Adobe Systems gab am Montag bekannt, den E-Commerce-Software-Anbieter Magento zum Preis von 1,68 Mrd. Euro gekauft zu haben. Das Umsatzpotenzial beziffert Adobe dabei auf rund 13 Milliarden Dollar. Während die Branche die Übernahme überwiegend positiv sieht, bin ich skeptisch, ob sich das, auf dem absteigenden Ast befindliche, Magento wiederbeleben lässt. Meiner Meinung nach ist das Pferd tot, da hilft auch der schönste Sattel nichts.
Adobe übernimmt Magento von Permira Funds, die den Shopsystem-Hersteller ursprünglich für rund 200 Millionen US-Dollar übernommen hatten. Ebenfalls an dem Kauf beteiligt ist die Hillhouse Capital Group, die letztes Jahr noch rund 250 Millionen US-Dollar in Magento investierte.
Magento soll künftig in Adobes-Experience-Cloud integriert werden, sodass eine globale, unabhängige Plattform für B2B- und B2C-Kunden entsteht. Die Plattform soll dann E-Commerce, Logistik-Management und prognostische Intelligenz in einer einheitlichen Handelslösung zusammenfassen und für verschiedene Branchen verfügbar sein.
Bereits zum dritten Mal wechselt Magento nun also den Besitzer. Nach dem ersten Verkauf an eBayund dem damit einhergehenden Niedergang im Beamtenapparat eBays, ging es 2015 samt GS1 Commerce unter das Dach von den erwähnten Private-Equity Häusern.
Der Shoptech-Blog verweist auf die, mit 300.000 Entwicklern, unbestritten größte Shoptech-Community der Welt als eines der größten Assets von Magento. Betont jedoch zugleich, deren Befürchtungen mit dem Verkauf in die zweite Reihe zu rücken und dass mittelfristig die Community Edition sogar abgeschafft werden könnte.
Diese Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Adobe ist Enterprise, da passt Community nicht rein.
Agenturen singen des Kunden Lied
Aber vor allem ist Magento, zumindest in Deutschland, schon längst in der Gunst der Kunden gesunken. Während des größten Magento-Hypes, der ja damals schon völlig überzogen war, rannten die Händler zu den Agenturen und verlangten nach Magento. Witzigerweise wussten die Händler meist selbst nicht, warum sie Magento eigentlich unbedingt wollten. Sie wollten es halt einfach, weil es andere auch wollten und ihnen ihre Agentur sagte, dass sie es brauchen.
Zugleich ist die sog. Fachpresse, wie immer eigentlich, sehr schnell auf den Hype-Zug aufgesprungen und hypte unreflektiert Magento auf den Olymp der Shopsysteme. Und schon dachten alle Händler, ohne Magento sei bald Schicht im Schacht für sie.
Für all das konnte Magento jedoch am allerwenigsten etwas. Nur ist es halt mittlerweile so, dass niemand mehr von Magento spricht. Heute kommen Händler zu ihrer Agentur und verlangen nach Shopware. Dass die Händler auch diesmal oft nicht begründen können, warum sie Shopware wollen, hilft Magento auch nicht weiter. Und diesmal kann Shopware nichts dafür, dass es so ist wie es ist. Es ist halt wie immer.
Und wenn sich die Kunden nicht mehr für einen interessieren, tun es die Agenturen auch nicht mehr. Denn die tun oft das was der Kunde will, auch wenn es noch so unsinnig sein mag. Also haben die sich schon längst ein zweites Standbein geschaffen und sind immer weniger darauf angewiesen Magento zu empfehlen.
Die Zahlen von Google Trend sprechen hier eine deutliche Sprache, was die Nachfrage nach Magento anbelangt. Hier das Suchvolumen für die Suchbegriffe „magento“, „shopware“ und „shopify“ in den letzten 5 Jahren für Deutschland:
Man sieht, Shopware hat Magento schon längst überholt. Und auch Shopify ist hierzulande bereits an Magento dran. Weltweit betrachtet sieht es für Magento nicht besser aus. Hier ist Shopify schon lange an Magento vorbeigezogen:
Nun mögen Kritiker einwerfen, dass Shopify nicht mit Magento vergleichbar sei, was Anspruch und Zielgruppe anbelangt. Trotzdem, bleibe ich dabei, dass Magento nie wieder hochfliegen wird. Der Zug ist abgefahren, spätestens seitdem sie unter eBays Dach geschlüpft sind.
