Der US-amerikanische Berater Chris Rawlings hat im Internetworld-Podcast „Touch Point“ Amazon-Händler zu mehr Kreativität aufgerufen – nicht nur beim Besetzen ihrer Nische oder bei der Gestaltung ihrer Produktdetailseiten, sondern auch im Umgang mit den Amazon-Richtlinien. 80 Prozent der Händler bewegten sich sowieso im Graubereich, so der Berater – denn nur so könne man sich von der Konkurrenz absetzen. Was ist von dieser Aussage für den deutschen Markt zu halten?
Im noch recht jungen Podcast-Format der Internetworld kam kürzlich ein interessanter Kopf zu Wort: Der US-amerikanische Amazon-Berater Chris Rawlings begleitet mit seiner Consulting-Firma „Sophie Society“ Marken beim Einstieg auf Amazon. Seinen Beratungsansatz bezeichnet er als zahlengetrieben – klar, dass ich da genauer hingehört habe. Und, keine Frage: Der junge Mann kann reden – und versteht was vom Geschäft. 2015 hat er mit einer Eigenmarke und einem typischen Amazon-Garagen-Business mehrere Millionen verdient, sagt er. Mittlerweile hat er mit Sophie Society mehrere tausend Produkt-Launches auf beiden Seiten des großen Teichs begleitet. Die Marken, die sein Unternehmen betreibt, fungierten dabei gleichzeitig als „Versuchskaninchen“, an denen die Wirksamkeit von Hypothesen rund um den Erfolg auf Amazon am lebenden Objekt ausprobiert würden. Schauen wir uns doch deshalb seine Thesen einmal genauer an – in welchen Punkten hat der US-Experte auch aus deutscher Sicht recht?
These 1: Das Business ist härter geworden
Rawlings Hauptaussage auf Basis seiner Erfahrungen lautet: Das Geschäft auf Amazon hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Zwar sei es immer noch möglich, mit einem klassischen Garagenbusiness viel Geld auf dem Marktplatz zu verdienen, aber dann müsse sich der Händler seine Nische sehr genau aussuchen:
„Das Gute an Amazon heute ist, dass der Marktplatz so riesig geworden ist, dass sich auch in Sub-Sub-Sub-Kategorien Nischen finden, in denen sich ein erfolgreiches Business gründen lässt. Jemand, der vor fünf Jahren Fat-Loose-Produkts verkauft hat, hat damals das gleiche verdient wie jemand der heute organische, vegetarische Fat-Loose-Produkte für Hunde anbietet. Vor fünf Jahren hätte es dafür keinen ausreichend großen Markt gegeben. Man muss also sehr kreativ bei der der Suche nach der eigenen Nische sein und diese Nische dann mit dem perfekten Produkt und dem perfekten Branding besetzen.“
Keine Frage, der Wettbewerb ist auch auf Amazon.de in den letzten Jahren deutlich härter geworden – nicht nur, aber auch wegen der vielen chinesischen Händler, die einstige Nischen mit Billigprodukten besetzen. Gleichzeitig war es aber auch nie leichter als heute, erfolgreich eine eigene Marke aufzubauen. Wer sein Geschäft sein Unternehmen professionell und kennzahlenbasiert aufbaut, kann heute genauso wie früher erfolgreich sein. Aus meiner Erfahrung setzt sich Qualität am Ende immer durch – auch auf dem Amazon-Marktplatz.
These 2: Ein bisschen Grey Hat tut nicht weh
Gerade weil der Wettbewerb auf dem Marktplatz immer schärfer wird, rät Rawlings Händlern vor allem eines: kreativ sein. Und nennt direkt ein Beispiel: Seit einiger Zeit wirkt sich seinen Untersuchungen zufolge nicht nur der Kauf eines Produkts, sondern auch dessen Platzierung im Warenkorb (ohne Conversion) positiv auf das Ranking dieses Produkts aus. Schlaue Händler haben bereits einen Weg gefunden, das auszunutzen – indem sie beispielsweise in externen Werbekampagnen, beispielsweise auf Social Media, Nutzer dafür belohnen, dass sie ein bestimmtes Produkt kurz in ihren Amazon-Warenkorb legen. Auf Nachfrage der Moderatorin räumt Rawlings ein: „Das ist ein Graubereich“ – um direkt anzufügen, dass sich letztlich doch 80 Prozent der Händler in diesem Graubereich bewegen würden.
