Bei kaum einem Thema sind Online-Händler so reizbar wie beim Thema Warenrücksendungen. Manche Händler könnten gar Bücher füllen mit Geschichten über „(Kunden-)Begegnungen der dritten Art“ im Bezug auf Retouren. Denn natürlich gibt es sie, die Kunden, die ihre Rechte aus der Fernabsatz-Gesetzgebung missbräuchlich ausüben. Und auch die Kunden, die unachtsam mit der Ware sind oder gedankenlos mit Zeit und vorgefassten Abläufen etc. pp.
Fakt ist aber auch: Ohne die kundenfreundliche Gesetzgebung hätte der E-Commerce in Deutschland – dem Land der Zögerer & Zauderer sowie des Misstrauens – niemals so schnell so breit Fuß gefasst. Unter dem Strich hat der Online-Handel flächendeckend von den erweiterten Kundenrechten profitiert. Zudem ist heute, da das Shoppen via Internet Alltagsbeschäftigung geworden ist, die rechtliche Lage auch etwas zugunsten der Händler korrigiert worden.
Nicht nur deshalb tun sich Händler keinen Gefallen, wenn sie das Thema Retouren aus der „Opferrolle“ heraus betrachten. Denn erstens stellen Retouren als „Kunden-Kontaktpunkte“ immer auch Chancen dar. Vor allem aber sind Online-Händler der Retourensituation nicht hilflos ausgeliefert, sondern verfügen über viele Möglichkeiten der Steuerung.
Steuerungsziel Retourenvermeidung
Das oberste Ziel dabei ist, es möglichst gar nicht erst zur Retoure kommen zu lassen. Dafür müssen Händler die Hebel kennen, die zu einer Retourenvermeidung beitragen. Der Wirksamste liegt bereits bei der Produktauswahl. Denn je sorgfältiger die Produktpalette für den Online-Shop ausgewählt wird, desto weniger Artikel wird es geben, die den Kunden beim Auspacken seiner Sendung enttäuschen.
Sinnvolle Produktauswahl und überprüfte Qualität
Dabei geht es nicht nur darum, aufzunehmende Produkte einmalig zu begutachten und zu bewerten. Vielmehr sollte das bestehende Sortiment regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob bestimmte Artikel häufiger retournieren – wobei „häufig“ relativ ist. Oder anders ausgedrückt: Eine Tasche, die mit 40 Prozent retourniert, ist ein ziemlicher Hochretourer. Ein modischer Schuh, der mit 30 Prozent retourniert, ist ein sensationeller Niedrigretourer.
Fallen Artikel als Hochretourer auf, gilt es, die Gründe dafür zu ermitteln: Ist eventuell die Versandverpackung für ein bestimmtes Produkt nicht sicher genug? Gibt es bei einem Artikel Qualitätsmängel? Oder scheint an einer Stelle die Produktbeschreibung missverständlich zu sein?
Sind die Gründe nicht abstellbar, sollten Hochretourer notfalls lieber aus dem Portfolio genommen bzw. durch bessere Alternativen ersetzt werden – selbst wenn sie sich gut verkaufen. Denn gerade gut nachgefragte Artikel helfen wenig, wenn sie übermäßig retournieren und dadurch enorme Kosten erzeugen!
Genaue und ehrliche Produktbeschreibungen
Ein Hauptgrund für Retouren ist, dass der Kunde falsche Erwartungen an den bestellten Artikel hatte. Natürlich wollen die Artikel im Online-Shop ansprechend beschrieben werden und dazu gehört eben auch, ihre Eigenschaften zu loben. Dabei sollten Händler jedoch nicht jede Kritikfähigkeit ablegen, sondern ehrlich bleiben – und auch etwaige Einschränkungen offen benennen. Die Solargrille hüpft nur im Sonnenlicht, nicht aber unter der Schreibtischlampe? Dann sollte dies in der Beschreibung stehen, ansonsten kommt sie vermutlich öfter mal als vermeintlich kaputt zurück. Die Kaffeekapsel funktioniert nicht 100%ig zuverlässig im automatischen Auswurf? Dann kann es sinnvoll sein, auch solch einen Makel – möglichst in einem Zug mit einem besonderen Vorteil – ehrlich zu nennen: „Diese (besonders günstigen/fair gehandelten/aluminiumfreien) Kapseln lassen sich etwas weniger zuverlässig auswerfen als Originalkapseln. In diesem Fall lassen sie sich jedoch sehr einfach von Hand herausnehmen“.
