Adobe hat vor kurzem angekündigt, Magento für 1,68 Mrd. US$ aufzukaufen. Der Prozess wird im Herbst 2018 abgeschlossen sein. Viele Experten des Marktes haben auf diesen Schritt von Adobe gewartet. Vor allem, da Adobe erfolglos versuchte Demandware (nun Salesforce Commerce Cloud) und Hybris (nun SAP Hybris) zu akquirieren. Unser ausführlicher Artikel analysiert die Hintergründe und Zukunftsaussichten für Magento.
In ihren Augen schließt Adobe mit der Akquise von Magento eine strategische Lücke im eigenen Angebot und positioniert sich gegenüber Digital Experience Suiten, allen voran den Enterprise-Level-Konkurrenten SAP, Salesforce und Oracle. Aber auch gegen direkte Konkurrenz vor der eigenen Haustür: BloomReach, Sitecore und EpiServer. Diese verfügen bereits zum Teil über (rudimentäre) Commerce-Funktionalitäten und eine umfassende Digital Experience Suite. In diesem Bereich hatte Adobe bis vor kurzem noch eine offene Flanke, die nun geschlossen werden wird.
Warum hat sich Adobe für Magento entschieden?
Magento war von den noch unabhängigen Shoptech-Herstellern für Adobe vermutlich die logische, wenn auch nicht die am besten passende Wahl. Man kann davon ausgehen, dass Adobe eigene Lücken schließen wollte, um sich gegen andere Digital User Experience-Anbieter positionieren zu können. Die meisten dieser Systeme verfügen über rudimentäre Commerce-Funktionalitäten, Adobe bis dato nicht. Doch was rechtfertigt den hohen Kaufpreis?
Magento ist B2C-fokussiert, hat viele Marketingfunktionalitäten und eine hohe Markenbekanntheit im SMB-Bereich. Zwar verfügt Magento auch über einige wenige Enterprise-Kunden, aber das System ist nicht für diesen Kundenkreis primär ausgelegt. Praktischerweise verfügt Magento auch über ein Gespür für aktuelle Trends, wie beispielsweise das Progressive Web Application Studio zeigt. Dabei handelt es sich zwar noch um ein einfaches SDK, aber die Richtung stimmt.
Die B2C-Orientierung ist für Adobe wichtig, da Digital User Experience primär B2C betrifft. Hierauf zahlen auch die umfangreichen Marketing- und Sales-Funktionalitäten von Magento ein. Ebenfalls positiv wirkt sich die starke Cloud-Orientierung von Magento für Adobe aus, da dies primär auf standardisierte SaaS-Angebote einzahlt. Ein Weg, den Adobe bereits sehr erfolgreich mit der Creative Suite beschritten hat und welcher auch aktiv vom Markt verlangt wird. Jedoch wären andere Lösungen günstiger gewesen und hätten die gleiche Technologie gehabt.
Das wohl wichtigste Kriterium für den Kauf und auch das einzige Argument, das den hohen Preis rechtfertigt, ist die sehr hohe Verbreitung auf dem Small/Medium Business-Markt (SMB). Nach Magentos eigener Aussage nutzen mehr als 250.000 Händler das System. Bedenkt man die technologischen Anforderungen von Magento, kann man davon ausgehen, dass dies nicht nur 1-Mann-Unternehmen sind, sondern gestandene Onlineshopbetreiber.
Adobe befindet sich derzeit in einem schwierigen Wachstumsumfeld. Das Flaggschiff ist die Creative Suite. Hier stimmt der Kurs. Adobes Digital User Experience-Portfolio bleibt hinter den Erwartungen zurück. Der direkte Zugriff auf 250.000 Kunden könnte einen deutlichen Wachstumstreiber für Adobe bedeuten.
Die Frage ist, ob die Onlineshopbetreiber das aktuelle Angebot ansprechend finden. Adobe adressiert das Enterprise-Segment und die meisten Magento-Shops befinden sich im SMB-Bereich. Enterprise Level-Kunden treten nur vereinzelt auf und selbst für die, ist die Adobe Marketing Cloud eine teure Angelegenheit.
Welches Potenzial hat die Akquise?
Adobe beziffert das monetäre Potenzial mit $13 Mrd. Dies erscheint ambitioniert. Vergleicht man die Eigenschaften beider Systeme, so fallen technologische und strategische Unterschiede auf: Magento ist Open Source System und zielt auf SMB. Adobe hingegen ist ein Closed Source-Anbieter für Enterprise Level-Kunden. Magento entspringt der PHP- und Adobe der Java-Welt.
