macht, während Du am Strand liegst?) seit 3 Jahren weniger als 5% vom Umsatz übrig?
Übrigens: Wenn Du schon drei Jahre lang hintereinander rote Zahlen schreibst, genügt bei Dir eine mit Ja beantwortete Frage. Außer, Du hast Investoren an Bord. Dann achte nur darauf, dass Du möglichst viel Wind machst und jedem erzählst wie toll es bei Dir läuft. - Jokerfrage: Bist Du unglücklich damit, was Du gerade machst?
Wenn Du die letzte Frage mit Ja beantwortet hast, ist es völlig egal, wie viele der anderen Fragen Du mit Nein beantwortet hast. Wenn Du die letzte Frage aber mit Nein beantwortet und es Dir leisten kannst, ist es völlig egal, wie viele der anderen Fragen Du mit Ja beantwortet hast.
Bildquelle: TeleMakro Fotografie, koolonko @ bigstock
Uwe Hamann meint
Hallo Peter,
die Aussage, dass man seinen Shop zumachen sollte, wenn man 4 Fragen mit Ja beantworten kann, ist so nicht pauschal richtig.
Beispiel zur 1. Frage.
Ja, wer 50% seines Sortimentes in 6 Monaten nicht verkauft, ist nicht glücklich aber nehmen wir einmal das Thema Saison-Ware für Sommer oder Winter oder Weihnachten, Valentinstag, Fasching, Halloween etc., der verkauft in 6-10 Monaten bestimmte Produkte nicht aber in der Saison 30-90% der Saison-Ware gegenüber dem Rest des Jahres.
Oder ein 2. Fall. Man verkauft von mir aus 50% der Ware nicht aber dafür einen anderen Teil der Ware so gewinnbringend, dass es einem egal ist, ob man die 50% nicht verkauft, weil die anderen 50% oder von mir aus nur 10% so viel Marge produzieren, dass man den Shop sehr gewinnbringend betreiben kann.
Oder man hat einen Teil der Ware nur aus strategischen Gründen um z.B. ein Thema ganzheitlich zu füllen um bei Google organisch gut zu ranken.
Ähnlich sieht es bei der 2. Frage aus. Ja viele machen mit 5-10% des Sortimentes einen Großteil der Marge. Das ist halt so und aus meiner Sicht nicht schlimm. Es ist die Frage, wie gut man den Rest organisiert. Kapitalbindung, organische kostenlose Umsätze, Adwords-Umsätze je Produkt etc. Auch hier kann man sehr gewinnbringend arbeiten.
Das Thema Markenbildung, Remarketing, Affiliates, E-Mail-Marketing, Affiliate Marketing, B2B, etc. noch nicht einmal betrachtet.
Fazit: Pauschal würde ich die Aussage verneinen. Im Grunde kann man sagen, dass etwas dran ist aber wer seine Daten im Griff hat, kann auch mit 5 Ja Antworten seinen Shop online lassen.
Viele Grüße
Uwe Hamann
Peter Höschl meint
Doch, gerade pauschal ist meine Aussage richtig, Nur im Einzelfall halt ggf. natürlich nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dein Beispiel Saisonware greift nicht, da ich ja von den letzten 12 Monaten und nicht 6 Monaten, wie Du, spreche.
Ja, klar, kann es aus strategischen Gründen Sinn machen Produkte ohne Marge im Sortiment zu haben. Wenn die sich aber in 12 Monaten kein einziges Mal verkaufen, würde ich pauschal am Nutzen-/Aufwandsverhältnis zweifeln. Zumindest wenn es sich um eine Vielzahl an Produkten, signifikanten Anteil am Sortiment handelt. Wenn es nur ein paar Produkte mit niedrigem Lagerbestand sind, interessiert es nicht.
Wem es egal ist, dass er 50% seines Lagers nie verkauft, muss die Frage 7 mit Ja beantworten. Und dann ist ja eh alles egal, wenn er sich den Spass leisten kann. Hatte ich auch geschrieben.
BTW: Jeder macht mit nur 5-10% seines Sortiments mind. 80% des Umsatzes. Das ist völlig normal. Aber auch das hatte ich geschrieben. Kritisch ist erfahrungsmäßig nur wenn Händler hohe Lagerbestände mit unverkäuflicher Ware habe. Dann fehlt die Liquidität um neue Ware einzukaufen etc..
Aber nochmal: Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Die aufgestellte Regel ist aber per se bzw. pauschal richtig.
Uwe Hamann meint
Stimmt. 🙂 Ich hatte den falschen Zeitraum betrachtet.