Generell gilt: Je genauer ein Artikel beschrieben wird, desto zutreffender wird die Vorstellung sein, die sich der Kunde vom Produkt macht und desto geringer ist die Gefahr, dass es zu einer Retoure kommt. So sollten bei Kleidung beispielsweise auch stets Angaben zur Größengerechtigkeit gemacht werden. Dies gilt übrigens nicht nur bei besonders groß oder klein, eng oder weit, lang oder kurz ausfallenden Stücken, sondern auch bei normaler Passform. Denn ohne Angabe muss der Kunde raten, ob der Artikel regulär ausfällt oder ob ein spezieller Hinweis zwar nötig wäre, jedoch vergessen wurde.
Für viele Kunden sind neben der Produktbeschreibung die Nutzerbewertungen noch wichtiger zur Orientierung. Das Vorhandensein qualitativ guter und quantitativ ausreichender Kundenbewertungen hat einen enormen Einfluss auf die Retourenhäufigkeit. Es lohnt sich, eingegangene Produktbewertungen regelmäßig auszuwerten, denn diese stellen für Händler oft eine hilfreiche Informationsquelle dar, um herauszufinden, welche Produktangaben für Kunden besonders wichtig sind und daher in die Produktbeschreibungen aufgenommen werden sollten.
Für besonders schwierig am Monitor einschätzbare sowie dem persönlichen Geschmack unterliegende Artikel wie beispielsweise Mode, aber auch Brillen bieten Online-Shops zunehmend auch Zusatzfeatures als Orientierungshilfen an. Beispiele hierfür sind Fotos mit Modellen in unterschiedlichen Kleidergrößen, Videos, in den eigenen Maßen einstellbare Avatare bzw. eine „virtuelle Anprobe“.
Lagerung und schneller Versand
Der zweithöchste Risikofaktor für Retouren ist eine lange Lieferdauer. Kunden sind mittlerweile verwöhnt, sie erwarten es, ihre Bestellung binnen einem bis drei Tagen in den Händen halten zu können. Dauert es länger als erwartet, wird auch häufiger retourniert. Deshalb ist eine zuverlässige Angabe der Lieferzeit extrem wichtig und die meisten Shopsysteme beherrschen dies auch. Allerdings können die Lieferzeit-Zusagen nur stimmen, wenn die zugrundeliegenden Lagerstandsinformationen – dank gut integrierter Systeme – auch akkurat sind. Gleichzeitig erleichtert dies die rechtzeitige Nachbestellung, so dass seltener Produkte „out of Stock“ sind. Das ist wichtig, denn erstens sind Nachlieferungen teuer, vor allem aber reagieren Kunden sowohl auf längere Wartezeiten, als auch auf viele Einzelsendungen oft missmutig.
Zusätzlich müssen die im System hinterlegten Standardlaufzeiten ständig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden: Dauert der Versand vor Weihnachten oder in der Sommerurlaubszeit generell etwas länger? Dann muss die Standardfrist entsprechend nach oben korrigiert werden.
Der Qualität der Lagerverwaltung kommt damit auch im Hinblick auf die Retourenvermeidung eine große Bedeutung zu. Und dies gilt natürlich nicht nur auf der Informationsschiene: Je besser die Lagerung der Ware ist, desto seltener treten Packfehler auf und desto weniger Verpackungs- oder Alterungsschäden entstehen.
Ansprechende und sichere Verpackung
Nach der Bestellung wartet der Kunde auf seine Sendung – das erzeugt Vorfreude. Damit diese nicht in Enttäuschung umschlägt, müssen die Artikel in jedem Sinne „gut ankommen“. Dies betrifft nicht nur die Gefahr von Transportschäden. Da es in den Logistikunternehmen oft ruppig zugeht und Pakete auch mal von Sortierbändern fallen, sollte im Zweifelsfall lieber eine stärkere Verpackung gewählt werden, die auch bei solchen Härten den Inhalt in jedem Fall schützt.
Doch eine ansprechende Verpackung kann noch viel mehr, als nur zu schützen – sie kann den Empfänger psychologisch binden. Denn es fällt Menschen viel leichter, sich von einer neutralen Sache (wieder) zu trennen, als von etwas, mit dem sie sich persönlich identifizieren.
Immer mehr Unternehmen werten ihre Lieferungen durch eine hochwertige Verpackung mit Seidenpapier und handgeschriebenen Beilegekarten auf. So wird im Empfinden des Kunden aus „einem Paket“ „sein Paket“, fast so etwas wie ein „persönliches Geschenk“. Ähnlich hochwertig und individuell wirken sinnvolle Zugaben wie thematisch passende Proben. Allerdings: Austauschbare Beilagen wie die beliebten Gummibärchen-Tütchen haben heute viel von ihrer Attraktivität eingebüßt.