Hinsichtlich der strategischen und technologischen Integration müssen diese großen Unterschiede erst einmal überwunden werden. Vergleichbare Projekte, wie beispielsweise die Integration von ATG in das Ökosystem von Oracle, sind bis heute noch nicht vollends abgeschlossen. Im Vergleich zu bisherigen Integrationen hat Magento den Vorteil einer Headless-Architektur und das es bereits erfolgreiche Kombinationen mit Adobe gibt. Das dürfte den Aufwand reduzieren.
Worauf muss Adobe achten?
Die technischen Mängelbei Magento bleiben weiterhin bestehen. Magento ist teils ein wildes Sammelsurium von Codes mit deutlichen Qualitäts- und Performanceschwächen sowie architektonisch begründeten Migrationsproblemen. Hinzu kommt noch eine lückenhafte Dokumentation. Dies löst sich durch die Übernahme nicht auf. Adobe muss diese Schwächen aktiv angehen.
Magentos großer Vorteil istseine Community. Diese trug maßgeblich zum Code (24% des Codes stammen von ihr) bei und hat eine enorme Vielfalt an Erweiterungen programmiert, allerdings mit stark schwankender Qualität. Man darf hierbei nicht vergessen, dass die hohe Verbreitung Magentos und das Wachstum von 2008 – 2010 in sehr großen Teilen durch die Community-Edition realisiert wurden.
Der Community Open Source-Ansatz ist zweiseitig. Es besitzt ein hohes Skalierungspotential für Softwareprodukte, aber auch die Gefahr abnehmender Codequalität. Es ist daher fraglich, inwieweit die Community (Freelancer und Agenturen) langfristig mitgenommen werden. Durch die Übernahme wird das Ruder eher in Richtung Commerce Edition gedreht. Das wird die Partnerlandschaft verunsichern.
Wenn dieser Wachstumstreiber durch eine restriktive Politik von Adobe weiter ins Straucheln gerät und die Community ein anderes System favorisiert, kann man davon ausgehen, dass Magento weiter an Bedeutung in der Community verlieren wird. Gerade Agenturen haben sich sehr flexibel bei der Wahl ihres bevorzugten Systems gezeigt. Das könnte sich negativ auf das zukünftige Wachstum auswirken.
Darüber hinaus kann sich die Monetarisierung des Kaufs für Adobe zu einer schwierigen Angelegenheit entwickeln. Das Verhältnis zwischen Commerce und Community Edition lässt sich ungefähr am Umsatz ablesen. Der aktuelle globale Umsatz von Magento Commerce (2017) liegt bei 150 Mill. US$.
Betrachtet man allein den Marktanteil von 14,2% an den Top 1000-Shops in Deutschland, erscheint dieser Umsatz sehr gering und deutet eher auf kleinere Shops mit schwacher Kapitalbasis hin, die die Community Edition verwenden. Es ist fraglich, wie viele dieser Kunden Interesse an Adobes Angeboten haben werden. Das könnte es schwierig machen, Leads in zahlende Kunden umzuwandeln.
Welche Zielgruppe wird Magento zukünftig adressieren?
Adobe hat 2 Möglichkeiten: Enterprise-Kunden oder SMB-Kunden. Die Community Edition lassen sie vermutlich in Ruhe, um die Community nicht vorsätzlich gegen sich aufzubringen. Wie lange dies allerdings so gehalten wird, ist fraglich.
Interessant ist, dass die Shopfiy-Aktie nach der Bekanntmachung um 4% nachgegeben hat. Das könnte ein Hinweis sein, dass die Auswirkungen den amerikanischen Markt und SMB betreffen. Beides klingt plausibel, da sich Magento eher dem SMB-Bereich zuordnen lässt und Adobe in den USA besonders stark ist. Analysten vermuten, dass Adobe eine ähnliche Strategie wie mit der Creative Suite umsetzen wird: standardisierte Angebote. Dafür spricht die klare Cloud-Positionierung von Magento und deren SMB-Orientierung.
Eine Positionierung von Magento im Enterprise-Segment erscheint unwahrscheinlich. Diese Kunden bedürfen in vielen Fällen hochindividualisierte Projekte. Ebenso reichen dafür der Funktionsumfang, die Performance sowie die generelle Qualität nicht aus. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass es nur wenige Magento-Agenturen im Enterprise-Segment gibt, die eine solche Systemintegration stemmen können.
