Gastartikel: Die neuen Mehrwertsteuergesetze der EU sind in diesem Jahr in Kraft getreten. Aber was hat sich eigentlich für wen verändert? Für Anbieter, die ins europäische Ausland verkaufen, gibt es eine Reihe Dinge, auf die man nun besonders achten muss. Wir fassen die wichtigsten Regeln, Hintergrundwissen und Tipps für Sie zusammen.
Offene Grenzen, freier Verkehr von Waren und Dienstleistungen: Die Europäische Union und ihr Einheitsmarkt scheint ein wahres Mekka für Onlinehändler und Anbieter von Dienstleistungen. Das positive Handels-Klima in der EU hat sich vor allem durch die Harmonisierung vieler Gesetze sowie eine sich kontinuierlich verbessernde Infrastruktur für Telekommunikation und Logistik entwickelt. So haben sich die Voraussetzungen für Onlinehändler im letzten Jahrzehnt stark verbessert. Die Mehrwertsteuer jedoch unterscheidet sich in vielen Ländern, und oftmals ist es die Aufgabe des Verkäufers, herauszufinden welcher Steuersatz in dem anderen Mitgliedstaat für seine Produkte oder Dienstleistungen zutrifft. Hinzu kommt das in vielen Ländern darüber hinaus noch individuelle, ermäßigte Steuersätze gelten nach deren nationalem Recht.
Für wen ändert sich nun etwas?
Verkaufen Sie Güter online im Ausland? Dann ändert sich nichts für Sie. Sie müssen nach wie vor Ihre Mehrwertsteuer gemäß der europäischen Mehrwertsteuerregelung für den Distanzhandel berechnen und abführen. Mehr dazu unter Punkt 1 in diesem Artikel. Verkaufen Sie elektronische Dienstleistungen wie zum Beispiel Musik-und Filmdownloads, Software, Onlinekurse oder Apps an private Kunden? Dann müssen Sie ab sofort die Mehrwertsteuerregelung des Landes anwenden in dem sich ihr Kunde befindet. Für Verkäufer an Geschäftskunden gilt nach wie vor die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, d.h. der Rechnungssteller berechnet keine Mehrwertsteuer. Die Veränderung betrifft also vor allem Verkäufer von elektronischen Dienstleistungen ins Ausland. Mehr dazu unter Punkt 2 in diesem Artikel.
Warum trifft die Regelung dann Unternehmen wie Amazon und Ebay, die doch größtenteils Waren verkaufen?
Amerikanische Riesen wie Amazon und Ebay haben sich bei der Eröffnung ihrer europäischen Hauptsitze für Luxemburg entschieden, da dort ein sehr niedriger Mehrwertsteuersatz von 3 Prozent auf digitale Dienstleistungen gilt. Für den Verkauf von etwa Ebooks ist dies sehr günstig. Dieser Vorteil fällt unter der neuen Regelung weg. Ab jetzt müssen die Steuersätze des Landes angewendet werden wo der Verbraucher ansässig ist. In Spanien zum Beispiel beträgt die Mehrwertsteuer für Ebooks 21 Prozent. Darüber hinaus hat Amazon lediglich seinen luxemburgischen Hauptsitz als Verkäufer von Produkten registriert – die britische Niederlassung etwa ist offiziell nichts weiter als ein „logistischer Dienstleister“. Die in Großbritannien abzutragende Umsatzsteuer fiel demnach stets extrem klein aus. Während Länder wie Frankreich und Großbritannien schon lange gegen dieses „Steuerdumping“ gewettert haben, war dies für Luxemburg eine Goldgrube: 2013 wurden bei einem BIP von 43 Milliarden Euro ganze 950 Millionen Euro allein durch E-Commerce Mehrwertsteuern eingenommen. Die EU hat diesem Spiel nun ein Ende bereitet.
1.) Sie verkaufen Waren an Privatkunden ins EU Ausland
Warenlieferungen an Privatkunden im EU Ausland unterliegen im Prinzip der MwSt.-Regelung des Verbraucherlandes (Ziellandes), wenn ein gewisser Schwellenwert überschritten wird. Dann muss der Verkäufer sich in dem Mitgliedstaat für MwSt-Zwecke identifizieren lassen. Mehr Informationen bieten die folgenden zwei Informationsdokumente der EU Kommission: „MwSt in der Europäischen Gemeinschaft“ oder MwSt. Schwellenwerte – Anhang I. Wird der Schwellenwert nicht überschritten, hat der Verkäufer ebenfalls das Recht, sich für MwSt-Zwecke zu identifizieren. Das kann von Vorteil sein, wenn Sie zum Beispiel nicht genau einschätzen können, ob Sie die Schwellenwerte in bestimmten Ländern überschreiten werden. Das erspart Arbeit im Nachhinein, sollte der Schwellenwert doch überschritten werden. Die verschiedenen Mehrwertsteuersätze in den EU-Mitgliedstaaten finden Sie hier. Zudem bietet die Europäische Kommission eine Liste der nationalen Ansprechpartner für Mehrwertsteuerfragen.
