Auf t3n kocht gerade ein altes Thema wieder hoch, das immer wieder gern die Händler-Gemüter erregt: gefakte Bewertungen auf Amazon. Jochen G. Fuchs berichtet über eine Auswertung des Dienstleisters ReviewMeta, der rund sieben Millionen Bewertungen auf verschiedenen Amazon-Länderseiten anhand von 15 Kriterien auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht hat. Ergebnis: Jede fünfte Bewertung ist entweder eine Gefälligkeitsbewertung, gekauft oder gefälscht.
Diese Überschrift bietet natürlich genug Aufreger-Potenzial, um eine rege Diskussion auszulösen – siehe auch das Kommentarfeld unter dem t3n-Artikel. In der Hitze der Debatte kann leicht vergessen werden, dass hier eigentlich ein altbekanntes Thema neu aufgelegt wird: ReviewMeta hat seine Auswertung nämlich bereits im Juni 2016 (!) zum ersten Mal veröffentlicht.
Der damaligen Auswertung zufolge schnitten Produkte in incentivierten Reviews – also solchen Produktbewertungen, für die ein Kunde ein Produkt kostenlos zur Ansicht zur Verfügung gestellt bekommen hatte – um durchschnittlich 0,38 Sterne besser ab als in regulären Bewertungen. Dieser scheinbar kleine Unterschied wirke sich bereits deutlich auf das Ranking aus, warnte ReviewMeta damals.
Nun ist seit Juni 2016 in Sachen Bewertungs-Fakes auf Amazon eine Menge passiert. Der Online-Marktplatz hat das Problem erkannt und ging Ende letzten Jahres rigoros dagegen vor. Zunächst wurden incentivierte Produktbewertungen, bei denen Kunden ein vergünstigtes oder kostenloses Testprodukt im Gegenzug für ihre Bewertungen bekamen, im Rahmen einer neuen Richtlinie komplett verboten.
Zum Jahreswechsel zog Amazon dann die Konsequenz aus den neuen Regeln und löschte über Nacht zehntausende von Produktbewertungen, die den neuen Standards nicht mehr entsprachen. Manche Händler berichteten vom Verlust eines Drittels ihrer gesamten Bewertungen und massiven Einbrüchen beim Ranking.
Dass sich das harsche – und in Händlerkreisen viel beweinte – Vorgehen von Amazon gelohnt hat, zeigt ein Vergleich mit den Daten von ReviewMeta von vor einem Jahr. So nannte der Dienstleister in seiner Auswertung das Produkt „Rxvoit Noise Isolating Earbuds“ als Beispiel für einen besonders dreisten Einsatz von gefälschten Bewertungen.
Das Produkt brachte es damals mithilfe von incentivierten Bewertungen auf 4,5 Sterne – rechnete man diese Bewertungen mit Hilfe des Tools heraus, blieb aber eine Bewertung von nur noch 2,9 Sternen übrig. Lässt man heute das gleiche Produkt wieder durch die Analyse von ReviewMeta laufen, sieht das Ergebnis ganz anders aus:
Ähnlich sieht es auch bei den anderen Produkten aus, die ReviewMeta damals als Beispiele nannte. Die Maßnahmen von Amazon scheinen also tatsächlich zu greifen.
Allerdings gibt es immer noch viel zu tun; ich musste nicht lange suchen, um mithilfe des ReviewMeta-Tools auch heute noch Beispiele für unglaubwürdige Bewertungen zu finden – auch auf Amazon.de:
Es lohnt sich also durchaus auch heute noch, die eigenen Produkte mithilfe des kostenlosen Tools zu scannen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob die eigenen Bewertungen dem tatsächlichen Durchschnitt entsprechen – oder dafür, wieviel die Mitbewerber in gefakte Bewertungen investieren.
Händler, die Bewertungen kaufen, machen sich erpressbar
Dazu kommt: Mittlerweile haben Händler andere Wege gefunden, um ihre Bewertungsstatistik mit gekauften Fakes aufzubessern, wie Mark Steier berichtet. Über große Produkttester-Communities nehmen sie Kontakt zu professionellen Bewertern auf und bitten diese um eine Bewertung.
Dafür kauft der Nutzer das Produkt regulär auf der Amazon-Website, bewertet es im Regelfall mit fünf Sternen – und bekommt dann den Kaufpreis via Paypal vom Händler wieder zurücküberwiesen. Das Produkt darf er als Bezahlung behalten. Durch diese Methode kommt ein verifizierter Kauf durch den Kunden zustande – und das Händlerkonto wird durch die Zahlung via Paypal außerhalb des Amazon-Einzugsgebiets nicht durch übermäßige Rückgabe- oder Storno-Quoten belastet.
Diese Art von Fake-Bewertungen dürften durch die Alghorithmen von Amazon schwerer aufzuspüren und damit auch zu löschen sein – vor allem, wenn die Produkttester geschickt vorgehen und ihre 5-Sterne-Bewertungen nicht zu gehäuft abgeben. Sie bietet aber auch enorme Risiken, warnt Mark: Denn durch den klaren Verstoß gegen die Amazon-Regeln (und so nebenbei auch gegen das Wettbewerbsrecht) machen sich die Händler erpressbar.
Tatsächlich kommt es in den Produkttester-Communities wohl in letzter Zeit gehäuft zu Erpressungen-Versuchen, bei denen die Tester Händler mit ihrem Wissen unter Druck setzen. Mark hat da ein paar pikante Beispiele gefunden:
Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis Amazon auch Reviews, die auf diese Weise produziert wurden, aufs Korn nimmt. Und dann haben die Händler nicht nur den erpresserischen Reviewer am Hals, sondern auch eine Account-Sperrung.
Es bleibt dabei: Die aktuell einzige legale Möglichkeit für Händler, ihre Bewertungsstatistik zu verbessern, ist eine Teilnahme am – kostenpflichtigen – „Early Reviewer System“, das Amazon im Juni neu eingeführt hat.