Angesichts einiger hundert Neuinfektionen pro Tag und immer weitreichenderer Shutdown-Lockerungen konnten die deutschen Marktplätze im Mai nach und nach zu einer neuen Normalität zurückkehren – mit Hygienekonzepten, Abstandsmarkern im Lager und Schutzmasken für das Personal. Die Quartalszahlen zum 1. Geschäftsquartal 2020 erlaubten zudem eine erste Bilanz über den Schaden, den Corona in der Branche angerichtet hat. Hier zeigt sich: Der Virus hat in bestehenden Geschäften deutliche Spuren hinterlassen, aber auch Chancen eröffnet. Facebook zog den lang erwarteten Launch seiner Shop-Lösung für KMU-Händler vor, Schuhe24 eröffnete seinen sechsten Marktplatz, Etsy verdoppelte seine Monatsumsätze, ManoMano nutzte die Krise, um in Sachen Deutschland-Start marketing-technisch in die Vollen zu gehen, und eBay experimentierte mit einer eigenen Video-Lösung.
Das Thema des Monats: Die Corona-Bilanz der Marktplätze
Seit Ende Mai läuft das Leben für Amazon-Seller weitgehend normal. Die Plattform hob sämtliche Priorisierungen für lebensnotwendige Produkte auf. Auch die in der Krise verlängerten Retourenfristen wurden nicht verlängert. Ab dem 1. Juni gelten damit wieder die üblichen Retourenzeiten. Mit der Rückkehr zur Normalität endet auch Amazons außergewöhnliche Kulanz gegenüber schwacher Liefer-Performance von Seller-Seite: Bis Ende Mai drückte der E-Commerce-Riese bei vermehrt verspäteten Lieferungen, einer höheren Stornorate und einer höheren Defekt-Rate bei Bestellungen ein Auge zu – damit ist jetzt Schluss. Gute Nachrichten hatte Amazon für die während der Corona-Krise zusätzlich eingestellten Logistik-Mitarbeiter: Von den 175.000 befristet eingestellten Mitarbeitern sollen 125.000 übernommen werden.
Der Handmade-Marktplatz Etsy konnte besonders von der Corona-Krise profitieren, wie ein Blick auf dessen Quartalszahlen zeigt. Im Mai hat die Plattform umsatzseitig um fast 140 Prozent zugelegt, im April wuchs der Marktplatz um 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Zudem starteten 165.000 neue Verkäufer im Mai auf dem Marktplatz, doppelt so viele wie sonst. Der Corona-Peak wirkte sich auch auf die gesamten Quartalszahlen von Q1 aus – hier steht im Jahresvergleich ein GMV-Zuwachs von 18 Prozent auf 1,2 Mrd. US-Dollar. ->Marketplace Pulse
Auch eBay Kleinanzeigen kann sich über einen Corona-Peak freuen. Trotz Kontaktverbot verzeichnete die Plattform im April mit 40 Millionen aktiven Angeboten ein Allzeithoch. „Deutschland mistet aus“ lautet deshalb die Interpretation von eBays Pressestelle. „Die Zeit der inneren und äußeren Einkehr“ habe zu einem Anstieg im Secondhand-Geschäft geführt, meint Paul Heimann, Chef von Ebay-Kleinanzeigen im Interview mit Stores+Shops. Da verwundert es nicht, der Investor KKR und die Axel Springer SE ein Angebot in achtstelliger Höhe für die hochfrequentierte Kleinanzeigen-Plattform abgegeben haben sollen.
Weniger gut kam die Otto Group mit dem Corona-Einbruch zurecht: In dem Ende Februar abgelaufenen Geschäftsjahr 2019/20 waren zwar Umsatz und Gewinn noch kräftig gestiegen – der Umsatz kletterte um 4,8 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro, im Online-Geschäft konnte der Versandhändler sogar um 6,2 Prozent auf 8,1 Milliarden Euro zulegen. Der Jahresüberschuss stieg von 177 auf 214 Millionen Euro. Für das laufende Geschäftsjahr rechnet der Vorstandschef Alexander Birken zwar mit weiterem Zuwachs beim Umsatz – aber mit einem rückläufigen Gewinn. Grund dafür seien eine „historisch schlechte Konsumstimmung“ sowie erhöhte Aufwände für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter, zitiert die „Internetworld“ Vorstands-Chef Alexander Birken.