„Eigentlich liegt alles, was das Ranking weiterbringt und einen Händler gegenüber dem anderen absetzt, im Graubereich. Man muss es einfach ausprobieren – bis Amazon entweder Seller dafür bestraft oder den Verstoß eventuell sogar in den erlaubten Bereich verschiebt, wie es im Fall des A+Contents passiert ist.“
Auch wenn ich den grundsätzlichen Gedanken hinter der Empfehlung nachvollziehen kann und auch immer wieder von Händlern höre, dass man ohne Greyhat (mindestens) bei Amazon keine Blumentopf mehr gewinnen könne – die Gesamtaussage halte ich für sehr fragwürdig und grundsätzlich falsch. Ja, Greyhat verspricht schnellen Erfolg – aber wie nachhaltig ist Erfolg, der eine Sperre nach sich ziehen kann? Auf eine Nachfrage nach der Gefahr einer Accountsperre antwortet Rawlings dann auch nur vage: „Die hängt von der Graustufe des Grey Hats ab.“ Da es aber keine verlässliche Farblehre von Amazon über die verschiedenen Schattierungen von „Grau“ gibt, spielen Händler hier, das muss so klar gesagt werden, mit dem Feuer.
Andererseits muss man aber auch klar sagen: An der Intransparenz und Ungerechtigkeit, mit der Amazon mit Bestrafungen verfährt – da werden auf der einen Seite Konten ohne Erklärung gesperrt, während bei anderen auch multiple nachgewiesene Verstöße gegen die Richtlinien nicht zu Sperrungen führen – muss der Konzern dringend arbeiten.
These 3: Amazon wandelt sich vom Such- zum Inspirationsmarktplatz
Angesprochen auf die Amazon-Trends für 2021 und die weiteren Jahre verweist Rawlings auf Entwicklungen, die ich auch hochspannend finde: den neuen Fokus auf inspirative Elemente. So hat Amazon letztes Jahr das Teleshopping-Format Amazon Live gestartet und zum Launch gleich mal Prominente Testimonials wie Lady Gaga verpflichtet. Außerdem könnten Influencer in den USA seit neuestem eigene Produktempfehlungsseiten anlegen. Ein tolles Beispiel dafür ist beispielsweise der Store des US-amerikanischen Blockbuster-Schauspielers Chris Pratt, der dort witzig und unterhaltsam Produkte aus den Sortiment Sport und Outdoor vorstellt. Ein weiteres Beispiel für ein eher inspiratives Element, bei dem es eher darum geht, den Kunden zu unterhalten und zu inspirieren als ihn möglichst schnell zum gesuchten Produkt zu finden, ist auch das Amazon Launchpad – ein Format, mit dem Amazon neue spannende Produkte vorstellt.
„Noch nutzen die Amerikaner Amazon nicht als Inspirationsmarktplatz, aber das ist eine Frage der Zeit. Diese Entwicklung sollte man auf jeden Fall im Auge behalten.“
Damit hat Chris Rawlings sicher recht. Auch ich glaube grundsätzlich an das Teleshopping-Format. Vor allem junge, unbekannte Marken oder neuartige Produkte, die nicht in klassische Suchbegriffe passen und deshalb bislang auf Amazon schlichtweg nicht gesucht werden, könnten durchaus von solchen Formaten profitieren.
Noch ist das allerdings, vor allem in Deutschland, Zukunftsmusik. Hierzulande bleibt Amazon fürs erste vor allem ein Suchmarktplatz – und genau darauf müssen Händler auch weiterhin optimieren. Aber wenn Amazon Live erst einmal nach Deutschland kommt, schlägt auch hier die Stunde für kreative Storyteller.