Laut der Händlerstudie„Die Wirtschaftslage im deutschen Interaktiven Handel B2C 2013/2014“, einer gemeinsamen Veröffentlichung des bevh-Verbandes und der Creditreform Boniversum, ist die Zahl der Versender und Internet-Einzelhändler im vergangenen Jahr erstmals gesunken. So waren in 2013 nur noch 25.300 Versender und Internet-Einzelhändler (-2,3%) wirtschaftsaktiv.
Zur richtigen Interpretation dieser Entwicklung sollte man jedoch wissen, dass die Zahl des Unternehmensbestands von der Creditreform Rating AG stammt.
Datengrundlage ist dabei die Creditreform Wirtschaftsdatenbank mit aktuell rund 4,04 Mio. wirtschaftsaktiven Unternehmensdatensätzen.
Berücksichtigt wurden Unternehmen die überwiegend (über 30%) ihr Geld mit dem Online- und Versandhandel verdienen und deren Unternehmen in der richtigen Klassifikation vorgenommen wurde.
Und hier liegt der Casus knacksus.
Größe der Branche ist nicht greifbar
Bis heute ist die tatschliche Größe der Gewerbetreibenden im Internethandel überhaupt nicht greifbar. Nur eines ist klar – es sind um ein Vielfaches mehr als die genannten 25.300.
Alleine eBay Deutschland zählt Artikel von 175.000 gewerblichen Powersellern auf ihrer Plattform. Der Shop Software-Anbieter Shopware misst über 26.000 aktive(!) Installationen ihrer Lösung.
Man weiß auch bzw. schätzt, dass die großen Provider wie 1&1 oder Strato ebenfalls jeweils zwischen 20.000 und 30.000 Shop-Kunden unter Vertrag haben.
Diesem Dilemma ist sich auch der bevh als Verband bewusst. So geht selbstverständlich auch der Verband davon aus, dass es weit mehr Personen gibt, die haupt- oder auch nebenberuflich E-Commerce betreiben. Diese sind häufig jedoch nicht eindeutig zuordenbar, wie Christin Schmidt, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Statistik und Wirtschaftspolitik beim bevh bedauert:
Die Problematik liegt aber darin, dass es keine validen Zahlen darüber gibt und diese nicht konkret erfasst sind. Jedoch Creditreform oder auch Destatis sind aktuell dazu in der Lage, aufgrund ihrer Datenbanken Aussagen zu treffen.
Bei allen anderen Aussagen handelt es sich grundsätzlich um Schätzungen, diese sind allerdings oftmals nicht belegbar, was wir sehr bedauern. Im Hinblick auf die E-Commercebranche gestaltet sich dies aber auch ausgesprochen kompliziert, da der Markt kontinuierlich viele neue Unternehmen präsentiert, aber auch viele Player wieder schnell vom Markt gehen.
Wann ist ein Online-Händler überhaupt ein Online-Händler?
Unter den im E-Commerce-Umfeld aktiven Gewerbetreibenden, zeigt sich alleine schon bei der Umsatzgröße die Heterogenität des Marktes. So wird sicherlich bei einem großen Teil der Jahresumsatz bei weniger als 25.000 Euro liegen. In der Spitze wiederum schlägt das Pendel bekanntermaßen bis in die Milliarden. Und dazwischen ist alles möglich.
Doch auch ansonsten bleiben, beim Versuch die Branche zu erfassen, einige Fragen offen. Denn wann ist ein im Internet verkaufendes Unternehmen, überhaupt als Online-Händler zu klassifizieren?
- Ist der stationäre Händler, der seine Restposten und B-Ware über eBay verkauft und mit Online-Marketing oder Shop Usability nichts am Hut hat, der Branche als Online-Händler zuzuschlagen?
- Und wenn es um die Frage geht, wie viele Mitarbeiter die E-Commerce-Branche hat, müsste man nicht auch dessen Mitarbeiter mitzählen, der sich in Teilzeit um den eBay-Verkauf kümmert?