Magento brachte seinerzeit frischen Wind in die Welt der Shopsysteme und war vielleicht nicht zu Unrecht ganz oben. Aber die Zeiten sind lange vorbei, und meiner Meinung nach braucht auch keiner mehr Magento.
Nun habe ich aber zugegebenermaßen die letzten Jahre nun mal die Entwicklung bei den Shopsystemen nicht mehr so intensiv, wie früher einmal, verfolgt. Da stecken andere möglicherweise tiefer in der Materie. Deshalb sollten die an dieser Stelle auch zu Wort kommen. [Gerne auch Shop-Agenturen in den Kommentaren!]
Martin Möllmann vom Shoptechblog sagt:
Auch wird es interessant zu beobachten, wie weit sich Magento mit ihrem Cloud-Ansatz in den kommenden Jahren noch weiterentwickeln wird. Als On-Premise-System mit beschränkter Multitenant-Fähigkeit sind die Optionen aus technischer Sicht eher begrenzt, eine echte Cloud-Plattform steht in den Sternen. Der Ansatz scheint eher in die Richtung eines standardisierten und gemanagten Setups mit vielen Einstellungsoptionen bzgl. Caching, etc. zu gehen. Ob eine solche Lösung einem wirklichen Problem eines klassischen Adobe-Kunden gegenübersteht bezweifele ich stark. Zudem ist auch die technische Integration eine Herausforderung.
Die Fachmedien sind da jedoch optimistischer gestimmt. So meint Internet World Business:
Damit bringt sich Adobe auf Augenhöhe mit Unternehmen wie Salesforce.
iBusiness.de kommentiert die Übernahme so:
Mit dem Kauf von Magento schließt Adobe ein Lücke im Konzept des Rundum-Anbieters für E-Commerce-Treibende.
Und Techcrunch.com meint:
The purchase gives Adobe a missing e-commerce platform piece that works in B2B and B2C contexts and should fit nicely in the company’s Experience Cloud.
Bildquelle: digitalphotonut @ bigstockphoto
Roman Zenner meint
Danke für das Zitat Peter, aber Ehre wem Ehre gebührt, diese Analyse hat mein Kollege Martin geschrieben 😉
Peter Höschl meint
Danke für den Hinweis. Ist ausgetauscht.
Andrej Radonic meint
Magento als „halbtotes Pferd“ zu bezeichnen sehe ich mal als bewusst gewählte provokative These – das schreit nach einer Entgegnung 😉
Inbesondere stellen die erwähnten Google Trends Zahlen keine stichhaltige Begründung dar. Auch die Tatsache, dass Magento zum dritten Mal übernommen wird, sagt nichts über die Gesundheit von Unternehmen, Produkt und Marktstellung aus.
Schaut man sich die wirtschaftlichen Zahlen von Magento im Vergleich zum von Ihnen angesprochenen Shopify an, sieht man, warum:
2017 haben Magento-Shophändler einen Umsatz (GMV) von 124 Mrd. US-$ erzielt, im Vergleich zu 26.3 Mrd. bei Shopify. IDC rechnet mit einer Fast-Verdoppelung des Magento GMV bis 2020.
Magento ist zudem führend bei den Top 1000 Internet-Händlern. (Quellen: https://magento.com/news-room/press-releases/magento-commerce-announces-record-cloud-growth-among-mid-large-enterprise, https://www.shopify.com/press/releases/shopify-announces-fourth-quarter-and-full-year-2017-financial-results)
Schaut man sich die Builtwith Statistiken an, dominiert Woocommerce den weltweiten Shop-Markt, vor Magento und mit Shopify an 3. Stelle (https://trends.builtwith.com/shop).
Besonders beachtenswert – gerade aus unserer Agentur-Sicht – finde ich jedoch die Zahlen zum Magento „Ökosystem“: ca. 280.000 Spezialisten verdienen mit Magento-bezogenen Leistungen ihr Geld, davon etwa 255.000 Entwickler.
Dies spiegelt sich auch in folgender Zahl wieder: 2017 war das Magento-Github Repository dasjenige PHP-Projekt mit den meisten Contributors (http://marcelpociot.de/blog/2017-12-21-a-php-year-in-review). Dies hat sicher auch damit zu tun, dass Magento in den letzten 2 Jahren eine 180-Grad Kehrtwende vollzogen hat im Bezug auf die Community, die nun viel stärker wahrgenommen und einbezogen wird.
