Als ich meinen Artikel Einspruch: Die große Marktbereinigung juckt mich nicht schrieb, war es mir eine Herzensangelegenheit, mal ein paar Dinge richtig zu stellen. Dieses ständige Nachgeplapper von „90% aller Online-Händler werden sterben “ konnte ich nicht mehr hören.
Dabei ging es mir zugegebenermaßen jedoch weniger um den ECC / IfH als Urheber dieser These. Sondern mehr um die ganzen Trittbrettfahrer, ich nannte sie „Weltuntergangspropheten des E-Commerce“, die diese These gerne aufgriffen und versuchten zur Wahrheit zu erklären.
Grau ist alle Theorie, doch die Wahrheit liegt auf dem Platz
Ich bin derzeit jedoch irritiert, wie der ECC / IfH scheinbar alles ignoriert, was gegen ihre damalige Einschätzung spricht. Zugegeben, die Herleitung ihrer These scheint erstmal durchaus schlüssig. Nochmals nachzulesen bei neuhandeln.de.
Hat nur einen Haken. Sie basiert vor allem auf nicht validierbarem Zahlenmaterial, wie bspw. den vermeintlich hohen Wachstumszahlen von Amazon. Wenn man sich deren Zahlen jedoch mal genauer ansieht, stellt man fest, dass dem nicht so ist. Man kann generell nicht oft genug wiederholen, dass unsere Branche nach wie vor statistisches Brachland ist und wir von teilweise abenteuerlich zusammengezimmerten Hochrechnungen und Analysen leben. Wer darauf ein Haus baut, muss wissen, wie wacklig das Fundament ist. Und sollte dies fairerweise auch sagen.
Gleichzeitig werden Zahlen aus dem Markt offensichtlich komplett ignoriert, wenn es nicht in die eigene Aussage passt. Anders kann ich nicht verstehen, warum recherchierte Zahlen aus der Datenbank der Marktteilnehmer, bspw. von plentymarkets als nicht relevant abgetan werden, da „nur ein paar Tausend Händler“.
Hey, hallo! Das ist besser als gefühlt 99% aller anderen in der Branche kursierenden Zahlen.
(Kurzer Hinweis in eigener Sache: Wer an echten Zahlen interessiert ist, findet diese auch alle drei Monate in unserem kostenlosen trendreport E-Commerce.)
Da staune ich dann doch, dass hier stur in Verteidigungshaltung gegangen wird. Und dass mir idealo berichtet, dass sie letztes Jahr 5.000 (+18%) neue Händler im Preisportal gelistet haben, ist scheinbar auch irrelevant. Diese mittlerweile 36.000 Händler sind größtenteils solche, die laut ECC / IfH längst dem Tode geweiht sind. Und trotzdem vermehren sich diese Händler noch munter weiter. Also mal ganz ehrlich, da muss ich kein Fachmann sein, um mich zu wundern, dass dies alles für den ECC / IfH nicht zählt.
Branche, schläfst Du noch?
Noch erschreckender finde ich aber schon fast, dass es sich die Branche beinahe widerstandslos gefallen lässt, wenn ihre Branche kaputtgeredet wird. Ich hatte für die Recherche ja viele Lösungsanbieter um ihre Einschätzung gebeten. Manche, wie plentymarkets oder FINDOLOGIC, haben sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt und mir umfangreiches Zahlenmaterial zur Verfügung gestellt. Andere haben immerhin mit einem Statement zu ihrer Geschäftsentwicklung Stellung bezogen.
Genügend haben sich jedoch gar nicht gerührt. Keine Ahnung warum. Ein Grund ist möglicherweise, dass es halt im letzten Jahr vielleicht doch nicht so gut gelaufen ist. Bei einigen weiß ich jedoch, dass es nach wie vor sehr gut läuft, sie aber nicht wollen, dass dies jemand mitbekommt.
Ist ja durchaus nicht unüblich. Aber, in einer Zeit in der unsere und damit auch deren Branche auch vor großem Publikum kleingeredet wird, ist das etwas zu kurzfristig gedacht.
Der letzte Gallier oder der letzte Mohikaner?
Nach meinem Artikel bekam ich ja viel Zuspruch aus der Branche. Danke dafür. Etwas schade nur, dass dies meist nur persönlich geschah. Öffentlich wahrnehmbar scheint sich nur Jochen bei Exciting Commerce entgegenzustellen. Sei es in seinem Podcast, oder hier, hier oder hier. Momentan ist Jochen so etwas wie der letzte Gallier. Aber wenn die Branche nicht bald aufwacht, vielleicht schon bald der letzte Mohikaner.