2.) Sie verkaufen elektronische Dienstleistungen, Rundfunk- oder Telekommunikationsdienstleistungen ins europäische Ausland
Beispiel: Ein niederländischer Kunde lädt eine Anwendung eines deutschen App-Entwicklers herunter. Dann muss der deutsche Anwender dem Kunden den niederländischen MwSt.-Satz berechnen. Apps fallen unter elektronische Dienstleistungen, ebenso wie unter Anderem Internetdienste, Websites, Webhosting, Software (inkl. Updates), Video-Streaming, Lotterien, und kostenpflichtige online Sendungen. Rundfunkdienstleistungen sind alle fernseh- und Hörfunkkanäle, die den Nutzern über diverse Medien zur Verfügung gestellt werden. Telekommunikationsdienstleistungen betreffen u.A. Festnetz- und Mobiltelefonie sowie web-basierte Dienste wie etwa Internettelefonie. Grundsätzlich muss laut der neuen Regelung immer der Ort des „Dienstleistungsempfängers“, d.h. des Nutzers, ausschlaggebend sein für den anzuwendenden Mehrwertsteuersatz. Alle Informationen zu der neuen Richtlinie, Fragen, Antworten sowie Dokument-Downloads finden Sie auch auf der Webseite der EU.
Registrierung
Mehrwertsteuereinnahmen aus Verkäufen oben genannter Dienste in das europäische Ausland müssen im Zielland erfasst und abgeführt werden. Um Unternehmern die Registrierung und Administration zu erleichtern, bieten die EU-Länder eine Sammelanlaufstelle genannt MOSS (Mini-One-Stop-Shop) oder zu Deutsch KEA (Kleine einzige Anlaufstelle) an (Mehr Info in diesem EU Leitfaden). In Deutschland können Unternehmer diesen Dienst über das das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nutzen und dort ihre europaweiten Steuern zentral angeben und entrichten. In allen Ländern wurden Kontaktstellen für Fragen, Beratung und Registrierung rund um die Gesetzesänderung eigerichtet. Diese finden Sie auf dieser Liste.
Achtung: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden (Urteil vom 26.10.2010 (C-97/09), dass die deutsche (oder anderweitig nationale) Kleinunternehmerregelung nicht für das europäische Ausland gilt. Es kann also sein, dass sie in Deutschland nicht meldepflichtig waren, es aber unter der neuen Regelung durch ihre Auslandsverkäufe sein werden. Es gibt jedoch in vielen EU-Ländern ähnliche Regelungen. Laut Kleinunternehmerregelung.eu haben lediglich die Niederlande, Schweden und Spanien keine solche Regelung.
Preissetzung
Für die Preissetzung gilt: Dem Kunden muss grundsätzlich der Gesamtpreis angezeigt werden. Dieser hängt nun davon an, wo sich der Nutzer befindet, demnach wo die Leistung genutzt wird. Es gibt zwei Möglichkeiten, die neue Regelung umzusetzen: Entweder berechnen Sie basierend auf Ihre bestehenden Preise pro Land den entsprechenden Preis, was mitunter unübersichtlich sein kann: Wie identifizieren Sie die Herkunft des Kunden? Ist der Programmieraufwand tragbar? Die zweite Möglichkeit ist, dass Sie Ihre Dienstleistung europaweit zum gleichen Preis verkaufen und die evtl. dadurch entstehenden Margenverluste in Kauf nehmen. In der Regel ist zu empfehlen, den Kunden grundsätzlich darüber zu informieren, wie sich der Preis zusammensetzt.
Besonderheiten
Achten Sie bei der Rechnungsstellung auf landesspezifische Regeln. So schreibt z.B. Italien vor, dass auf jeder Rechnung an Privatpersonen auch deren Steuernummer angegeben werden muss.
Hilfe beim grenzüberschreitenden Verkauf
Händler müssen beim grenzüberschreitenden Verkauf über das Internet viele Fragen beantworten und Formalitäten erledigen. Zum Beispiel wie man international eine Geschäftsidee schützt, wie man korrekt die Mehrwertsteuer registriert und abführt und wie man Online-Bezahlungen in anderen Ländern regelt. Darum hat die Europäische Kommission im Rahmen eines Projektes namens „Watify“ eine Infoseite veröffentlicht (momentan auf Englisch verfügbar), die Schritt für Schritt Fragen beantwortet, Tipps liefert und den korrekten Ablauf verschiedener Formalitäten beschreibt. Wie schon oben erwähnt, können Sie die Mehrwertsteuersätze, Ermäßigungen und Bestimmungen dieser Liste entnehmen. Auf der Infoseite der Europäischen Kommission steht eine Liste der nationalen Ansprechpartner zur Verfügung.
Lokale Expertise
Verkaufen in ein anderes Land ist dank des Europäischen Einheitsmarktes und den Möglichkeiten des E-Commerce einfacher geworden, birgt aber nach wie vor durch sprachliche, administrative sowie rechtliche Bestimmungen einige Herausforderungen. Oft kann es sinnvoll sein, sich von einem, im lokalen E-Commerce erfahrenen Muttersprachler beraten und helfen zu lassen. Damit beugen Sie Sprachproblemen und Missverständnissen vor und brauchen Sie nicht im Wirrwarr der lokalen Gesetzgebung das Rad neu zu erfinden.
Henning Heesen ist Mitgründer und Global Sales Direktor von Salesupply, sowie Geschäftsführer der Deutschen Niederlassung. Seine langjährige Erfahrung in den Bereichen E-Marketing, grenzüberschreitender Onlinehandel und Business- Entwicklung machen ihn zu einem eingefleischten Experten zum Thema Cross- Border und E-Commerce Expansion. |