Beim 19. ECC-Forum „Von Multi-Channel zu Cross-Channel“ wurde das Thema vorwiegend unter dem Blickpunkt stationärer Händler und ihrer Probleme bei der Integration von Onlinekanälen betrachtet. Dennoch gab es einige interessante Erkenntnisse auch für bestehende Onlineshops. Hier meine Kurznotizen zusammengefasst:
Statt E-, M-, S-Commerce nur noch „Commerce“
Die Kunden bewegen sich heute bereits quer über alle Kanäle. Auch wer stationär kauft, informiert sich zuvor im Web und umgekehrt, Anfragen laufen über Call Center, aber auch über Social Media, nach einem stationären Kauf wird auch via E-Mail reklamiert oder bei Onlinekauf via Telefon (bemerkenswerte Zahlen dazu liefert eine aktuelle ECC-Studie sowie Googles Click-2-Store-Untersuchungen).
Der Tenor mehrerer Vorträge war daher auch:
Dem Kunden ist es egal, ob oder wie Sie die verschiedenen Kanäle intern integrieren – er kauft bei dem, der es schafft.
Ohne die stationären Mitarbeiter geht nichts, sie zu begeistern ist schwierig
Daniel Boldin, Geschäftsführer von Promarkt (REWE) versucht, den Begriff der „Kanäle“ generell zu vermeiden, weil Kunden damit gar nichts anfangen können. Ein Hauptfaktor, an dem der Aufbau einer Onlineschiene scheitere, sind die Mitarbeiter. Es sei absolut entscheidend, die Mitarbeiter dazu zu bekommen, den Schritt aktiv mitzugehen. Promarkt hat darum in die Schulung von Mitarbeitern ebenso viel Geld gesteckt wie in den Aufbau des Shops und den Ausbau der IT.
Auch die Geschäftsführerin von Lascara (Otto) räumte ein, dass viele gute Projekte an den Mitwarbeitern in den Läden scheiterten, beispielsweise die Online-Bestellung von Out-of-Stock-Ware an der Ladentheke per iPad. Zumal viele gute Wäscheverkäufer(innen) meist eher älter sind, investiert auch Lascara massiv in Mitarbeiterschulungen und Incentivierung. Manchmal müsse man einfach pragmatisch sein, dann führten die Verkäufer eben eine Strichliste über die so ausgelösten Online-Bestellungen…
Online ordern, im Laden abholen birgt bündelweise Herausforderungen
Niklas Mahrdt, Professor an der Rheinischen Fachhochschule in Köln und Geschäftsführer von Media Economics berichtete, dass bei Ernstings Family viele Onlinekunden ihre Ware in den Filialshops abholen. Dabei gibt es in den Läden dann regelmäßig Verbundkäufe, was die Filialmitarbeiter motiviert, den Onlinehandel mitzutragen. Für die Kunden ist diese Kombination „online kaufen, offline abholen“ sehr attraktiv. Enorme Probleme gibt es aber, wenn dann beispielsweise direkt bei der Abholung umgetauscht wird: Die Ware ist online bezahlt oder die Bezahlung sogar noch offen – der Laden kann darum zwar die Lieferung zurücknehmen, jedoch kein Geld auszahlen (bzw. die Bezahlung des Ersatzes stunden). Dies führt zu erheblichen Irritationen bei den Kunden. Lascara geht damit so um, dass Guthabenkarten ausgegeben werden – allerdings ist auch dies in der Abwicklung keine einfache Sache.
Dr. Link, Geschäftsführer von Toys“R“Us Central Europe berichtete von diversen Experimenten, die man mit der Integration von Onlinekauf und Filialgeschäft durchgeführt habe. So bietet Toys“R“Us die Reservierung von Artikeln im nächstgelegenen Store an: Binnen zwei Stunden – so die Toys“R“Us-Garantie – stehen die Artikel im Laden bereit und können drei Tage lang abgeholt werden. Je nachdem, wie die Bezahlung organisiert wird, ergeben sich andere Risiken und Chancen, musste Toys“R“Us erfahren:
Bei einer Bezahlung online, also während des Reservierungsvorganges gibt es nur eine sehr geringe „No-Show-Rate“, es werden also nur extrem wenige Bestellungen nicht abgeholt und müssen rückabgewickelt werden. Andererseits finden praktische keine Zusatzverkäufe in den Shops mehr statt, die Kunden holen nur rasch das Paket ab und sind weg.
