Letzte Woche vermeldete die Media-Saturn-Mutter Ceconomy ihre Geschäftszahlen für das Jahr 2016/2017. Der Bericht ging breit durch die Presse – als weitgehend neutrale Zusammenfassung der Zahlung sei ein Artikel von Matthias Hell auf Channel Partner empfohlen. Die Eckdaten – 22,2 Mrd. Euro Gesamtumsatz (flächenbereinigtes Wachstum +1,9 Prozent), 2,4 Milliarden Euro Online-Umsatz (+23,9 Prozent), 10,9 Prozent Online-Anteil am Gesamtumsatz (Vorjahr: 8,9 Prozent) – lassen wie üblich je nach Sichtweise des Betrachters reichlich Raum für Spekulation.
Gastartikel: Vor allem eine Zahl hat in den Kommentaren zur entsprechenden Meldung auf Exciting Commerce die Gemüter erregt: 44 Prozent der Online-Bestellungen in den Web-Shops von Media-Markt und Saturn werden in den Filialen der Elektronikketten abgeholt. Einen „Offenbarungseid für Online-Strategie von Media-Saturn“ nennt Jochen Krisch die hohe Selbstabholerquote.
Die Konzentration auf die Abholquote als Frequenztreiber für die Filialen zeige, dass Media-Saturn eine Strategie für eine größtenteils vom Online-Kanal bestimmte Zukunft fehle. Mein Kollege Peter Höschl hält dagegen:
„Folgende mögliche Interpretationen fallen mir zur Click&Collect-Quote von Media-Saturn spontan ein. Erstens: Ohne Click & Collect würden Media-Saturn 44 Prozent weniger Onlineumsatz machen. Dann wäre die Onlinestrategie gescheitert.
Zweitens: Die Kunden lieben Stationär, wollen aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht in den Laden gehen. In diesem Fall läge Media-Saturn mit ihrer Konzentration auf den stationären Kanal richtig, online füllt nur eine Lücke, bis die Filialen wieder attraktiv genug sind, um die Kunden direkt anzuziehen.
Oder drittens, Media-Saturn hat es geschafft, Online und Offline perfekt zu verweben, dann wären sie die wahren Helden des E-Commerce bzw. Omnichannels. Jede dieser drei Interpretationen ist ohne Erläuterung bzw. weiterer Ausführung und/oder Fakten nichts wert, sondern füttert nur die Freunde der vorgefassten Meinungen.“
Click-and-Collect wird von den Kunden angenommen
Versuchen wir also mal einen Blick über die vorgefassten Meinungen hinweg und schauen wir uns die diese spannende Click&Collect-Zahl etwas genauer an: Einer aktuellen Studie von YouGov zufolge scheint Media-Saturn in Sachen Click&Collect voll im Trend zu liegen.
Von über 8.000 befragten Kunden aus Deutschland, Frankreich, Schweden und Großbritannien haben 42 Prozent in den letzten 12 Monaten Online-Bestellungen im Laden abgeholt. Unter deutschen Kunden fällt die Click&Collect-Begeisterung der Studie zufolge geringer aus: 28 Prozent der Befragten haben diese Möglichkeit in den letzten 12 Monaten genutzt.
Media-Saturn feiert die hohe Abholer-Quote in seinem Geschäftsbericht als Erfolg: Die Verknüpfung zwischen Online und Offline funktioniere, der Abholservice locke Online-Käufer in die Filialen und erhöhe damit Frequenz und Cross-Selling-Absätze auf der Fläche.
Die YouGov-Zahlen bestätigen diese Interpretation teilweise: 28 Prozent der europäischen (und 32 Prozent der deutschen) Click&Collect-Kunden haben im Rahmen der Abholung in der Filiale noch ein weiteres Produkt gekauft, rund 10 Prozent haben sich im Laden zumindest mal umgesehen.
Rund ein Viertel der Abholer schnappt sich nur seine Bestellung und macht sich direkt wieder auf den Heimweg. Damit scheinen die Cross-Selling-Verkäufe rund um Click&Collect-Käufen zwar kein absoluter Umsatzbrüller zu sein, aber zu vernachlässigen sind sie auch nicht.
Das scheint durchaus für eine positive Zukunft für Click&Collect-Modelle zu sprechen. Andererseits muss man sich natürlich fragen: Warum nehmen die Kunden den Weg ins Geschäft auf sich, anstatt sich die Ware nach Hause liefern zu lassen? Antwort darauf liefert beispielsweise die Zeitreihenstudie des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein, die die Beweggründe für Click&Collect abfragt. 34 Prozent der Befragten gaben dabei an, dass sie mit der Abholung die Versandkosten sparen wollen.