Was die technologische Ausrichtung angeht, zeigt sich Magento im B2B-Umfeld im Vergleich zu Shopify deutlich besser aufgestellt. Dies betrifft sowohl Features als auch die Marktpositionierung. Entsprechend hat Forrester 2017 Magento als „Leader“ im B2B-Segment benannt (https://magento.com/resources/magento-commerce-named-b2b-leader).
Vor diesem Hintergrund hat Adobe wohl in der Tat einen guten Griff getätigt. Sicherlich hat die Photoshop-Company damit auch neue technologische Entwicklungen bei Magento im Blick gehabt wie beispielsweise den mit der nächsten Version kommenden PWA-Support.
Berechtigt ist mit Sicherheit die Frage, wie der neue Eigentümer mit Produkt und Community umgehen wird.
Als Magento-Agentur haben wir ein großes Interesse daran, dass der Opensource-Gedanke mit dem bisherigen Spirit bei Magento weiterlebt.
Peter Höschl meint
Yepp, der Titel war teilweise durchaus etwas provokativ gewählt. Aber nicht um Clickbaiting zu betreiben, sondern um Reaktionen zu bekommen.
Erstmal vielen Dank für Deinen Kommentar – finde ich sehr hilfreich!
Meine Aussage: „Kein Kunde fragt mehr nach Magento“, stammt tatsächlich aus Gesprächen mit verschiedenen Shops-Agenturen, auch Magento-Agenturen. Die Google Trends-Zahlen untermauern dies. Aber richtig ist, dass dies keine stichhaltige Argumentation erlaubt, sind eher Indizien. Auch Dein Entwurf hinsichtlich „dritte Übernahme, sagt nichts über Gesundheit von Magento aus“ ist richtig, hatte ich aber auch nicht in Frage gestellt.
Aber richtig ist doch dennoch, dass Magento sich auf den Lorbeeren ausruhte und dann von eBay in den Beamtenschlaf geschickt wurde. So zumindest meine Außenwahrnehmung: Keine Innovationen mehr, keine Power auf der Strasse. Meinung war wohl nichts tun zu müssen, da die Kunden eh von alleine kommen. Bzw. dann ja eh im Konzern eBay aufgehoben. Erst jetzt fängt Magento m.W. wieder damit an, ein Team in Deutschland aufzubauen.
Die builtwith-Zahlen kann man aber gar nicht zitieren. Die stimmen definitiv nicht bzw. geben ein stark verzerrtes Bild der Showsystem-Landschaft wieder. Und woher Magento wissen will, wieviel Umsatz über Magento-Shops würde mich auch mal interessieren. Können sie nicht wissen!
Aber was mich interessieren würde: Wo siehst Du die Zukunft von Magento unter Adobe, wenn man berücksichtigt dass Adobe für Enterprise steht? – soviel Enterprise-Kunden gibt es für die 280.000 Magento-Entwickler nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Adobe Interesse an der Community Edition und SMB-Kunden hat.
Aber da fehlt mir tatsächlich vielleicht einfach die Phantasie bzw. Nähe zum Thema um das beurteilen zu können.
Andrej Radonic meint
Was builtwith angeht, gehe ich mit dir konform – das kann bestenfalls eine Gewichtung oder einen Trend grob abbilden.
Was die Magento Umsatzzahlen angeht, so hat man wohl eine Studie in Auftrag gegeben, um diese Zahlen zu ermitteln. Wie valide diese sind, kann ich nicht beurteilen, insofern sind auch diese sicherlich mit Vorsicht zu genießen, aber ich gehe doch davon aus, dass die Größenordnung zumindest stimmen.
Hinsichtlich der Zukunft bei und mit Adobe: Seriöse Aussagen sind hier zur Zeit nicht möglich. Dafür muss sich Adobe erst einmal im Detail zu seinen Plänen äußern. Da jedoch eines der größten Assets von Magento inzwischen besagte Community ist, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass Adobe es sich erlauben wird, diese zu vernachlässigen oder z.B. durch Abschaffen der kostenfreien Edition komplett „abzusägen“. Zu groß ist beispielsweise heute der Anteil des von Community-Entwicklern beigetragenen Codes.
Es wird sicherlich viele Veränderungen in naher Zukunft geben, aber ich gehe davon aus, dass der grundlegende Opensource-Charakter weiterhin intakt bleiben wird.
freeshophoster meint
Hier gebe ich meinem Vorredner vollkommen Recht. Abzuwarten bleibt wie der Opensource-Gedanke weitergeführt wird.
Andreas Ziethen meint
Dein Artikel ist sehr stark von einer „deutschen“ Perspektive geprägt. Wenn Du über den deutschen Tellerrand hinausschaust, dann wird sich die Behauptung, Magento sei (mit rund einer viertel Mio Installationen weltweit) ein „halbtotes Pferd“ kaum halten lassen.
