ElectronicScout24 schafft den gemeinsamen Warenkorb ab. Schafft ab? Richtig gelesen – alle Welt diskutiert über die Notwendigkeit gemeinsamer Warenkörbe und hier wurde er beerdigt. Dieser Anachronismus mag also verwundern. Handelskraft spekuliert über die Gründe:
Kernaussage:
- Zu wenig Nachfrage
- Zu hoher Aufwand
Jetzt kann man spekulieren, ob der Zeitpunkt zu früh gewählt war, weil die Kunden noch nicht reif genug sind usw. Generell kann man scheinbar festhalten, dass die Lösung von ElectronicScout24 bei geringen Bestellmengen nicht funktioniert hat.
In Zukunft sollte man also bei der Implementierung und dem Betrieb eines Händlerübergreifenden Warenkorb darauf achten, dass geringe Fixkosten entstehen, somit der Betrieb dieses Warenkorbs auch bei geringer Nachfrage problemlos möglich ist.
Ich schätze der Knackpunkt liegt praktisch gar nicht bei den Kunden – die werden nur angeführt, um zu belegen, dass dem Service auch jetzt ohne gemeinsamem Warenkorb nichts abgeht. Halt, Einschränkung: Vielleicht gab es eine geringere Nachfrage, als erwünscht, aber das liegt dann sicher auch an der Bewerbung dieses Features einerseits und der Positionierung als Preisvergleich andererseits: Preisvergleiche nutzt man, wenn man eine bestimmte Anschaffung vorhat – kleine Betonung auf einer. 😉
Enormer Aufwand
Dass ein gemeinsamer Warenkorb einen enormen Aufwand bedeuten kann, weiss ich dagegen aus Erfahrung: von 1999 bis 2001 war ich als technische Leiterin für das Full-Service-Shopportal "Der Genusstempel" an verantwortlich und habe neben der technischen Konzeption und Administration auch die Vertriebsabwicklungen über das Portal überwacht. Kennt noch wer den Genusstempel? Bis zu hundert Händler boten hier gleichzeitig ihre Waren aus dem Themenkreis Feinkost, Wein, Spirituosen über Tabakwaren bis hin zu Spezialreisen an (Wayback-Snapshot, leider ohne Bilder ;-( ). Alle Händler waren bereits erfahrene Versandhändler, viele jedoch noch mit geringer oder keiner Interneterfahrung.
Full-Service-Shopportal ‚Genusstempel‘
Im Shop-Portal wurden die Waren ansprechend (wir erstellten damals zur Not selbst Fotos von den Produkten) und in übersichtlichen Kategorien sortiert präsentiert. Zudem fuhren wir ein kontinuierliches und erfolgreiches Marketing (zwei noch verbliebene Pressemeldungen hier), Gewinnspiele, Adventskalender, Pi-pa-po. Das Shopsystem war im Grunde ein ’normales‘ System (interSales), das etwas angepasst wurde: über jeder Kategorie-Listung und jeder Detailansicht wurden die Logos des jeweiligen Händlers eingeblendet – die Händlerauswahl wurde so getroffen, dass Kategorien nur von jeweils einem Händler besetzt wurden. Es gab einen ’normalen‘ Warenkorb, alle damals möglichen Bezahlarten (inkl. Paybox), Versand nach Hause oder zu Pickpoints, keine Mindestbestellsumme, keine Liefergebühren.
Und das war ein zentraler Punkt: Der Versand erfolgte durch die Händler direkt – die hatten die Erfahrung mit den empfindlichen Produkten und sie hatten die Produkte. Also erhielten die Kunden teilweise mehrere Pakete – wären für jedes Lieferkosten angefallen, wäre das System des zentralen Warenkorbes den Kunden wohl nicht vermittelbar gewesen.