Für Massenversender in Segmenten mit hohem Preisdruck sind aufwendige Verpackungen und individuelle Proben kaum finanzierbar. Doch auch hier kann zumindest eine Grußkarte beigelegt werden, in der z. B. auch der Name des Packmitarbeiters steht. Das Ziel ist auch hier, eine persönliche Note in die Lieferung zu bringen.
Payment und Retourenprozess
Der letzte Themenkomplex, der Steuerungsmöglichkeiten zur Retourenvermeidung enthält, ist hingegen heikel: Sowohl im Payment, als auch in der Gestaltung des Retourenprozesses stecken Einflussmöglichkeiten, die es Kunden erschweren, ihre Artikel zurückzusenden.
So zeigen Studien, dass sich Kunden, die sich – beispielsweise bei Auswahlbestellungen – bereits beim Ordern mit dem Gedanken tragen, zu retournieren, häufiger nachgelagerte Zahlmethoden wie die Zahlung auf Rechnung wählen. Der Grund ist nachvollziehbar: So müssen sie bei einer Rücksendung nicht auf Erstattung warten, sondern haben die Rechnungskürzung selbst im Griff.
Für Händler ist dies besonders ärgerlich, da die Rechnungszahlung für sie oft eine vergleichsweise teure Zahlart ist. Umgekehrt stellt sich gerade diese Paymentmethode jedoch oft als sehr hilfreich für die Neukundengewinnung dar. Denn gerade weil neue Kunden unsicher sind in der Einschätzung sowohl der Produkte eines ihnen fremden Shops, als auch dessen genereller Zuverlässigkeit, suchen sie gezielt nach für sie risikoarmen Zahlmethoden. Viele Händler bieten darum die Rechnungszahlung bewusst aus Gründen der Kundenfreundlichkeit und Vertrauensgewinnung an.
Aus denselben Gründen versuchen Händler, das Retourenverfahren so transparent und einfach wie möglich zu machen und legen ihren Sendungen bereits vorbereitete Retourenscheine und Erläuterungen zum Verfahren bei. In der Vergangenheit war dies auch deshalb sinnvoll, weil Kunden rechtlich viele Freiheiten beim Retournieren hatten. Wollten Händler die Rücksendungen vernünftig kanalisieren, so blieb ihnen fast nur die Möglichkeit, den gewünschten Weg zum für den Kunden einfachsten Weg zu machen.
Mittlerweile zeigt sich jedoch, dass diese Services zum leichteren Rücksenden dazu führen, dass Kunden sich eben auch leichter für eine Retoure entscheiden. Dabei muss nicht unbedingt böser Wille unterstellt werden – vielmehr vermittelt der beigelegte Rücksendeschein manchem Kunden, dass der Händler mit einer Warenrückgabe gar kein Problem habe. Die Retourenforscher der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben bei ihren Studien darum auch untersucht, wie sich eine Verkomplizierung des Retourenprozesses auswirkt. Denn immer mehr Shops gehen dazu über, keine Rücksendelabel mehr beizulegen. Stattdessen müssen rückgabewillige Kunden den Retourenprozess über ein Online-Formular anstoßen und sich die notwendigen Unterlagen selbst ausdrucken.
Tatsächlich vermindert ein erhöhter Aufwand für die Kunden deren Retourenfreudigkeit. Dennoch warnen die Forscher in ihrem Artikel: „Macht es ein Onlinehändler jedoch absichtlich schwer, Produkte zu retournieren, so wirkt sich dies in der Regel negativ auf die Kundenzufriedenheit aus, und die Wiederkaufwahrscheinlichkeit sinkt. Vor allem für Anbieter standardisierter Produkte wie Mode oder Elektronikartikel ist eine restriktive Retourenpolitik daher riskant, weil Kunden dann einfach zu einem anderen Onlinehändler abwandern, der das gleiche Produkt auf Lager hat.“
Damit ist die Kehrseite dieser Einflussfelder genannt: Weil sowohl das Payment als auch der Service eine starke Rolle in der Kundengewinnung und Stammkundenbindung spielen, sind Eingriffe hier heikel. Händler sollten dementsprechend die mögliche Retourenreduzierung sorgsam gegen etwaige Einbußen bei Konversion und Kundenbindung abwiegen.
Retouren auch als Chance sehen
Retouren sollten immer auch als eine Chance gesehen werden. Denn jede Retoure stellt einen individuellen Kontaktpunkt zum Kunden dar. Und nirgends kann sich ein Händler besser profilieren, als im direkten Kundenkontakt.
Schließlich ist es in der heutigen E-Commerce-Welt essentiell, ein eigenes, serviceorientiertes Profil zu zeigen – außer man will sich in die Reihe austauschbarer Online-Shops einordnen, die sich nur noch über (Kampf-)Preise positionieren können.