Es erscheint am wahrscheinlichsten, dass Adobe den oberen SMB-B2C-Markt in den USA mit einem standardisierten Angebot klar adressieren wird, das die Vorteile einer Digital Experience Suite mit Commerce-Funktionalitäten und Cloud Offerings ausspielt. Dafür müsste allerdings Adobe ein deutlich günstigeres Derivat seiner derzeitigen Experience-Plattform anbieten. Dies entspricht den Stärken Magentos am ehesten und hätte für Adobe das benötigte Wachstumspotential.
Welche Auswirkungen hat das für den Wettbewerb?
Aufgrund der strategischen Kooperation zwischen Adobe und Microsoft respektive der Dominanz von Salesforce gehen einige Analysten davon aus, dass dies Microsoft unter Umständen unter Kaufdruck setzen könnte, da die freien größeren Shoptech-Hersteller weiter konsolidieren.
Allerdings würde dies der grundsätzlichen Strategie von Microsoft widersprechen. Diese sieht vor, möglichst viele Kunden in Azure zu erzeugen. Warum sollte man sich dann auf ein einzelnes System festlegen? Commercetools wird sich vermutlich ärgern, buhlten sie doch in jüngster Vergangenheit deutlich um Adobe, welche sich nun für ein anderes System entschieden haben. Ob Commercetools nun weiterhin die hohen Marketingaufwendungen vor REWE Digital rechtfertigen kann, bleibt abzuwarten.
Im deutschsprachigen Raum ist Magento bisher in der Gunst der Agenturen und Betreiber gesunken. Gerade die hohen Migrationshürden, selbst bei Minor Updates, und das überteuerte Preismodell haben Spuren hinterlassen. Shopware dürfte aktuell am ehesten profitieren. Sie überzeugen mit einem guten B2B/B2C Feature Stack und einer starken Community. Ausgezeichnet als Growth Champion von Deloitte, mit einem globalen Wachstum von 243% und 500% Wachstum in Großbritannien, dürfte man in EMEA eine interessante Alternative erwarten.
Die auf dem SCD18 vorgestellten Technologien und Features unterstreichen dies, sind sie doch direkt auf die Internationalisierung ausgerichtet. Weltweit betrachtet kommt Shopify von unten und liefert ein sehr interessantes SaaS-Angebot mit modernen Technologien für den B2C-Bereich – Social Commerce, PWA-Integration und einem starken internationalen Wachstum.
Zusammenfassung
Der Druck im SMB/B2C/SaaS-Bereich wird sich stark erhöhen. Wenn Adobe eine Integration von Magento schafft und eine für den SMB-Bereich interessantes Derivat der Experience-Manager schafft, werden interessante Zeiten bevorstehen. Man darf hierbei nicht vergessen, dass Adobe auch über viel Kapital im Hintergrund und einen stabilen Wachstumskurs durch ihr Kerngeschäft Creative Suite verfügt. Eine wichtige Frage ist, wie sich die Community verhalten wird. Eine Abspaltung namens OroCommerce, die vom ehemaligen Führungspersonal Magentos gegründet wurde, und einen Open Source-Ansatz mit Fokus auf B2B besitzt, gab es ja bereits.
Viele Kunden, Agenturen und nicht zuletzt auch die Community müssen sich berechtigterweise fragen, wie die Zukunft des Systems aussehen wird. Bisher ist die Product Road Map und Ausrichtung von Magento durch Adobe völlig unklar. Die Liebe der (kleinen) Agenturen für Magento dürfte an die Fortführung der Community Edition gekoppelt sein. Da dies keine Priorität für Adobe haben dürfte, werden diese sich anderweitig umsehen. Für größere Agenturen, die entsprechende Personentage stemmen können und über entsprechende Ausrichtung verfügen, könnte sich in Zukunft ein interessantes Digital Experience Commerce-Angebot formieren.
Man darf gespannt sein.
Unter dem Pseudonym Marian Haller analysiert unser Gastautor vor allem Shopsysteme und –technologien. Dies ist auch sein berufliches Hauptbetätigungsfeld im E-Commerce. Er gilt als ausgesprochener Experte auf diesem Gebiet.
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Bildquelle: © bigstock/Marina Mladjenovic
Thomas F meint
Spannende Untersuchung über die Zukunft von Magento. Ich kann hierzu auch die Artikel von Heise zur Übernahme von GitHub durch Microsoft empfehlen. Die Lage ist vergleichbar: Magento und GitHub leben von OpenSource und der Community. Die Reaktionen der Entwickler von GitHub auf die Übernahme ist ziemlich deutlich. Eventuell wird es auch der Todeskuss für Magento.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/GitHub-Entwicklergemeinde-in-Sorge-ueber-Ausverkauf-an-Microsoft-4068008.html