Sinkende Margen, steigender Wettbewerbsdruck und zunehmende Vergleichbarkeit. Viele Händler kennen diese Probleme. Das beste Beispiel liefert Amazon: Alle Anbieter finden sich auf einer Produktseite wieder. Die Buy Box wird vom Anbieter mit dem besten Angebot gewonnen. In vielen Fällen ist das der Anbieter mit dem günstigsten Preis. Dies führt zu einem hohen Preisdruck. Was kann man tun?
Im folgenden Artikel möchte ich den Weg von Handelsmarken zu Eigenmarken skizzieren und deren Vor- und Nachteile abwägen. Der zweite Teil des Artikels befasst sich mit der Entwicklung vom Produkt zum Service und zeigt Händlern an praktischen Beispielen, wie Sie sich aktiv vom Markt absetzen können.
Der Siegeszug der Eigenmarken (auch Handelsmarke oder White Label genannt) begann Mitte der 80er-Jahre: Die Supermarktketten wollten den niedrigen Preisen der Discounter etwas entgegensetzen. Die Rewe Group entwickelte ›Die Weißen‹. Die Idee: Einfache Produkte ohne aufwendige Werbung. Das Konzept ging auf. Nach der Euro-Einführung 2002 setzte ein Boom der Eigenmarken ein. 1994 betrug ihr Anteil noch 9 % am Verkaufsvolumen. Die Geschichte der Handelsmarken lässt sich hier nachlesen. Heute sind es über 37 % – eine Steigerung von über 300 %.
In durchschnittlichen Supermärkten bestehen rund 40 % des Sortiments aus White Labels. Solche Handelseigenmarken sind im Schnitt 30 % günstiger als bekannte Markenprodukte. Im Discountbereich liegt der Anteil an Eigenmarken bei ca. 60 %. Die genauen Verteilungen kann man im aktuellen GFK-Report einsehen. Eine Machtverschiebung die Handelsunternehmen bereits ausnutzen, wie der aktuelle Streit zwischen Nestlé und Agecore zeigt.
Während die Entwicklung im Food-Retail-Bereich stabil verläuft, nehmen andere Branchen enorm an Fahrt auf. Die Baubranche, Fashion Retail, Technik und inzwischen auch Amazon bauen Ihre Anteile an Eigenmarken massiv aus. Lesara führt nur noch 10% aller Produkte von Markenherstellern. Amazon hat die Eigenmarke Amazon Basic bereits 2009 ins Leben gerufen.
Atlas hat sich die Mühe gemacht, die Entwicklung der Eigenmarken von Amazon zu dokumentieren. Wahrgenommene qualitative Unterschiede zwischen Markenhersteller und Handelsmarke gibt es dabei nicht mehr, wie KPMG im Consumer Barometer von 2016 unterstreicht.
Gute Gründe für die Eigenmarke
Eigenmarken haben für gewöhnlich wesentlich höhere Gewinnmargen, da die globalen Marketingkosten und der Gewinnaufschlag des Markenherstellers entfallen. Ebenso ist der Wettbewerb geringer, weil sich die Markennamen unterschieden. Ein weiterer Vorteil ist, dass man über Eigenmarken eine Positionierung vorantreiben kann, bspw. über Bio- oder allergenfreie Produkte. Ein großer Vorteil ist die flexible Handhabung der Eigenmarken. Markenprodukte haben oft enge Vorgaben hinsichtlich der Preisstruktur. Durch die volle Kontrolle über die Preise können Händler potentere Lockangebote machen.
Jedoch sind Eigenmarken nicht unproblematisch. Händler müssen mit hohen Mindestbestellungen leben und das kann schnell zu hohen Sunk Costs führen, wenn die Produkte Ladenhüter sind. Ebenso müssen eigene Werbekosten eingerechnet werden. Diese können unter Umständen schnell verpuffen, da Händler nicht ubiquitär aufgestellt sind. Um diese Kosten zu reduzieren kann man Eigenmarken prominent neben vergleichbaren Marken positionieren.
Das führt aber häufig zu politischen Problemen mit Markenherstellern, weil die schrittweise vom bisherigen Partner des Herstellers zum Mitwettbewerber werden. Ein hohes Risiko steckt in der Verbindung zwischen Handelsmarke und Händler. Negatives Image schlägt sich dann auf die gesamte Organisation nieder, vor allem, wenn der Handelsname im Organisationsnamen enthalten ist. Der Pferdefleischskandal ist hierfür ein prominentes Beispiel.
Was man beim Start von Eigenmarken beachten sollte, lässt sich in einem älteren Artikel auf shopanbieter.de finden. Ebenso auch ein Ansatz für das Austesten der Eigenmarke in einem Inkubator. Darüber hinaus sollte man sich viele Gedanken um die richtige Positionierungsstrategie der Eigenmarke machen. Dies hilft Risiken einzudämmen und Verärgerung bei Lieferanten zu reduzieren. Preisdifferenzierung ist hierfür ein markantes Beispiel.