Fehlende Unterordnung der Eigeninteressen
Gestorben ist der Genusstempel an mehreren ‚Krankheiten‘, Missmanagement ganz als erstes (die Gründer brannten mit dem Venture Capital durch und anschließend war schlicht zu wenig Geld da, um die anderen Probleme vernünftig anzugehen). Das Hauptproblem war tatsächlich der tägliche Kampf um die Abstimmung mit den Händlern.
Um ohne Lieferkosten auszukommen, mussten die Einzelprodukte entsprechend zugeschnitten werden (also z.B. Zusammenstellung zu "Genusskörben"), um die Sortierung nachvollziehbar zu halten, mussten die Produktauswahlen pro Händler eindeutig gehalten werden. Und damit alles funktioniert mussten die Händler sich u.U. gedulden und auf ihr Geld warten können. Wenn z.B. ein Teil einer Lieferung erst später rausging (z.B. wegen eines verschlafenen Händlers) ging das Geld eben auch mal entsprechend später ein und konnte dann erst verteilt werden.
Nur wenige Händler erkannten damals das Potential, die meisten wollten oder konnten (Stichwort mickrige Margen bei Lebensmitteln) ihre Eigeninteressen denen des Projektes nicht (oder nur in zu geringem Maße) unterordnen. Wie gesagt, es war ein täglicher Kampf in Form von Überzeugungsarbeit und allzu oft auch faulen Kompromissen.
‚Gemeinsamer Warenkorb‘ bei Amazon
Szenenwechsel: Ich habe vorgestern eine Hupe für Linus‘ altes Bobbycar bestellt, das Nele nun zum Geburtstag bekommen hat. Die Hupe fand ich bei Amazon für € 1,25. Ab in den Warenkorb. Der sagt mir, wenn ich für 20,- einkaufte, fielen keine Lieferkosten an. Na gut, Bücher braucht man immer, also weiter eingekauft bis der Warenkorb fast € 30,- umfasste. Klick – bestellt. und was sehe ich: für die Hupe zahle ich € 3,- Verpackung und Versand. Ich fühle mich – ehrlich gesagt – reingelegt. Mir geht es nicht darum, dass ich grundsätzlich keine Versandkosten einsehe (vor allem bei einem solch billigen Produkt) – nur mir ist eben etwas anderes suggeriert worden.
Knackpunkt Lieferkostenproblematik
Ich glaube, ein gemeinsamer Warenkorb funktioniert nicht, wenn dort beliebig viele ‚Versandkosten-Posten‘ aufaddiert werden. Für einen gemeinsamen Warenkorb müssen einfach alle (Händler) an einem Strang ziehen (wollen). Und den Kunden muss dann klar sein (erklärt werden!), warum die einzelnen Produktkosten eventuell höher sind, als in anderen Shops, bei denen die Versandkosten noch hinzukommen. Oder man liefert aus zentralen Lagern aus. Die Liefer(kosten)problematik zu lösen ist meiner Meinung nach der Dreh- und Angelpunkt eines gemeinsamen Warenkorbes. Und Einzelhändler zu finden, die wirklich mitzuziehen bereit sind – als ‚Teamplayer‘.
Herzlich aus Hürth
Nicola Straub
Hans Ophüls meint
Hallo Nicola,
wir haben fast wöchentlich solche Anfragen mit Geschäftsmodell „gemeinsamer Warenkorb“. Leider ist noch nie etwas daraus geworden. Warum ? Weil die Probleme gar nicht bei der technischen Lösung liegen. Sondern das Zauberwort heißt „Logistik“. Wenn ich räumlich verteilte Lager habe (Warenkorb von mehreren Händlern) muss ich das logistsich so handhaben, dass dem Endkunden nur einmal Versandkosten entstehen. Dies wäre wünschenswert, aber in der Praxis enstehen ja doch zusätzliche Versandkosten, die irgendwo auch finanziert werden müssen.
Insofern sehe ich derzeit auch keine großen Chancen für den „gemeinsamen Warenkorb“.
