Bewusst versuchen wir, in unserer Rubrik „Local Heroes“ nicht zu sehr auf den plakativen Begriff Multichannel zu setzen. Denn in einer vereinfachten Auslegung verbirgt sich dahinter oft nicht mehr als die serielle Verknüpfung von stationärem Handel und standardisierten E-Commerce-Funktionen (Online-Shop, Verfügbarkeitsabfragen, Warenreservierung, etc.). Während viele dieser zu kurz gegriffenen Multichannel-Konzepte vor allem als Selbstzweck fungieren, steht bei den „Local Heroes“ der konkrete (Kunden-)Nutzen einer On-/Offline-Integration im Vordergrund. Unser aktuelles Beispiel zeigt dabei, dass es auch ohne Fixierung auf den rein kommerziellen Aspekt des E-Commerce spannende Ansätze geben kann.
Kleiderkreisel: „Benutzen statt Besitzen“
Das liegt auch daran, dass es sich bei Kleiderkreisel um eine gänzlich untypische E-Commerce Plattform handelt. Mit über 1,8 gelisteten Millionen Produkten, 310.000 Mitgliedern und über 5,7 Millionen Visits im Monat verfügt Kleiderkreisel zwar über eine mehr als beachtliche Reichweite. Doch anders als Ebay & Co. verfolgt Kleiderkreisel einen komplett anderen Ansatz: Die Plattform geht auf das Prinzip der Collaborative Consumption zurück, hat es sich statt einer Umsatz- und Gewinnmaximierung also vielmehr auf die Fahnen geschrieben, der Verschwendung von Ressourcen entgegenzuwirken.
Kleiderkreisel will Menschen dazu animieren, nicht mehr getragene Kleidungsstücke weiterzugeben und versteht sich deshalb auch nicht als klassische Handelsplattform. Die Nutzer können entscheiden, ob sie die über Kleiderkreisel angebotenen Fashion-Artikel verschenken, tauschen oder verkaufen möchten. Die Transaktionen laufen ausschließlich zwischen den beteiligten Mitgliedern der Plattform ab. Der Plattformbetreiber, das litauische Unternehmen Miju Projects (Kleiderkreisel ist die deutsche Version des litauischen Originals manodrabuziai.lt), sieht seine Rolle vor allem in der Bereitstellung der Technologie, dem Betrieb der dazugehörigen Kleiderkreisel-Community sowie der Vermarktung von Werbeflächen.
In letzterem Bereich hat Kleiderkreisel durchaus einen Sinn für Marktgegebenheiten bewiesen und arbeitet seit Mai 2012 bei der Werbevermarktung mit der Glam-Media-Gruppe zusammen. Wie Kleiderkreisel.de-Gründerin Sophie Utikal betont, stecke hinter der Plattform zwar kein großer Konzern, der teuer finanziert werden müsse. Allerdings sei es das Ziel von Kleiderkreisel, sämtliche Dienste für die User kostenlos anzubieten. „Denn das nachhaltige Prinzip des Collaborative Consumption hat nur dann einen großen, nachhaltigen Effekt, wenn viele daran teilnehmen“, so Utikal. Deswegen habe man sich für eine Werbefinanzierung entschieden. Neben einigen festen Mitarbeitern gebe es bei Kleiderkreisel zudem eine ganze Reihe ehrenamtlicher Forenmoderatorinnen. „Das sind reguläre Mitglieder, denen Kleiderkreisel so wichtig ist, dass sie uns bei der Arbeit freiwillig und unentgeltlich unterstützen möchten“, erklärt Utikal.
Vorstoß in die Offline-Welt
Im Sommer 2012 hat Kleiderkreisel unter dem Motto „Kreisel im Viertel“ auch einen Vorstoß in die Offline-Welt unternommen: Per Online-Formular können Kleiderkreisel-Mitglieder ihren Vorschlag für eine Tauschparty in ihrem Viertel einreichen. Die originellsten Vorschläge werden von Kleiderkreisel mit 500 Euro in bar unterstützt und erhalten zudem Hilfe bei der Bewerbung der Veranstaltung sowie Besuch von einem professionellen Fotografen, der das Event mit der Kamera festhält. Für Kleiderkreisel-Gründerin Sophie Utikal ist wichtig, dass es sich dabei um keine realitätsferne Marketing-Idee der Plattform-Betreiber handelt: „Kleiderkreisel entwickelt sich durch und mit den Usern weiter. Nach einem lokalen Event in München war die Nachfrage nach weiteren Events im gesamten deutschen Raum überwältigend. Jeder wollte mithelfen. Und da wir mit unserem kleinen Team diese Menge an Events nicht stemmen können, kam die Idee, sie gemeinsam mit den Usern umzusetzen.“
Auch nach dem Aufruf zu den lokalen Tausch-Parties betrachtet Utikal Kleiderkreisel.de nicht als Multichannel-Händler: „Klassisches Multichannel funktioniert bei unserem extrem schnellen, privaten Tauschhandel nicht.“ Zudem habe sich Kleiderkreisel schon aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel bisher überwiegend auf den Online-Kanal konzentriert und wolle auch künftig eine reine Online-Plattform bleiben. Utikal setzt stattdessen auf den Multiplikatoren-Effekt von „Kreisel im Viertel“: „Es ging uns darum, die Idee von Kleiderkreisel erlebbar zu machen und die Mechanismen der Konsum-Gesellschaft zu hinterfragen.“ Die Tausch-Parties sind damit eine Art Marketing-Gag, allerdings ein Spaß mit durchaus ernstem Hintergrund: So soll der „Kreisel im Viertel“ nicht nur die Bekanntheit von Kleiderkreisel.de weiter steigern, sondern auch das dahinterstehende alternative Konsum-Modell verbreiten helfen.
Erfahrungswerte gibt es noch keine, da sich „Kreisel im Viertel“ erst in der Umsetzung befindet. Es ist aber zu erwarten, dass der Erfolg durchaus den Effekt früherer stationärer Aktivitäten von Ebay übertreffen könnte: 2008 hatte der E-Commerce Plattformbetreiber für einige Tage im ehemaligen Hotel Cumberland am Kurfürstendamm das „eBay Showhaus“ eingerichtet – erinnert sich heute noch jemand daran?
Unter dem Motto „Local Heroes“ veröffentlicht Shopanbieter.de in regelmäßiger Folge Beispiele für die gelungene Verknüpfung von Onlinehandel und stationärem Geschäft.
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