Die Grenzen zwischen Eigenmarken und Markenherstellern verschwimmen jedoch zusehends. Das sorgt nicht nur für einen schwindenden Wettbewerbsvorteil, sondern auch für einen immer härter werdenden Preiskampf. Über Preisvergleichsportale im Internet lässt sich mittlerweile in wenigen Sekunden herausfinden, wo es ein Produkt am günstigsten gibt – die Loyalität der Kunden zu einem Anbieter nimmt stark ab und die Margen werden tendenziell geringer.
Hauptursache für diese Entwicklung und die damit perspektiv schwindenden Vorteile der Eigenmarken ist deren funktionale Substituierbarkeit. Produkte unterscheiden sich nur noch über Ihren Namen und nicht mehr über Funktionen. Vor allem im Commodity-Bereich führt das zu Problemen. Gehen Sie hier nicht davon aus, dass Sie mit Markenprodukten viel erreichen werden. Durch die stetig zunehmende Preistransparenz gewinnt meist das günstigste Angebot. Das sind nicht Sie.
Markenhersteller haben Vorteile. Hohe Brand Awareness, Kickback-Programme oder sie sind zwingender Bestandteil des Portfolios um bestehende Erwartungshaltungen von Kunden zu befriedigen. Jedoch überwiegen die Probleme hinsichtlich des Preisdrucks. Ein weiteres Problem entsteht durch die Digitalisierung der Gesellschaft an sich.
IBusiness hat das Thema auf der 17. Virtuellen Entscheiderkonferenz aufgegriffen. Es scheint, als ob die originäre Wertschöpfungskette des Händlers selbst eruiert.
Händler wie Hersteller versuchen sich demnach gerade neu zu erfinden. Die reine Vermarktung funktioniert nicht mehr allein, da der Wettbewerb zu groß ist und die Margen zu stark sinken. Ein Weg hierzu ist die Transformation vom Produkt zum Service. Service bedeutet hierbei die Lösung eines Kundenproblems. Vorteile in der Lösungskommunikation sind Kompetenz und Verständnis. Beide Pfeiler sind immanent für den Beziehungsaufbau zum Kunden. Dies wird immer wichtiger, da ihre Erlösströme direkt davon abhängen, wie ich später noch zeigen werde.
Was sind Lösungen?
Produkte werden immer komplexer und ausgefeilter. Vielfach sind wir an End-to-End-Prozessen interessiert. Wir suchen keinen Paketdienst, sondern jemanden, der unser Paket von A nach B bringt. Wir suchen nicht mehr unbedingt nach manifestem Besitz, sondern nach variablem Zugang zu einer Leistung. Mobilität ist hier immer wieder ein schönes Beispiel. Bla-Bla Car´s Leistung ist Zugang. Damit einher geht die Entwicklung von ›Besitz‹ zu ›Zugang‹.
Warum wird Zugang wichtiger als Besitz?
Am Ende ist es eine klassische Kostenfrage. Besitz ist in vielen – nicht in allen – Fällen teurer als Zugang. Er ist nicht flexibel, bindet und verpflichtet. Wenn ich mir ein Auto kaufe, dann steht es den lieben, langen Tag leider irgendwo herum und wird nicht genutzt. Das ist teuer. Zugangsbasierte Geschäftsmodelle verfolgen das Ziel ›power by the hour‹ – man bezahlt nur für die genutzte Zeit bzw. den Zugang zur Leistung. Im Kern dreht sich alles um Convenience. Zugang ist einfacher als Besitz. SaaS- (Software-as-a-Service) Lösungen zeigen das sehr anschaulich.
Im hier gezeigten Schaubild werden die Total Cost of Ownership einer Software den Kosten eines Zugangsmodells gegenübergestellt. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die Leistung des Erbringers inWartung, Management, Betrieb etc. liegt. Dies sind auch die Felder, in denen er Skaleneffekte wesentlich einfacher realisieren kann als der Kunde und dies kann er weitergeben.
Worin liegen die Vorteile?
- Höhere Marge– Langfristige Subscriptions liefern höhere Erträge ab, anstatt einmalige Verkäufe. Allerdings trifft dies nur zu, wenn Sie die Kunden auch halten können.
- Geringere Vergleichbarkeit – Durch die Integration von Dienstleistungen sinkt die Transparenz. Quantitative Vergleiche sind nicht mehr so einfach möglich.
- Zielgruppenfokus– Lösungen erfordern eine weitaus höhere Ausrichtung auf die Probleme und Anforderungen der Zielgruppe.
Worin liegen die Nachteile?
- Schwierige Standardisierung – Kundenindividuelle Lösungen sind nicht immer einfach zu standardisieren. Besonders Beratungsleistungen nicht.
- Hohe initiale Kosten– Je nach Service können hohe Startkosten entstehen.
