Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe, heißt es im Volksmund, und wir E-Commerce-Treibende hetzen von Innovation zu Innovation und übersehen dabei oft das Naheliegende. Zum Beispiel, dass Onlinehändler einfach mal ihren eigenen Bestellprozess prüfen sollten. So konnte ich ohne großen Aufwand die Konversionsrate für meine Kunden um bis zu 40% steigern.
Bekanntermaßen habe ich mich ja der Kennzahlenanalyse verschrieben und bin so vermutlich einer der langweiligsten Menschen unserer Branche. Aber ganz ehrlich, ich finde Zahlen sexy. Es fasziniert mich, was man mit Zahlen alles machen und wie viel man rausholen kann. Meiner bisherigen Erfahrung nach wird jeder Händler seinen Ertrag – und in der Folge auch seinen Umsatz – deutlich erhöhen, wenn er sich nur mehr mit seinen Zahlen beschäftigt.
Ich habe jedoch auch festgestellt, dass nicht jedem Zahlen liegen und man durchaus eine gewisse Affinität, Intuition und Erfahrung benötigt, um alleine beim Anblick einer banalen und nichtssagenden Zahl das Gefühl zu haben, das hier etwas nicht stimmt. Und es sich lohnt, tiefer einzusteigen und zu schauen, wie sich die Zahl zusammensetzt bzw. zustande kommt.
Es gibt aber auch einfache Beispiele die jeder Händler, egal ob zahlenaffin oder nicht, nachvollziehen kann. So stellte sich ein Beratungsmandant (Onlinehändler im Wohndekobereich) die Frage, wie er seine Konversionsrate steigern könne. Ein Blick in Google Analytics zeigte eine ›unnatürlich‹ hohe Abweichung zwischen den Konversionsraten für Desktop- und Mobile-Besucher. Daraufhin habe ich einfach mal dessen Shop über mein Smartphone aufgerufen und seinen Checkout durchgespielt. Dabei zeigte sich ein Bild wie hier im Beispiel:
Soweit, so erstmal unkritisch. Aber was sieht man denn nun genau im ersten Screen? Genau – ich kann mich mit meinen Daten in mein Kundenkonto einloggen.
Käufer lieben Gastbestellungen
Aber machen wir uns doch nichts vor. Wer will das schon und wer macht das schon? Es gibt kaum einen Grund, sich in einem Onlineshop als Kunde zu registrieren, sich seine Zugangsdaten zu merken und diese dann beim nächsten Kauf zu nutzen.
Davon abgesehen, muss man ja zumindest schon mal vorher bereits bestellt haben, um beim aktuellen Kauf ein Kundenkonto haben zu können. Was aber ist mit den Neukunden und denjenigen die, wie ich, grundsätzlich nur Gastbestellungen durchführen? Das sind die allerallermeisten!
Die suchen in diesem Shop (fast) vergeblich eine Bestellmöglichkeit. Lediglich das Pulldown-menü „Ich bin Neukunde“ gibt eine Ahnung, dass man auch ohne Kundenkonto bestellen könnte. Wenn es der geneigte Online-Shop-Besucher denn überhaupt sieht. Am Smartphone noch viel unwahrscheinlicher, als am Desktop. Dies hat zur Folge, dass die Konversionsrate deutlich schlechter als notwendig ist. Der Online-Händler sich quasi selbst im Weg steht, da er seinen Onlineshop nie mit der Brille des Besuchers angeschaut hat.
Kurzer Sidekick – es hat einen guten Grund warum immer mehr größere Online-Shops im Checkout komplett auf das Kundenkonto verzichten und nur noch „Gastbestellungen“ zulassen. Dann anhand der E-Maladresse und einer Adressvalidierung prüfen, ob es den Kunden bereits in der Kundendatenbank gibt und erst in der Bestellbestätigung ggf. auf die Möglichkeit eines Kundenkontos verweisen.
Doch zurück zum Thema: Jeder Besucher der die so beliebte Funktion Gastbestellung sucht, wird im Normalfall scheitern und den Shop wieder verlassen. Dabei kann es so einfach sein. Beispielsweise in dem der Checkout an dieser Stelle geringfügig angepasst wird und die Gastbestellung bzw. Bestellung als Neukunde in den Vordergrund gestellt wird, wie im folgenden Screenshot ersichtlich. Wer sich unbedingt in sein Kundenkonto einloggen möchte, wird diese Funktion suchen und einfach den Screen runterscrollen.
Gemeinsam mit der Shopware-Agentur von Marcel Krippendorf, haben wir bei fünf seiner Online-Händler mal die Auswirkungen, auf die Konversionsrate, dieser einfachen Umstellung gemessen.
Betrachtungszeitraum war 19. Okt bis 30. Nov 2018 (Konversionsrate Vorher) und 4. Jan bis 15. Feb 2019 (Konversionsrate Nachher).
Zugegeben, die zugrundliegende Datenmenge war mit lediglich 70.000 Visits recht dünn. Es kann also viele Gründe geben, warum sich die Konversionsrate in den Shops so entwickelte, wie sie es taten. Aber der Trend über alle Shops hinweg ist trotzdem nicht uninteressant.
Ein paar meiner aktuellen Beratungskunden, haben ihren Checkout ebenfalls dahingehend abgeändert. Auch nach längerem Betrachtungszeitraum und mehr Traffic, liegen deren mobile Konversionsrate nach wie vor um bis zu 40% und die beim Desktop um bis zu 20% höher.
Allerdings haben wir diesen Checkout-Schritt noch marginal weiter optimiert, indem wir bspw. im Text noch prominenter auf die Gastbestellung hinweisen. Also statt „Ich bin Neukunde“, einfach nur „Ich möchte als Gast bestellen oder ein Kundenkonto anlegen“ schreiben. Alleine diese kleine Textänderung, die jeder Onlinehändler in wenigen Minuten selbst durchführen kann, bringt einen spürbaren Uplift.
Aber egal, ob die vorgestellten Zahlen nun aussagekräftig oder nicht sind. Alleine schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass es funktionieren muss. In diesem Sinne, mein dringender Rat: Testen Sie Ihren eigenen Online-Shop so, als wären Sie ein neutraler Besucher oder würde es sich um einen anderen Shop handeln. Sie werden überrascht sein, wieviel Sie daran nervt und Optimierungspotential Sie entdecken!
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