Bereits seit längerem war klar, dass Amazon keine „anreizbasierten“ Bewertungen möchte. Und am letzten Dienstag hat die Plattform solche Bewertungen nun auch in Deutschland schlicht verboten. Doch nun geht Amazon noch einen Schritt weiter…
Aktuell sind die diversen „Bewertungsclubs“ sowie sonstige Anbieter von „Lösungen zum Bewertungsaufbau“ noch in heller Aufregung. Und auch manche Händler stehen vor dem Problem, was nun mit bereits bezahlten (bzw. anderweitig incentivierten), aber noch ausstehenden Bewertungen passieren soll, beispielsweise wie diese sinnvollerweise formuliert werden können.
Währenddessen hat Amazon angefangen, nach dem Verbot als anreizbasiert identifizierte Bewertungen nun auch zu löschen: So wurden in den USA bereits zum 23. November über eine halbe Million Bewertungen gelöscht, wie techcrunch berichtet:
It found that Amazon had deleted over 500,000 reviews, 71 percent of which were incentivized. The average rating for these deleted reviews was 4.75 stars – clearly much higher than the typical average. Some products even saw thousands of reviews removed – like this cosmetic scrub, which had 9,000 reviews removed, for example.
Übersetzung: Sie [Anmerkung: gemeint ist ReviewMeta] fanden heraus, dass Amazon mehr als 500.000 Bewertungen gelöscht hat, davon waren 71 % als anreizbasiert identifizierbar. Der Durchschnitt dieser Bewertungen lag bei 4,75 Sternen – deutlich höher als der normale Bewertungsdurchschnitt. Bei einigen Produkten wurden sogar Tausende Bewertungen entfernt, so wie beispielsweise bei diesem Cellulite-Peeling, bei dem 9.000 Bewertungen gelöscht wurden.
Die von techcrunch genutzte Datenbasis stammt von ReviewMeta, einem Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, die Produktbewertungen auf Shoppingplattformen wie Amazon auf vermutliche Manipulationen hin zu analysieren. Interessant ist dabei die Vorgehensweise, die sehr gut aufzeigt, wie incentivierte oder auch schlicht manipulierende Bewertungen erkannt werden können. Da im deutschen Amazon noch anreizbasierte Bewertungen existieren, lässt sich die Genauigkeit des Algorithmus eindrucksvoll testen, z. B. hier: http://reviewmeta.com/amazon-de/B01GJHRXBQ.
Allerdings dürfte Amazon über kurz oder lang sicherlich auch auf der deutschen Plattform zur Schere greifen, bzw. löscht nach Aussage von Händlern auch hier bereits. Schließlich zeigt obiges Beispiel sehr schön, dass dieselben Algorithmen, die im englischen Sprachraum verdächtige Bewertungen entlarven, auch im Deutschen brauchbare Ergebnisse erzielen.
Betrachtet man das von techcrunch angeführte Beispiel aus der Kosmetikabteilung zeigt sich allerdings auch, dass selbst der massive Lösch-Eingriff von Amazon nicht dazu geführt hat, eine vertrauenswürdigere Bewertungslage herzustellen. Denn bereits direkt nach der Löschaktion schätzt ReviewMeta viele der noch bestehenden Bewertungen zu dem Peeling als hochgradig verdächtig ein. Und während in der vom 13.11. stammenden Berechnung von ReviewMeta die als „unnatürlich“ angesehenen Bewertungen die Durchschnittsnoteder Creme (noch) nicht pushen, zeigt ein kurzer Blick auf die aktuellsten Bewertungen, dass hier offenbar erneut massiv geschoben werden soll: Alle aktuellen Bewertungen tragen fünf Sterne und entsprechend dürfte der Schnitt bald angehoben werden. Amazon steht hier offenbar vor einem weiteren Kampf mit Windmühlenflügeln…
Wir sind neugierig: Wie stehen Sie zum neuen Umgang Amazons mit Bewertungen?
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Herzlich aus Hürth
Nicola Straub
PS: Wer sich den „Kampf um Bewertungen“ einmal von der anderen Seiten aus ansehen möchte, findet hier einen interessanten Bericht eines Produktbewerters, der zeigt, dass auch auf dieser Seite der Medaille mit harten Bandagen gekämpft wird.