Marktplatz-News aus Deutschland
Auf der Bilanzpressekonferenz hat Otto ein paar Eckdaten zum bisherigen Marktplatzgeschäft von Otto.de veröffentlicht und Jochen Krisch hat da besonders gut hingehört: Bisher seien bei Otto 300 Händler an Bord, die zum Gesamtumsatz von knapp 3,5 Milliarden Euro einen einstelligen Umsatzanteil beitragen. Damit käme also bisher jeder im Schnitt auf ein rundes Milliönchen.
Zahlen gab es von Otto auch zu den drei Marktplatz-Töchtern About You, Mytoys und Limango: Demnach sind die Umsätze um 62 Prozent auf 739 Millionen Euro gestiegen und laut Geschäftsbericht arbeitet About You jetzt im DACH-Raum operativ profitabel. Zudem hat About You umsatzseitig die Konzernschwester Mytoys überholt, die 720 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete. 272 Millionen Euro davon stammen von Limango. Wie hoch der Umsatzanteil der Marktplatzpartner auf den drei Plattformen ist, verriet die Otto Group leider nicht. ->Exciting Commerce
Die Online-Plattform Schuhe24 wurde in der Zeit des Corona-Lockdowns von verzweifelten stationären Händlern nachgerade überrannt, verriet uns Geschäftsführer Dominik Benner kürzlich im Podcast-Interview. Im Mai hat sich deshalb die Anzahl der Produkte auf allen Plattformen verdoppelt, über 2.000 Händler verkaufen jetzt über die Schuhe24-Gruppe. Anfang Juni ging mit Dein-Juwelier.de die sechste Plattform an den Start. Gleichzeitig arbeitet der Markplatz-Anbieter daran, die Reichweite seiner Angebote durch Kooperationen auszubauen. Die jüngste Zusammenarbeit gilt den Regional-Marktplätzen von Locamo. Eine Schnittstelle bindet die Schuhe24-Angebote direkt auf deren Plattformen ein.
Während viele Unternehmen im Zuge der Coronakrise ihre werblichen Aktivitäten auf Eis gelegt haben, gibt es ein Start-up, das seit acht Wochen Vollgas gibt: Manomano. Der französische Online-Baumarkt hat Mitte März seine erste große TV-Kampagne in Deutschland gestartet und will seine Werbeinvestitionen noch weiter verstärken. ->Horizont.net
eBay hat seine Video-Plattform REEL gestartet. Sie erlaubt Händlern das zusätzliche Platzieren von Videos in ihren Listings. Der Wermutstropfen: Bisher ist die Funktionalität nur für die eBay Motors App in den USA verfügbar. Eine Erweiterung auf die gesamte Plattform ist aber geplant.->Wortfilter.de
Mit dem FBA New Selection Program können Händler seit März neu auf Amazon eingeführte Produkte für einen gewissen Zeitraum kostenlos in den FBA-Logistikzentren einlagern. Das Programm kam bei der Händlerschaft offenbar gut an und wird jetzt ausgeweitet: Ab sofort können Händler bis zu 500 neue ASINs (bisher 300) pro Jahr für das Programm anmelden. Die Lagerkosten für die ersten 50 Produkteinheiten dieser ASINs werden von Amazon für 90 Tage erlassen. In einigen Kategorien werden auch die Retourenkosten dieser 50 Produkteinheiten in den ersten 120 Tagen der Einlagerung erstattet.
Aus aller Welt
Facebook gibt im E-Commerce Vollgas: Mit „Facebook Shops“ haben Händler jeder Größe künftig die Möglichkeit, kostenlos Shops auf Instagram und Facebook zu eröffnen.Dazu kommt „Live Shopping“: die Möglichkeit, Waren in einem Video-Livestream zu verkaufen. In Kürze sollen die Shops auch noch in die Messenger integriert werden können. Die Einrichtung der Shops ist für Händler kostenlos, Gebühren fallen nur für die Nutzung des integrierten Bezahlsystems an. Da will sich Facebook allerdings zurückhalten und nur „die Kosten decken“. Schließlich erhofft sich Facebook von dem Angebot vor allem einen Anstieg bei den Facebook Ads – die neuen Shops wollen ja beworben werden. ->t3n
Auch Pinterest wittert im Online-Handel Chancen und erlaubt mit dem neuen Feature „Shopping Spotlights“, Produkte zu kuratieren, die die Nutzer dann kaufen können. Spannend ist dies für Publisher, Influencer und Gast-Redakteure. ->WWD.com
Was Kunden mit Amazon Pantry anfangen sollen, wenn es auch Amazon Fresh, Amazon Go und die Spar-Abos für Verbrauchsgüter auf dem normalen Amazon-Marktplatz gibt, war nicht so wirklich einzusehen. Das hat jetzt auch Amazon erkannt. Ende Juni wird das Programm eingestellt. Die beliebtesten Bestseller sollen dann über das reguläre Sortiment von Amazon bestellbar sein.