Adobe war einer der ersten Anbieter, die verstanden haben, was „Cloud“ bedeutet und wie man diese nicht nur kundenorientiert sondern auch gewinnbringend nutzt. Der Kauf von Magento war sicher kein Impulskauf – die werden sich sehr genau überlegt haben, was es da für Perspektiven gibt. Vielleicht entsteht da ja ein System, das erstmalig eine „echte“ Ecommerce-Cloud-Gesamtlösung präsentieren kann?
Aus deutscher Perspektive konnte man in den letzten 2-3 Jahren in der Tat den Eindruck gewinnen, der stotternde Magento-Motor sei näher an einem Kolbenfresser als an einem neuen Höhenflug. Die Erwartungen, die alle an Magento 2 hatten, wurden nur zu geringen Teilen erfüllt. Dennoch war schon im letzten Jahr auf der Meet Magento so etwas wie Aufbruchstimmung spürbar – allerdings nach meiner Wahrnehmung eher seitens der Firmenleitung als innerhalb der Community. Wenn ich aber mal davon ausgehe, dass der Adobe-Deal schon damals in Vorbereitung war, dann bekommt der von der Führungsriege verbreitete Pioniergeist plötzlich eine neue Bedeutung.
Es ist zwar so, dass in Deutschland / Westeuropa Magento innerhalb der Community deutlich an Zuspruch verloren hat. Wie aber ja schon mehrfach geschrieben wurde, hat Adobe den Fokus klar auf dem Enterprise-Markt. Verständlich daher, dass der Deal die vielen Freelancer und kleineren Magento-Agenturen verunsichert. Vermutlich zurecht. Dennoch traue ich Adobe zu, dass die aus dem leicht lahmenden Magento-Zossen langfristig ein hochwertiges Rennpferd machen. Keins für den mittellosen Cowboy – aber ggf. eins für den ambitionierten Turnierreiter?
Peter Höschl meint
Yepp, meine Perspektive ist aus dem deutschen Markt heraus geboren. Und wie auch freimütig zugegeben, bin ich nicht mehr soo nah am der Shopsystem-Szene dran, wie Du bspw.
Meine Einschätzung speist sich vor allem aus der Marktbeobachtung (Händler, Agenturen und Lösungsanbieter) und einem guten Schuss Bauchgefühl. Letzteres kann ich mir nach der langen Zeit im E-Commerce durchaus erlauben bzw. liege ich damit meist richtig, auch wenn ich in einem speziellen Thema nicht total drin bin. Ist aber natürlich dennoch ein schwaches Argument. 😉 Aber ich habe tatsächlich auch etwas operative Erfahrung mit Magento,
Deine Argumentation speist sich aus – zumindest ist Dein Kommentar so zu verstehen – dass Adobe weiss was es macht und der Aufbruchstimmung seitens der Magento Führungsriege. Sorry, aber das überzeugt mich nicht, eher im Gegenteil. 😉
Was glaubst Du, welche Zielgruppe wird Magento künftig adressieren und warum sollte die Zielgruppe darauf anspringen, welche Vorteile hat Magento ggü. vergleichbaren Showsystemen? Und wie groß ist dieser Markt, der den Kaufpreis rechtfertigt? Und was müsste Magento noch tun, um für diese Zielgruppe attraktiv zu sein?
Freue mich auf feedback!
Andreas Ziethen meint
Bzgl. Hintergründe, Zielgruppe und Kaufpreis fand ich diese Analyse ganz interessant:
https://dri.es/my-thoughts-on-adobe-buying-magento-for-1-68-billion
Daraus wird auch deutlich, dass Magento für Adobe eher „2. Wahl“ ist. Hybris und DemandWare standen zuvor auf dem Einkaufszettel.
Dirk Aldekamp meint
Schon provokativ und so schwarz sehe ich es auch nicht. Aber Magento hat sich mit Ihrer Update-Politik vielleicht selbst abgeschafft. Der Wechsel von Version 1 auf 2 ist einfach so aufwändig, das sich die Kunden die Frage stellen ob dann nicht auch ein anderes System in Frage kommt. Und da hat die Fachpresse Shopware gut geholfen – jedoch in einigen Fällen auch zu Recht. Unterm Strich bleibt es wie es war – jeder Kunde sollte genau schauen was er braucht und wo er hin möchte und welches System am besten zu Ihm passt.