Bild: ‚PatternPictures‘ via Pixabay
Nix meint
Das sollte Amazon aber bei sich selber anfangen. Wir wurde am Telefon sogar angeboten, wenn ich „Verkauf und Versand durch Amazon“ mache, das ist NICHT FBA, dass Amazon Bewertungen dafür erstellen lässt durch Gratis-Kundenmuster.
Ich sagte nein und bekam dann vor meinen Bestseller einen anderen Anbieter vor die Nase … der natürlich auftauchte wie aus dem „nichts“.
Nicola Straub meint
Ja, das ist die einzige Ausnahme, die Amazon in seinen neuen Richtlinien vorgesehen hat: Der eigene Bewertungsclub „Vine“. Da wird natürlich mit unterschiedlicher Messlatte gemessen, geht es doch darum, den eigenen „Club“ zu schützen.
Vom Hintergrund her dürfte es Amazon vor allem darum gehen, dass die Plattform ja dasselbe Problem hat, wie Händler auch: Wirklich hochwertige und aussagekräftige Bewertungen zu den Produkten auf rein freiwilliger Basis zu bekommen, ist nicht einfach. Gleichzeitig sind die Bewertungen aber genau DAS PFUND, mit dem Amazon zu dem gewachsen ist, was es ist: Das Produktrecherchetool Nr. 1, auf dem dann der Bequemlichkeit halber auch gleich gekauft wird. Von daher möchte Amazon den Hebel, an hochklassige Bewertungen zu gelangen, behalten. Nur soll es aber eben ein Hebel sein, den es komplett unter Kontrolle hat.
Herzlich, Nicola Straub
Sebastian Feige meint
Gemeint ist ja sicherlich „Algorithmen“ und nicht „Logarithmen“, oder…?! 😀
Nicola Straub meint
Hihi,
ich kenne einen, der, wenn dem früher auf Partys zu sehr vorgerückter Stunde jemand sagte, „Du sieht aber fertig aus“, immer entrüstet antwortete:
„Was? Quatsch! Ich könnte aus dem Stand ’ne Matheklausur schreiben!“
Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass ich beim Verfassen des Artikels irgendwie „abgefeiert“ gewesen wäre, aber das mit der Matheklausur muss irgendwie in meinem Kopf gehangen haben… 😉
Danke für den Hinweis, wird sofort korrigiert!
Herzlich, Nicola Straub
Michael Wiechert meint
Naja,
Bewertungen die mit „dieses Produkt wurde mir zu Testzwecken zur Verfügung gestellt, was meine Bewertung aber nicht beeinflusst hat“ sollten selbst für Amazon (dessen nicht immer sinnvollen Algos Produkte betreffend die Händler ja oft zur Verzweiflung treiben) zu finden sein 🙂
Nicola Straub meint
Es gibt aber noch viel mehr Fakebewertungen, die nicht diesen Zusatz tragen. Tatsächlich denke ich: Für Kunden sind solche gekennzeichneten Bewertungen gar nicht mal das größte Problem, denn dank dieser Kennzeichnung kann man die ja einschätzen. Die versteckten Fakebewertungen sind das größere Problem, und um diese zu finden, müssen schon ein paar mehr Kriterien überprüft werden.
Dennoch sind auch solche ganz gut auffindbar, die Algorithmen von ReviewMeta machen es ja vor.
Allerdings gibt es da schon Probleme, wenn man dann löscht: Denn beispielsweise 1-Produkt-Bewerter, Neu-Bewerter, Bewerter von ähnlichen Produkten: Solche Konstellationen kommen eben doch manchmal auch bei „normalen Menschen“ vor, die ihre Bewertungslaufbahn erst beginnen, die verschiedene Verbrauchsprodukte gegeneinander testen etc. Kurzum: Bewertungen als fragwürdig zu flaggen ist nicht soooo schwierig – geht es jedoch ums Löschen, muss man schon noch mal deutlich vorsichtiger sein.
Herzlich, Nicola Straub
Gunilla Strom meint
War ja nur eine Frage der Zeit, bis Amazon so vorgeht. Über kurz oder lang werden alle review-Portale nicht umhin kommen, den fake-Filter zu überprüfen. Auch bei Hotelportalen ist ja teilweise die Hälfte der Bewertungen gefakt.