Alle anderen möchte ich fragen, ob sie sich schon mal überlegt haben, was passiert, wenn bald auch der kleinste regionale Wochenanzeiger schreibt, dass sich der Online-Handel nicht lohnt?
Da möchte ich dann mal die langen Gesichter in der Branche sehen, wenn sich diese vermeintliche Wahrheit als Allgemeinwissen durchsetzt.
In einem Leserkommentar bei Exciting Commerce las ich sinngemäß, dass man sich darüber nicht aufregen müsse, da die Branchenkenner derlei Aussagen als Marketinggedöns schon richtig einschätzen können. Ja, das kann sein. Aber die wenigsten der Leser kommen nun mal aus der E-Commerce-Branche. Daher können es eben auch vergleichsweise wenige richtig einschätzen. Umso wichtiger ist es meines Erachtens, dass die Branche endlich mal aufsteht.
Online-Handel ist und bleibt ein Dschungel
Wenn es denn wenigstens stimmen würde, dass es künftig nur noch Amazon und 2-3 Category Killer geben würde. Ich hätte und würde ja gar nichts sagen. Da das aber für mein Dafürhalten kompletter Quatsch ist, möchte ich meine Klappe nicht halten und einfach so tun als wäre nichts.
Natürlich ist uns allen klar, dass Online-Händler auch in Zukunft einfach zusperren oder verkauft werden. Gleichzeitig wachsen aber sehr viele neue Händler nach. Unter anderem für unsere demnächst startende neue Artikelreihe „Next Generation“ haben wir auch schon wieder einige davon kennengelernt. Und ganz ehrlich – deren Geschäftsmodelle sind oftmals echt „lekker“, wie der Holländer sagen würde und stehen von Anfang an auf sehr professionellen Beinen.
Aber nein, Category-Killer werden sie vermutlich nicht. Doch sie werden ihren Platz im E-Commerce-Dschungel finden und haben beste Chancen, prächtig zu gedeihen. Möchte und muss ja nicht jeder der größte Baum am Platz sein.
Disclaimer: Ich breche oft genug die Lanze für den stationären Handel, bin bekennender Freund von Ladengeschäften und ich glaube an deren Zukunftsfähigkeit. Wenn sie nur mal endlich so innovativ und aktiv wie die Onliner werden.
Aber nur weil Pure Player, wie Amazon, Mister Spex, mymuesli, notebooksbilliger etc., jetzt auch stationäre Läden aufmachen, bedeutet das noch lange nicht, dass „Online ohne stationär keine Chance“ hat.
Und es ist vor allem kein Grund, den E-Commerce klein zu reden. Im Gegenteil, treiben doch gerade die Pure Player den etablierten Handel immer noch vor sich her. Sonst würden die sich immer noch jedes Jahr gegenseitig auf die Schulter klopfen, wie toll sie doch in den letzten 12 Monaten wieder Kisten geschoben haben.
Bildquelle: CC0 Public Domain, NatashaG @ pixabay
wiechert meint
Darf ich ganz höflich fragen, weshalb es von irgendeiner Relevanz für die Marktteilnehmer ist, was irgendwelche Berufs-Funtkionäre verbreiten?
Schon zu Offline-Zeiten hat der BVH doch nur eine kleine dreistellige Zahl von Großversandhäusern vertreten, während die Versandhandelsbranche viel grösser war und heutzutage gibt es doch niemand mehr, der „die Branche“ in irgendeiner Art vertreten würde. Aber wozu sollte man solche Verbände auch brauchen?
Peter Höschl meint
Ganz einfach: Als Lösungsanbieter, Dienstleister ist es z.B. von Relevanz wenn keine neuen Online-Händler mehr dazu kommen oder bestehende nicht mehr investieren. Weil ja alle wissen, dass E-Commerce nur Geld kostet, nix bringt und das Geld besser in Ziegelsteine, sprich Ladengeschäfte, angelegt ist.
Als Online-Händler ist es z.B. relevant wenn ich von der Bank kein Geld mehr zur Warenfinanzierung bekomme oder der Kreditsachbearbeiter höhere Zinsen wegen eines erhöhten Ausfallrisikos verlangt. Oder der Lieferant kürzere Zahlungsziele setzt oder … Hey, wir wissen doch alle, dass dieser Händler bald pleite gehen wird.
Noch etwas mehr um die Kurve gedacht bzw. Beispiel für indirektere Auswirkungen: Auch für Auszubildende, Studienabgänger und Fachkräfte wird eine Branche nicht attraktiver, wenn alle denken dass sie keine Zukunft hat.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich finde es durchaus wichtig, dass unsere Branche auch in der Öffentlichkeit angemessen dargestellt wird.