- Geht nicht immer und überall – Die Erweiterung eines Produkts um Services lässt sich nicht immer umsetzen.
Wie kommt man vom Produkt zu einer Lösung?
Lösungen sind spezifisch für Probleme. Klassische Produkte sind substituierbar und ohne funktionalen Mehrwert zu anderen Produkten. Diese müssen nicht direkt eine Funktionserweiterung des Produkts darstellen, sondern können auch zusätzliche Services im Rahmen von End-to-End-Prozessen beschreiben. Ziel ist es, spezifische Kundenprobleme lösen zu müssen. Allerdings reichen reine Marktanalysen und Forschung dafür nicht immer aus. Sie geben Hinweise, die zu kurzfristigen Verbesserungen führen, keinesfalls aber zu disruptiven Veränderungen.
Henry Ford hat gesagt:
“If I had asked people what they wanted, they would have said ‘faster horses.’”
Differenzierungsmerkmale, die Sie durch Kundenanalysen ableiten können, haben meistens eine kurze Leadtime gegenüber dem Wettbewerb und entsprechen eher feature-basierten Erwartungen. Damit sind sie aber nur Teil einer Lösung. Hinzu kommen Technologie, Branchenwissen und Business-Modelle. Bei der Entwicklung von Lösungen sollten Sie darauf achten, die Prozesse zu vereinfachen, Handlungen effizienter sowie effektiver machen und messbare Mehrwerte liefern. Ein wichtiger Antreiber dieser Entwicklung ist Moores Law. Miniaturisierung von Computern und steigende Konnektivität. IoT, Connected Commerce und Big Data scheinen hier interessante Ansatzpunkte darzustellen, auf denen die Lösungen aufsetzen.
Allerdings ist dieses Modell nicht für alle geeignet. Im folgenden Artikel von McKinsey wird am Beispiel eines Seifenherstellers das Scheitern einer solchen Strategie skizziert
Wie kann das genau aussehen?
Amazon, Facebook und Google sind typisch für servicebasierte Modell. Ich möchte jedoch versuchen, naheliegende und einfach umzusetzende praktische Beispiele darzustellen, die geringere technologische Hürden aufweisen. Die Beispiele decken leider vielfach keine kompletten End-to-End-Prozesse, aber die Richtung ist erkennbar.
Blumengruß mit Grußkarte –alles online auswähl-, konfigurier- und abschickbar. Der bisherige Prozess sah vor, dass man einen Blumenstrauß sowie eine Grußkarte kaufte und dass dann irgendwie zu einer Person brachte. Vielleicht als Valentinsgruß oder als Überraschung. Aufwendig.
Von zu Hause aus verschicken wir die Blumen, Süßigkeiten und Grußkarte. Der Mehrwert liegt für uns darin, dass wir hier einen vollständigen End-to-End-Prozess vorliegen haben. Wir müssen uns um nichts mehr kümmern.
Hotelbuchung inkl. Flug und Rail+Fly. – Eventuell erinnern Sie sich noch an frühere Urlaubsreisen. Ich musste jedenfalls in meiner Jugend noch die Karte halten und genaue Navigationsanweisungen für die Autofahrt geben. Ebenso musste jeder Aspekt des Urlaubs akribisch geplant werden. Expedia ist hierfür ein interessantes Beispiel.
Hier wird die Reiseplanung als Service übernommen. Hotel, Flug und Anfahrt werden bereits automatisch zusammengestellt.
Selbstoptimierung. – Ein weiteres Beispiel kommt vom Labordiagnostikhersteller CeraScreen (Tochtergesellschaft von Ganzimmun AG). Das eigentliche Produkte – Labordiagnostik – wird in Kombination mit der Dienstleistung Ernährungsberatung angeboten.
Die bisher gezeigten Beispiele weisen einen geringen Reifegrad in der Transition vom Produkt zum Service auf. In einem fortgeschrittenen Grad wird das Produkt nur noch das Vehikel und die Dienstleistung ist der eigentliche Kern.
Fazit
Den ersten Schritt gehen Sie, wenn Sie um ihre Produkte Dienstleistungen ansiedeln. Diese erweitern Ihre USP und geben Ihnen Differenzierung vom Markt. Mit der Inkludierung von Services kommen zwei zentrale Veränderungen hinzu: Subscriptions – andauernde Revenue Streams und das Management von langanhaltenden Kundenbeziehungen. Anstatt ›Sell and Forget‹ müssen Sie sich nun auf das Management von langanhaltenden Erlösströmen einstellen und diese pflegen. Das heißt, jeder Tag ist ein Kampf, damit der Kunde bleibt.
Unter dem Pseudonym Marian Haller analysiert unser Gastautor vor allem Shopsysteme und –technologien. Dies ist auch sein berufliches Hauptbetätigungsfeld im E-Commerce. Er gilt als ausgesprochener Experte auf diesem Gebiet.
Hier gibt es alle Beiträge von Marian Haller zum Nachlesen. |
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