Der weltgrößte Online-Marktplatz will gegen ein drängendes Problem vorgehen: gegen die „Bewertungsflaute“. Denn die Kunden kaufen zwar immer mehr, bewerten aber immer weniger. Gleichzeitig erfreuen sich Bewertungen als Entscheidungshilfe beim Kauf gleichbleibend großer Bedeutung. Um diesen gordischen Knoten aufzulösen, hat sich Amazon jetzt etwas Neues überlegt: bezahlte Bewertungen.
Wir erinnern uns kurz an letzten November: Damals hat Amazon „anreizbasierte Bewertungen“, also solche, bei denen Kunden mit kostenlosen Testprodukten oder Bonussystemen von Bewertungsclubs zu Produktbewertungen auf Amazon animiert werden sollten, rigoros verboten. Über 500.000 dieser incentivierten Bewertungen wurden zudem von heute auf morgen gelöscht. Das harte Vorgehen sorgte damals für einiges an Aufregung auf Händlerseite: Schließlich wird es bekanntermaßen immer schwerer, die Kunden zu Produktbewertungen bewegen, da schien vielen die mit Produkten oder anderen Vorteilen bezahlte Bewertungsakquise ein probates Mittel.
Nun scheint Amazon selbst erkannt zu haben, dass es ganz ohne Anreize für den Kunden eben nichts wird mit den so wichtigen, „echten“ Bewertungen. Deshalb vollführt der Online-Marktplatz eine kleine Rolle rückwärts und führt das neue „Early-Reviewer-System“ ein. Vor allem neue Produkte sollen damit schneller zu mehr Bewertungen kommen. Und das funktioniert so: Marketplace-Händler, die neue Produkte einführen, können diese über das Sellercentral beim Early-Reviewer-System anmelden. Angemeldet werden können aber nur Produkte, die weniger als fünf Bewertungen haben und mindestens 15 US-Dollar kosten, berichtet t3n.
Kauft nun ein Kunde eines der Produkte, die im Early-Reviewer-System angemeldet sind, kann es sein, dass Amazon ihn per E-Mail um die Abgabe einer Bewertung bittet. Kommt der Kunde der Aufforderung nach, bekommt er dafür einen Gutschein in einer Höhe zwischen einem und drei US-Dollar, egal, wie seine Bewertung ausfällt. Die Auswahl der Kunden erfolgt dabei völlig zufällig, die teilnehmenden Händler können einen Einfluss auf die Auswahl nehmen. Nur Kunden, die in der Vergangenheit gegen die Amazon-Richtlinien für Bewertungen verstoßen haben, sind ausgeschlossen.
Für diese Wundertüte müssen Händler bezahlen: 60 Euro verlangt Amazon pro fünf Bewertungen über das Early-Reviewer-System, berichten Händler in den US-amerikanischen Amazon-Foren.
Noch ist das System, das bereits seit Anfang des Jahres schrittweise ausgerollt wird, auf die USA beschränkt, eine Ausweitung auf den deutschen Markt dürfte aber eine Frage der Zeit sein.
Weiterer Lesestoff zum Thema: https://marketplace-analytics.de/blog-rezensionen-neue-produkte-amazon-early-reviewer-program
DaWe meint
Auf so eine bekl…. Idee kann auch wieder nur Amazon kommen. Ich als Händler bezahle Geld, damit Amazon seiner Marktplatzpflicht des Händlersupports nachkommt. Also ist wieder mal der Händler der Dumme, weil Amazon es nicht schafft, System und Plattform zu beherrschen – oder warum hat Amazon still und heimlich die Funktion deaktiviert, mit der ich als Händler Bewertungen anfordern kann???
Und wie wird das ganze dann zum Schluss aussehen? Ich liste ein neues Produkt, bezahle Amazon, damit die sich um Bewertungen für das neue Produkt kümmern und wenn dieses gut läuft, rennt Amazon zum Hersteller und macht das Folgegeschäft selbst. Und ich habe die „Marketingkosten“ bezahlt…
Peter Höschl meint
Das Programm wird m.E. aber laufen wie Bombe, da für Händler vielleicht die einzige Chance für neue Artikel zeitnah an Bewertungen zu kommen, wenn sie keine Fake-Bewertungen kaufen möchten.
Es gibt halt mindestens zwei Probleme: Die vielen „Industrie- bzw. Fakebewertungen“ und die Tatsache, dass Käufer per se kaum mehr bewerten.
Stefan meint
Sorry, aber das ist doch in Deutschland überhaupt nicht möglich!
Ich zitiere:
„Auch wenn im Online-Handel zu Reputationszwecken ein wirtschaftliches Bedürfnis für ein möglichst breites Spektrum an Kundenmeinungen zur unternehmerischen Leistung besteht, sind das Versprechen und die Gewährung von geldwerten Vorteilen für Rezensionen stets unzulässig, sofern über deren „Ankauf“ nicht jeweils unmittelbar aufgeklärt wird.“
http://www.it-recht-kanzlei.de/gegenleistung-kundenbewertung-online-shop.html
Peter Höschl meint
Nicht möglich oder nicht erlaubt?
Nicola Straub meint
Die Optionskarte der „Aufklärung“ hat Amazon ja auch früher schon gezogen und kann es ja auch hier dann wieder tun. Von daher sehe ich keine „Unmöglichkeit“.
Hörner Thomas meint
Ich habe da auch was in Erinnerung, dass vergütete Bewertungen als Werbung bzw. Anzeige zu kennzeichnen sind. Das wird amazon ja wohl kaum tun. Die Frage ist: würde das grundsätzlich auch für amazon als Vermittler gelten und wie würde man dann amazon dazu kriegen?
Content-Werkstatt meint
Heidernei, dass wird ein Spaß für die Händler. Was ist eigentlich, wenn die Kunden, die von Amazon ausgewählt werden, gar kein Interesse haben, eine Bewertung abzugeben? Und wenn der Kunde gar nicht kauft, weil es noch keine Bewertung gibt? Und wenn der Händler gleich als erstes eine schlechte bezahlte Bewertung kassiert und dann keiner mehr kauft? Fragen über Fragen. Das ist doch alles Augenwischerei. Amazon hat wieder eine neue Einnahmequelle entdeckt. Bewertungen werden dadurch nicht besser, wenn noch mehr Beteiligte darauf Einfluss nehmen …