Wer jetzt über die knausrigen Kunden die Stirn runzeln will: Zumindest Media-Saturn langt bei den Versandkosten tatsächlich ordentlich zu. Deshalb glaubt Geriet Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers: „Ich gehe davon aus, dass sich bei dem Wegfall von Versandkosten die Selbstabholerquote bei Mediamarkt-Saturn schnell halbieren würde.“
Allerdings sind die Versandkosten nur ein Teil des Problems, meint Kai Hudetz vom IFH Köln: „Warum ist die Abholung für diese Kunden vorteilhafter als die Haustürzustellung? Wir sehen in unseren Studien zwei relevante Gründe dafür: Erstens, können Kunden damit vielfach Liefergebühren sparen. Zweitens kann die Abholung im Laden für bestimmte Kunden bequemer sein als die Haustürzustellung, zum Beispiel, wenn sie zur Lieferzeit nicht zu Hause wären, aber auf dem Heimweg von der Arbeit am Geschäft vorbeikommen.“
Denn ganz abgesehen von den Kosten funktioniert das vor allem in Großstädten aktuell übliche Zustellungssystem – beim Rentnerpärchen im Hochhaus klingeln und dort alle Pakete abgeben, die die berufstätigen Online-Besteller nicht selbst entgegen nehmen können – ja nicht wirklich gut.
Und nichts nervt Online-Kunden mehr, als für ihre Bestellung zu den Öffnungszeiten der Postfiliale Schlange stehen zu müssen. Packstationen oder Paketkästen könnten das Problem in Zukunft entschärfen; noch scheint die Abholung im Ladengeschäft – das im Gegensatz zur Post oder zum Paketshop meist bis 20 Uhr geöffnet hat – zumindest bei Retailern mit breitem Filialnetz (wie Media-Saturn) für viele Konsumenten eine praktische Alternative darzustellen.
Dazu kommt: Bei einigen Multichannel-Anbieter können Konsumenten auch am Produktpreis sparen, wenn sie online bestellen und im Laden abholen, weil der Online-Preis günstiger ist. Auch bei Media-Markt kommt das mitunter vor, weil die Preise im Regelfall von den jeweiligen Marktleitern bestimmt werden und bisher nur wenige Märkte über elektronische Preisschilder verfügen, mit denen sich die Preise schnell an Marktschwankungen anpassen können.
Mittelfristig steuert Media-Saturn aber auf eine einheitliche Preis-Strategie für Online und Offline zu – und schon heute bekommen Kunden, die auf einen günstigeren Preis im Online-Shop verweisen, in der Regel auch auf der Fläche das Produkt zum Online-Preis.
Übergangstechnologie oder Service der Zukunft?
Zumindest der Anreiz des günstigeren Online-Preises dürfte sich also bald erledigt haben. Die Frage ist also: Werden die Kunden auch dann noch gern im Laden abholen, wenn es für das Problem der letzten Meile eine akzeptablere Lösung gibt?
Alexander Graf von Kassenzone hat im gemeinsamen E-Commerce-Crossover-Podcast mit Jochen Krisch und Joel Kaczmarek die These aufgestellt, dass diese Kunden „eine Restmasse von unerfahrenen Online-Kunden“ seien, die ihre Produkte lieber im Laden abholen, weil sie dem Online-Kauf noch nicht vollständig vertrauen. Dieser Kundentypus werde aber nach und nach verschwinden.
Als sehr online-affine, aber durchaus überzeugte Click&Collect-Shopperin bin ich persönlich geneigt zu widersprechen; die YouGov-Zahlen geben Graf aber zumindest teilweise recht: Etwa jeder 5. Click&Collect-Nutzer gab an, dass er die Waren im Laden aus Vertrauensgründen abhole:
Am Ende läuft die Diskussion letztlich mal wieder auf die Gretchenfrage hinaus: Wollen die Kunden auch in Zukunft im stationären Handel einkaufen – oder nicht? Das ist eine Glaubensfrage, die nicht mit Fakten zu beantworten ist.
Nicht wegzudiskutieren ist allerdings, dass eine durchaus stattliche Anzahl von namhaften Online-Händlern die Fühler in Richtung stationäre Präsenz ausstreckt. Viel diskutiert wurden in diesem Jahr natürlich die Übernahmen von Kickz durch Zalando sowie die von Whole Foods durch Amazon.
Dabei kann leicht übersehen werden, dass sich vor allem Amazon schon seit einiger Zeit deutlich in Richtung Ladengeschäft positioniert – und zwar schon längst vor der Whole Foods-Übernahme.
Josef Willkommer hat die Amazon’schen Stationärpräsenzen für das Techdivision-Blog mal gezählt. Sein überraschendes Ergebnis: Aktuell betreibt Amazon
- 42 Amazon Pop-Up Stores
- 9 Seasonal Pop-Up Stores
- 10 Amazon Smart Home Experience Stores
- 11 Amazon Book Stores (zzgl. 3 weitere in Planung)
Von den 450 Whole Sale-Filialen ganz abgesehen hat Amazon damit seine Stationärpräsenz innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht. Und wenn Amazon sich so engagiert, muss an der Sache mit den Läden ja was dran sein – oder?