Während Amazon hierzulande weiterhin eine Plattform ist, auf der Kunden gezielt Produkte suchen (und in der Regel auch finden), versucht sich der E-Commerce-Riese in den USA an einem Wandel hin zu einem eher inspirativen Verkaufsansatz. Initiativen wie Amazon Live, #FoundItOnAmazon, Launchpad oder das Influencer-Programm zeigen, was möglich ist. Ob die Kunden den Amazon-Wandel auch annehmen, steht noch auf einem anderen Blatt.
Alles was Recht ist
Die Münchner IT-Recht-Kanzlei warnt Händler vor einem neuen Massenabmahner: Die Berliner iParts GmbH, die Handys, Smartphones und Tablets repariert und vertreibt, mahnt derzeit massiv eBay-Händler ab, die ebenfalls in diesem Segment aktiv sind.
Marktplatz-Zahlen
Billig-Marktplätze aus Fernost wie Wish und Co. liegen derzeit voll im Trend. Und ihr Erfolg hängt an einem einzigen Kriterium: am Preis. Das zeigt eine aktuelle Studie des ECC. Demnach nehmen 68 Prozent der Nutzer dieser Plattformen auch wochenlange Lieferzeiten in Kauf, wenn sie damit gegenüber einem vergleichbaren in Deutschland gelagerten Produkt deutlich sparen können.
Newcomer des Monats
Der Omnichannel-Schuhhändler Goetz will seinen eigenen Online-Shop zum Marktplatz ausbauen, auf dem auch externe Anbieter ihre Produkte anbieten können. Aktuell scheint er damit vornehmlich Marken im Auge zu haben, beispielsweise Lloyd, Apple of Eden und Affenzahn Kinderschuhe. Um den gewandelten Einkaufsgewohnheiten gerecht zu werden, arbeitet der Einzelhändler zudem an einer stärkeren „Verzahnung von Online- und Stationärgeschäft“.
Abschied des Monats
Es ist schon einige Jahre her, als Jet.com sich vollmundig als Amazon-Kompetitor inszenierte. Die Marketing-Strategie ging auf, 2016 übernahm Walmart die Plattform für sage und schreibe drei Milliarden Dollar. Danach hörte man nicht mehr viel von Jet.com; Walmart nutzte die Plattform eher, um seine eigenen E-Commerce-Ambitionen zu stärken. Diese Strategie ist aufgegangen, im ersten Quartal sind die E-Commerce-Umsätze auf Walmart.com gegenüber dem Vorjahr um 74 Prozent gestiegen. Jetzt zieht Walmart die Konsequenz – und stellt den Steigbügelhalter Jet.com ein.
Marktplatz-Fund des Monats
Die größte russische E-Commerce-Plattform Wildberries.ru verkauft seit Januar in Polen und läuft unter der Adresse wildberries.eu. Deutschland und Frankreich seien ebenfalls interessante Märkte, ließ Gründerin Tatjana Bakaltschuk, ihres Zeichens reichste Frau Russlands, kürzlich verlauten. Da könnte sich ein Amazon-Konkurrent warm machen, spekuliert eine sichtlich beeindruckte Internetworld.
Kurioses
Dieses Unternehmen kauft Amazon-Händlern ihr Business ab und ist bald eine Milliarde wert: Das US-Start-up Thrasio macht kleine Amazon-Händler zu Millionären, um sich ihre Brand einzuverleiben. Was ist die Strategie des aggressiv wachsenden FBA-Aufkäufers? >>>OMR.com