- Oder was ist mit dem Direktimporteur, der Handyzubehör etc. als Eigenmarke ausschließlich über Marktplätze verkauft – ist dieser nun Hersteller oder Online-Händler?
Es fehlen also nicht nur verlässliche Zahlen hinsichtlich Branchengröße, sondern auch klare Definitionen und Klassifizierungen im E-Commerce.
Eine Herausforderung, der sich die Branche jedoch schnellstmöglich stellen sollte, möchte man seinen Interessen gegenüber Politik und Wirtschaft Ausdruck verleihen.
Alex (kassenzone.de) meint
Du hast natürlich Recht mit der Einschätzung, dass es eher 100-500k Onlinehändler in Deutschland gibt, aber die Aussage vom BEVH kann man ja auch anders interpretieren und einfach eine Wachstumsabschwächung sehen. Das würde sich mit meinen Beobachtungen decken. Auch bei den ebay Händlern gibt es eine Konsolidierung (wenige gewinnen) und die Anzahl der Shopware & Magento & Rakuten Shops gibt wenig Hinweise auf deren wirtschaftlichen Erfolg. eBay, Amazon und wenige andere wachsen überproportional und sind ggü. dem Margenwettbewerb gewappnet. Der Rest leidet.
Peter Höschl meint
Es wäre tatsächlich mal sehr wichtig ein besseres Gefühl für die Branche zu bekommen.
Wie viele der Hunderttausende „Online-Händler“ haben einen Jahresumsatz kleiner 25.000 Euro – sind es 25%, 35%, mehr oder weniger?
Wie viele Menschen beschäftigt die Branche tatsächlich?
Und, und, und …
Stefan Grimm meint
Hallo Peter,
vielen Dank für die kritische Sicht auf die bevh Zahlen.
Hier wird mal wieder deutlich, wie schwierig es ist diesen höchst dynamischen Markt zu erfassen.
Ich fände es ist sinnvoll sich auf die die großen Online-Pure-Player zu beschränken. Was für Umsätze erzielen die und wer ist in den Top 1.000.
Ansonsten stellen wir fest, dass sich der Handel in Richtung Omni-Channel entwickelt und entwickeln muss. Das Kanaldenken ist von der Wahrnehmung des Einkäufers bereits überholt worden.
Natürlich möchte die Branche Zahlen haben, um die eigene Wichtigkeit zu „beweisen“ und damit an Relevanz zu gewinnen und eigene Interessen (auch in der Politik) durchsetzen zu können.
In wenigen Jahren sprechen wir wieder nur noch vom Einzelhandel. Denn spätestens bei der Abrenzung eines location based services, der mobil einen stationären Einkauf auslöst, ist jede Abgrenzung am Ende…
Wie Alex aber schon richtig kommentiert hat, wir sehen Entwicklungen wie beim stationären Handel. Die Großen vereinigen stetig mehr Umsatzanteile auf sich, nutzen Volumenvorteile in Beschaffung, Logistik und Technik und können in einem effizienzgeriebenen Markt deswegen günstiger und/oder mit besseren Services anbieten.
E-Commerce bleibt ein Katalysator: Gewinner gewinnen mehr, die Verlierer verlieren schneller, keine erreichte Marktposition ist von Bestand, weil es für Wettbewerber faktisch keine Barriere mehr gibt, einen Großteil der Verbraucher erreichen zu können.
Beste Grüße
Stefan
John Weinstein meint
Mich überrascht, dass die Retourenquote bei 25 % liegen soll.
Ich habe vor einigen Wochen einen Beitrag über Zalando gesehen, da hatten die eine Retourenquote von 75 % und mehr.
Des Weiteren glaube ich, wenn man jetzt noch die 175.000 Ebay Shops mitrechnen würde, wäre dann die Quote niedriger.
Aber ohne richtige Zahlen, lässt sich das sehr schwer sagen. Würde mich trotzdem interessieren….
John