Nicola Straub meint
Kleine Ergänzung: Auch in die allgemeine Presse finden diese Aussagen ja regelmäßig. Und auch das kann nicht gut sein, wenn die allgemeine Käuferschaft immer wieder liest, dass es außer Amazon und Co. keinen ernstzunehmenden, zukunftsträchtigen Onlinehandel gäbe…
Herzlich, Nicola Straub
Armin Görgen meint
Ich frage hier mal provokant: wer verdient denn mit Onlinehandel ausreichend Geld? In Zeiten, in denen Amazon die Marge auf teilweise unter 10 % runterhämmert und im Gegenzug immer mehr Hersteller mit eigenen Shops online gehen, steigen im Gegenzug die Kosten für SEO, Server und eine moderate Software. Dazu kommt die Lagerhaltung, die wieder Räumlichkeiten benötigt usw.. Online verkaufen ist schon nicht so ganz einfach, online Geld zu verdienen noch schwerer.
Peter Höschl meint
Es war wahrscheinlich schon mal einfacher Geld im E-Commerce Geld zu verdienen. Andererseits, stehen dem Händler heute viel bessere Werkzeuge zur Verfügung. Und ich habe die letzten Jahre dann doch viele kennengelernt, die gute EBITS vorzuweisen haben. Bekommt man im Normalfall nur nicht so mit.
Gleichzeitig kenne ich viele Beispiele, bei denen die Probleme hausgemacht sind. Kein Controlling, keine Prozesse, zu hohe Personalkosten, unnötige IT-Investitionen, schlechte Preissteuerung, falsches Sortiments- und Lagermanagement.
Ich stelle ja immer wieder fest, dass je mehr ich weiß, desto weniger ich das Gefühl habe etwas zu wissen. Daher bin ich mit Aussagen vorsichtig. Aber ich glaube, dass die niedrigen Gewinne kein Problem des Geschäftsmodells „Online-Handel“ per se sind.
Man sollte auch nicht vergessen, dass wie nach wie vor eine junge Branche sind und es die letzten Jahre viel Wildwuchs und wenig Erfahrung gab.
Monica M. meint
Ich muss dem Autor ganz zustimmen. Das ewige Gerede davon, dass man an kleiner Online-Händler neben Amazon, Ebay und Co. sowieso keine Chance hat geht mir schon lange auf die Nerven. Ich persönlich und viele meiner „totgeweihten“ Kollegen gehen bewusst einen Weg ausserhalb dieser Online-Giganten und der Erfolg spricht für sich. Und es gibt -Gott sei Dank- noch Kunden denen Qualität und Individualität auch bei einem Online-Einkauf wichtig sind. Ja, die Gewinn-Margen sind geringer als es vielleicht früher üblich war – aber diese Aussage trifft auch im stationären Handel zu.
Michael Hagen meint
Warum lassen wir online Händler uns kleinreden?
Weil unser Geschäft gut oder sogar sehr gut läuft…und wir genug damit zu tun haben das es so bleibt.
Weil wir erlebt haben, dass immer wieder Hypes durch das Netz gejagt werden wie:
Du kannst nicht überleben ohne
Myspace
Adwords
Amazon Shop
Ebay Shop
Facebook
Twitter
Gamification
Second Life
Eine tolle App
Virales youtube Video
Etc.
Und …Amazon macht uns alle platt
Diese Hypes werden immer mit hohem Werbe und Marketing Druck durch das Netz gejagt, von Leuten die daran verdienen. Und nun kommt halt die dicke Keule…“Ihr werdet alle bald sterben, aber wir können euch retten“.
Was für ein Unsinn. Der Markt ändert sich, Marktteilnehmer kommen und gehen. Wie überall.
Wir online Händler sind selbstbewusst genug uns aus den „Hypes“ das richtig auszusuchen, auszuprobieren und bei Erfolg zu nutzen.
Nicht Hypes machen einen Online Händler erfolgreich, sondern die kontinuierliche Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells, der Strukturen, der Technik und des Marketings.
Der Schnelle frisst den Langsamen, nicht der Grosse den Kleinen.
So lauten meine Erfahrungen aus dem Betreiben, Aufbau und der Optimierung von diversen Online Shops.
Wir sind die Zukunft!
;-))
Alexander Hofmann meint
Danke Peter für diese, eben aus der Praxis verorteten klaren Aussagen und greifbaren Beispiele! Die Beiträge von dir und Jochen + die Kommentare aus unterschiedlichen Richtungen zeigen, dass E-Commerce (auch Pureplay) sich nicht pauschal totreden lässt.
Hoffe sehr, dass auch zukünftige Beiträge zu ähnlich werthaltigen Kommentaren wie „Nicht Hypes machen einen Online Händler erfolgreich, sondern die kontinuierliche Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells, der Strukturen, der Technik und des Marketings“ führen.