Die Einführung eines neuen ERP-Systems ist für Online-Händler so etwas wie eine Operation am offenen Herzen: Das entscheidende Tool für den Geschäftserfolg wird ausgetauscht, während der Betrieb möglichst ungestört weiterlaufen soll. Und wie bei der Herz-OP ist auch hier die sorgfältige Vorbereitung der Schlüssel zum Erfolg. Damit Händler sicher sein können, das beste ERP-System für ihr Geschäft zu finden, ist eine Menge an Recherche nötig. Hier ein paar Tipps für die Suche.
Mit dem ERP-System ist es bei den meisten Online-Händlern ja so eine Sache: Eigentlich ist die komplexe Software, die sämtliche Geschäftsprozesse eines Handelsunternehmen steuert, betriebliche Ressourcen wie Kapital, Personal oder Produktionsmittel verwaltet und für den reibungslosen Austausch von unternehmenswichtigen Datensätzen beispielsweise zwischen dem Shopsystem und der Warenwirtschaft sorgt, absolut unverzichtbar für den Erfolg eines Online-Shops.
Und trotzdem beschäftigt sich kaum ein Händler gern damit – eben weil das Thema so komplex ist und dadurch Änderungen am ERP-System schnell das ganze Geschäft empfindlich beeinflussen können. Deshalb verschieben sie die längst fällige Entscheidung über die Einführung eines neuen ERP-Systems bis hin zur Geschäftsschädigung – bis es dann auf einmal ganz schnell gehen muss und für eine anständige Informationssuche keine Zeit mehr bleibt.
Erster Schritt: Prozesse definieren, Optimierungspotenzial identifizieren
Dabei kann eine geordnete Suche nach dem passenden ERP-System auch dabei helfen, sich einen neuen Überblick über die eigenen Unternehmensprozesse zu verschaffen und Optimierungspotenzial zu identifizieren. „Am Anfang der Suche nach einem neuen ERP-System steht die Frage: Warum brauchen Sie eine neue Lösung?“, rät Chris Jacob, Pre Sales Consultant beim ERP-Anbieter cateno.
„Sie müssen überlegen: Welche Prozesse sollen mit dem ERP optimiert werden? Welche Prozesse müssen unbedingt beibehalten werden?“ Auf diese Fragen gibt es keine Standardantworten, da Prozesse in jedem Unternehmen sehr individuell ablaufen. Dazu kommen eventuell spezielle fachliche Anforderungen, die das ERP ebenfalls abdecken muss. „Dazu gehören beispielsweise Stücklistenvarianten, Streckengeschäft, Chargen, Seriennummern, Schnittstellen zu Anbietern, Shopsystemen oder verschiedenen Verkaufskanälen wie Online-Marktplätzen“, zählt Jacob auf. „Ein wirklich passendes ERP kann alle wichtigen Prozesse eines Unternehmens abdecken.“
Um diese Prozesse vor der Auswahl einer neuen Software zu definieren, empfiehlt der Experte ein Flussdiagramm. „Am besten zeichnet man den Workflow im Unternehmen genau auf und lässt alle beteiligten Mitarbeiter nochmal drauf schauen, ob auch alle Prozesse vollständig abgebildet sind“, so Jacob. „Daran sieht man dann gleich sehr schnell, welche Workflows zu lang und zu aufwändig sind und deshalb von einer Automatisierung am meisten profitieren könnten.“
So stellt sich in so einem Diagramm oft auf einen Blick heraus, wo ein Flaschenhals im System steckt, weil beispielsweise ein Prozess an einem überarbeiteten Mitarbeiter hängenbleibt. Genau an diesem Punkt sollte dann die Automatisierung durch ein ERP ansetzen – beispielsweise durch automatisierten Zahlungsabgleich oder die automatisierte Übergabe von Aufträgen aus dem Shopsystem in die Warenwirtschaft. Wichtig dabei ist: Mitarbeiter, die bereits seit Jahren in einem eigentlich optimierungsbedürftigen Prozess arbeiten, erkennen meist nicht, dass es Verbesserungsbedarf an ihren Abläufen gibt. Dafür braucht es schon den übergeordneten Blick eines Projektleiters. Auch ein externer Blickwinkel kann helfen, die Anforderungen an ein neues ERP zu definieren.
Webinar-Aufzeichnung: Welche Fragen Sie sich bei der Auswahl eines ERP-Systems stellen sollten
In unserem Webinar, erläuterte der ERP-Experte Chris Jakob von cateno, worauf es bei der Auswahl eines ERP-Systems ankommt. Besonders interessant natürlich, wie bei jedem guten Webinar, auch die darauffolgende Diskussionsrunde. In dieser wurden Fragen aus der Praxis für die Praxis gestellt und beantwortet.
