Haben Sie auch schon eine virtuelle Freundin im Wohnzimmer? Eine, die ganz genau weiß, wie das Wetter wird, wie lang der Weg zur Arbeit durch den Stau dauert – und die auf Zuruf nicht nur Musik abspielt, sondern auch Bestellungen aufgibt? Die Rede ist natürlich von Alexa, von Google Home oder vom Apple Home Pod. Bis zum Ende des Jahres werden 56,3 Millionen intelligente Sprach-Helfer weltweit über den Ladentisch gegangen sein. Über die Hälfte von ihnen werden wohl Amazon-Geräte sein. Was bedeutet dieser rasante Aufstieg von Voice Commerce für den Handel?
Der Aufstieg der Sprachassistenten ist umso beeindruckender, wenn man ihn mit dem Marktstart der letzten großen technischen Revolution vergleicht: Das erste iPhone von Apple verkaufte sich in den ersten zwei Jahren nach seiner Einführung 14,8 Millionen Mal. Amazon hat in den knapp 19 Monaten seit dem Launch des intelligenten Lautsprechers bis zum dritten Quartal 2017 bereits 20 Millionen Echo-Devices verkauft.
Bei der Veröffentlichung der letzten Quartalszahlen, als Amazon mit einer Verzwölffachung des Gewinns beeindruckte, rückte Jeff Bezos zwar nicht mit neuen Verkaufszahlen zu Alexa-Geräten heraus, machte aber klar: „We want customers to be able to use Alexa wherever they are.“
Alexa soll eben nicht nur in den Echo-Lautsprechern wohnen, sondern auch auf PCs, auf Fernsehern, in Autos und in sämtlichen Smart Home-Produkten.
Was aber passiert, wenn die stolzen Besitzer einer Alexa die hilfreiche Dame nicht nur zur Terminerinnerung oder für den Wettbericht nutzen – sondern als Einkaufshelfer? Das hat kürzlich eine Studie der Unternehmensberatung OC&C gezeigt: 85 Prozent der Alexa-Nutzer kauften das Produkt, das der Sprachassistent ihnen vorgeschlagen hat. Wie das aussieht, hat der Ex-Amazonian Adrian Jaroszynski in einem Blogbeitrag zusammengefasst:
„Lassen Sie es mich am folgenden Beispiel zeigen: „Alexa, bestell ein 10er-Pack Tempos“ gegenüber „Alexa, bestell ein 10er-Pack Taschentücher“. Im ersten Beispiel ist klar, was man bekommt. Im zweiten wird es wahrscheinlich ein Artikel von Amazon Basics sein, oder ein anderer, an dem Amazon gut verdient oder zufälligerweise zum Zeitpunkt des Kaufes das Amazon Choice Badge zu „Taschentücher“ trägt.“
Kein Wunder, dass Wettbewerbshüter schon in den Startlöchern mit den Hufen scharren und die Offenlegung der Algorithmen hinter der Auswahl zur Amazon’s Choice fordern. Denn was, wenn Amazon für seine Amazon’s Choice-Auswahl grundsätzlich seine Eigenmarken bevorzugt?
„Grundsätzlich ist Alexa-Shopping im Moment das Sahnehäupchen für die Bestseller und Amazon`s Choice-Tags und stärkt die Gewinner noch weiter“, meint Klaus Forsthofer von der Markplatzberatung Marktplatz1. „Es ist schwierig zu prognostizieren welchen Ansatz Amazon hier verfolgt. Konsequenterweise sollte Amazon Lösungen finden um die Vielfalt gut abzubilden. Ich denke der Findungsprozess ist hier noch nicht abgeschlossen.“
Klaus ist allerdings auch der Meinung, dass die Konzentration der Diskussion auf die wettbewerbsrechtlichen Dimensionen von Alexa grundsätzlich zu kurz greift.
„Es handelt sich um einen Kommunikationskanal von Botsystemen. Und Botsysteme werden den E-Commerce grundsätzlich stark verändern. Diese Bots werden wir in Zukunft nach Wahl via Sprache oder Chat steuern können. Die Bots werden aber auch an allen anderen Touchpoints wie zB Whats App, Facebook Messenger, Telefon, SMS, Websitechat etc. Einzug halten.“ Letztlich ist eben auch Alexa „nur“ ein Bot.
Und Sprach-Bots sind heute schon in vielen Bereichen aktiv – vor allem jüngere Kunden haben aufgrund ihres persönlichen Umgangs mit Sprachnachrichten wenig Berührungsängste, ihre Tischreservierung fürs Restaurant oder ihre Standard-Versicherungsanfrage einem Roboter anzuvertrauen. Dieser neuen Sprachwelt sollten sich Händler nicht verschließen, meint Klaus:
„Ein Beispiel einer Chance: Mit einem guten Botsystem kann ich die Kundenberatung 24h/7 Tage die Woche und das mit automatischer Übersetzung in 6 Sprachen anbieten. Kurzum, ich kann auch als kleines Unternehmen Beratung internationalisieren. Die Echtzeit-Übersetzungsprodukte stehen kurz vor dem Durchbruch zur Perfektion. Es gibt derzeit mehrere Unternehmen, die an solcher Botinfrastruktur für Handel und Dienstleistung arbeiten. Wir glauben, dass es ab 2019 gut praktikable Botsoftware geben wird und die Preise dafür noch stark sinken werden.“
Klar ist: Voice Commerce wird kommen (eigentlich ist es fast schon da) – und der Handel muss sich darauf vorbereiten. Sonst gibt es wieder nur einen Gewinner – und der heißt Amazon.
Bildquell: Andrey Suslov @ bigstockphoto
Wiechert meint
Bitte korrigiere mich – aber nach allen Umfragen / Studien nutzen Alexa-Nutzer das Ding eben nicht zum bestellen und 90 Prozent die dies ausprobieren tun dies danach nie wieder. Oder?
Peter Höschl meint
Ja, das ist auch mein Wissensstand. geht aus dem Artikel leider nicht hervor. Danke für den Hinweis!
Dennoch wird Voice Commerce m.E. auf Dauer den Markt verändern, weil es unserem steigendem Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Zeitersparnis entgegenkommt. Auch wenn Alexa in der jetzigen Form noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
Mirko meint
Im Artikel steht man soll ich vorbereiten.
Gibt es dazu auch konkrete Anweisungen, was genau man machen kann?
Peter Höschl meint
Stand heute, bedeutet dies m.E. vor allem die Entwicklung (Technisch, Kundenakzeptanz) weiter zu verfolgen. Und dann prüfen, ob der Einsatz für sein eigenes Unternehmen Sinn macht. Als Händler würde ich mir da auf jeden Fall das Thema Sprachbots anschauen / beobachten.