Gruss Hans
Sascha Hertli meint
Mit Lubera rot (http://www.lubera.ch) bieten wir seit einem Jahr einen gemeinsamen Warenkorb an.
Den Kritikpunkt „zu geringe Nachfrage“, der von Electronicscout24 angeführt wurde, kann ich nicht bestätigen. Es besteht sehr wohl eine Nachfrage, Produkte mehrerer (meist hoch spezialisierter) Anbieter gleichzeitig zu bestellen.
Die Lieferkostenproblematik besteht, ist aber kein Killerfaktor. Wenn der Kunde bei den verschiedenen Anbietern einzeln bestellt, fallen für ihn ebenfalls mehrere Lieferkosten ab. Insofern muss dies dem Kunden gut erklärt werden. Die Vorteile des gemeinsamen Warenkorbes (einmal bestellen, related services wie Frageplattform, Bilderplattform…) bleiben für den Kunden trotzdem bestehen. Die Versandkosten in die Produktpreise zu integrieren verteuert die Produkte unnötig. Desweiteren hat ein Versuch auf Lubera im Oktober 2006 gezeigt, dass die Mehrbestellungen durch Entfallen von Versandkosten nicht signifikant sind, die Kunden also eine geringe Sensitivität gegenüber Versandkosten haben (11.50 EUR).
Mir scheint der kritische Faktor die Transparenz. Insbesondere die Versandkosten müssen transparent dargestellt werden. Dies bedingt eine genaue Abbildung der Tarife der einzelnen Anbieter. Genau hier stossen herkömmliche Shop-Systeme an. Auf Lubera haben verschiedene Anbieter für verschiedene Produktkategorien verschiedene Tarife (Mengen-, Volumen- oder Gewichtsorientiert). Diese Vielzahl der Tarife abzubilden in einem System (wo bei Bestellungen auch konkurrenzierende Tarife existieren), ist eine Herausforderung.
Eine weitere Herausforderung sehe ich im Bereich der Bestellungsabwicklung: Auf Lubera rot führen wir spätestens Anfang April die Kreditkartenzahlung ein, sodass der Kunde den gesamten Warenkorb mit einer Kreditkartenbelastung zahlen kann. Damit der Betrag der Kreditkartenbelastung stimmt, müssen zum einen die Versandkosten exakt abgebildet werden, zum anderen aber auch alle beteiligten Anbieter die Verfügbarkeit der Artikel innerhalb einer Frist von 4 Tagen bestätigen. Desweiteren ergibt sich hier ein juristisches Problemfeld, wer in welchem Fall haftet, wer Umsatzsteuer abführen muss etc. Wir sind aktuell dabei, diese Probleme zu lösen.
Da der gemeinsame Warenkorb ja als eine Art Zwischenstufe zwischen Versandhändler und Kunde funktioniert, muss er zwei Bedingungen erfüllen, um zu funktionieren:
1) Der gemeinsame Warenkorb muss für den Kunden einen effektiven Mehrwert generieren. Dies geschieht zum einen durch den Warenkorb an sich (nur 1x bestellen), zum anderen durch ergänzende Services wie Lu-Ask (Frageplattform) oder Lu-Pics (Bildplattform) auf Lubera.
2) Die Plattform muss maximal automatisiert sein, damit sie mit einer geringen Marge am Umsatz betrieben werden kann. Lubera ist hochgradig automatisiert und wird mit der Kreditkartenabrechnung nochmals einen Schritt vorwärts machen: Die Abwicklung eines Auftrags von der Bestellung bis zur Auszahlung an den Anbieter benötigt im Optimalfall kein einziges menschliches Zutun und ist vollständig automatisiert. Entsprechend sind die Betriebskosten tief und die Plattform hochgradig skalierbar. Ohne diese Automatisierung kann die Plattform nicht kostendeckend betrieben werden, egal mit welchem Umsatz (da variable Kosten der Abwicklung proportional zum Umsatz zunehmen).
Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.