Zweiter Schritt: Rahmenbedingungen festlegen
Steht schließlich fest, was das neue ERP können soll, müssen im nächsten Schritt technische und preisliche Rahmenbedingungen festgelegt werden. Ist eine Cloud- oder eine On-premise-Lösung gewünscht? Greifen alle Mitarbeiter vor Ort auf die Lösung zu, oder braucht es Remote-Zugänge? Soll die Lösung physisch oder virtualisiert arbeiten? Und schließlich: Wieviel Budget steht für das ERP-System zur Verfügung? Deckt das Budget nicht nur die Lösung selbst, sondern auch die Dienstleistung für die Einrichtung und die internen Ressourcen ab, die durch die Umstellung verbraucht werden?
Viele Unternehmen unterschätzen vor allem die hohe Arbeitsleistung, die ihre Mitarbeiter in die Einführung des neuen Systems investieren müssen – und die dann in der Umstellungszeit an anderer Stelle fehlt. Deshalb ist es besonders wichtig, alle betroffenen Mitarbeiter in die Neu-Einführung einzubinden, rät cateno-Mann Jacob.
„Im Optimalfall wird ein Projektteam benannt, dass sich um die Einführung kümmert, und in dem Mitarbeiter aus allen betroffenen Abteilungen (E-Commerce, Lager, Verkauf, Buchhaltung etc.) vertreten sind. Mitarbeiter, die direkt mit dem neuen System arbeiten, müssen auf jeden Fall informiert und geschult werden.“
Dritter Schritt: Dienstleister ansprechen und auf Detailebene grillen
Leider gibt es bisher in der Branche so gut wie keine unabhängigen ERP-Berater, die Online-Händlern bei der Suche nach der geeigneten Lösung behilflich sein können. Es bleibt also nichts anderes übrig, als die aufwändige Recherche nach dem passenden System selbst zu übernehmen und dabei mit verschiedenen ERP-Anbietern, die zum eigenen, vorher definierten Profil passen könnten, intensiv Kontakt aufzunehmen.
Und da wir hier von Investitionssummen von mindestens 20.000 bis 30.000 Euro sprechen, sollte die Entscheidung über das neue System auf jeden Fall auf Chefebene getroffen werden – nachdem sorgfältig in einem ausführlichen Entscheidungsprozess möglichst alle Eventualitäten bedacht wurden. Für das Gespräch mit verschiedenen Lösungsanbieter hier noch ein paar Tipps von Chris Jacob:
Vier wichtige Fragen an den ERP-Dienstleister:
- Kann die ERP-Lösung alle vorher definierten benötigten B2C- und B2B-Prozesse abbilden?
- Welche Prozesse können mit der Lösung automatisiert werden?
- Kann die ERP-Lösung skalieren, wenn der Online-Shop wächst? Kann das System mit der Planung für die nächsten fünf Jahre mithalten und auch eventuell durch neue Geschäftsbereiche entstehende Anforderungen abdecken?
- Gibt es integrierte Schnittstellen für unternehmenswichtige Prozesse, z.B. zu einem bestimmten Shopsystem, zu Online-Marktplätzen, zu Versandlogistik-Lösungen oder auch zu Fibu und Steuer-Lösungen?
Vier teure Kostenfallen bei der Einführung von ERP-Lösungen:
- Der Dienstleistungsaufwand (intern wie extern) wurde vorab nicht ausreichend definiert
- Das User-Modell passt nicht zum Arbeitsablauf; User-Lizenzen werden beispielsweise per Nutzer oder per Arbeitsplatz vergeben – und bei vielen Teilzeitkräften kann eine Nutzer-Lizenz unnötig teuer werden. Unerwartet teuer ist bei vielen ERP-Lösungen auch die Buchung zusätzlicher Lizenzen, wenn beispielsweise die Mitarbeiterzahl wächst.
- Das Abrechnungsmodell – sei es nach Transaktionen, nach Auftragsmengen oder nach Prozessmengen – passt nicht zum Unternehmen. Oder ein Transaktionslimit ist zu niedrig angesetzt, so dass das System nach einem Unternehmenswachstum unnötig teuer wird.
- Zusatzkosten für zusätzlich buchbare Module wurden bei der Kalkulation nicht berücksichtigt.
Webinar-Aufzeichnung: Welche Fragen Sie sich bei der Auswahl eines ERP-Systems stellen sollten
In unserem Webinar, erläuterte der ERP-Experte Chris Jakob von cateno, worauf es bei der Auswahl eines ERP-Systems ankommt. Besonders interessant natürlich, wie bei jedem guten Webinar, auch die darauffolgende Diskussionsrunde. In dieser wurden Fragen aus der Praxis für die Praxis gestellt und beantwortet.
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