Finde die Bezahlung im Laden bei Abholung statt, gibt es eine relativ hohe Nichtabholer-Rate. Dafür kauften die Kunden, die ihre Bestellungen abholten i.d.R. auch noch zusätzlich ein. Allerdings warnte Dr. Link davor. solch einen Service auch bei „Hype-Artikeln“ (als Beispiel nannte er Lego Star Wars) anzubieten. Solche Artikel, auf die ein großer Ansturm ist, tagelang zu reservieren, während im Laden Kunden weggeschickt werden müssen, gehe schlicht nicht.
Erfolgsfaktoren…
Als Erfolgsfaktoren für die Integration eines Onlineshops in Filialgeschäfte nannten Promarkt-Chef Boldin sowie Frau Tietz von Lascara:
- Eine klare Handschrift in der Markenführung (Tietz). Onlineshop und Läden müssen gegenüber den Kunden mit einem einheitlichen Gesicht auftreten, darum sollten auch die Preise identisch sein (Boldin).
- Der Shop sollte die Verfügbarkeit der Produkte in den einzelnen Filialen anzeigen (Boldin).
- Es sollte eine Abholung sowie eine Rückgabe online gekaufter Ware in stationären Filialen möglich sein (Boldin).
- Man muss kreativ sein, Mut haben etwas auszuprobieren und etwaige Fehler zu korrigieren (Tietz).
…und Stolpersteine
Dass das Thema Multichannel/Cross-Channel nicht rundum rosa ist, zeigten die vielfach genannten Stolpersteine und Probleme bei der Integration der Online- und Offlinewelt:
- Den Onlineshop schlicht als 101. Filiale betreiben zu wollen, ist der Anfang vom Ende (Boldin).
- Die Warenlager, die auf Filiallieferungen ausgelegt sind, sind i.d.R. gar nicht auf Einzelpicks eingerichtet (Dr. Link).
- Kunden übertragen gedanklich das Warenangebot des Onlineshops auf die Filialen. Darum ist es tötlich, wenn im Onlineshop weniger Produkte beschrieben werden, als stationär tatsächlich angeboten werden (Dr. Link).
- Schwierig zu gestalten ist die Verfügbarkeitsanzeige für online ausverkaufte Artikel: Man kann ja nie ausschließen, dass die noch verfügbar gemeldeten drei Kartons gerade im Wagen zur Kasse geschoben werden… (Dr. Link)
- Unter dem Strich geht es um Profit: Man muss unbedingt vermeiden, einen profitablen Ladenkunden durch die Verschiebung zum Onlinehandel am Ende in einen unprofitablen Onlinekunden zu verwandeln (Dr. Link).
Die Online-Verfügbarkeitsanzeige von Artikeln in den einzelnen Filialen hat ja auch Google als Dienst begonnen. David Liversidge EMEA-Head von Googles Forschungsinitiative „Click-2-Store“ kündigte an, dass Google Local Shopping im dritten Quartal in Europa starten wird.
Übrigens: Dass online sehr erfolgreich für den Besuch stationärer Filialen geworben werden kann, belegte die Telekom: Indem im Newsletter ein Geschenk (Headset) ausgelobt wurde, das allerdings offline abgeholt werden musste, konnten die Kunden sehr gut in die Läden geholt werden.
Social Media im Cross-Channel-Geschäft
Auch zur Rolle der Social Media im Cross-Channel-Geschäft gab Oliver Stalp von der Telekom Deutschland GmbH teilweise überraschende Hinweise: Die Telekom hat eine Serviceschiene via Twitter und Facebook aufgemacht: Unter Telekom_hilft (bzw. bei Facebook Telekom-hilft) stehen 7 (Facebook: 11) Agenten von 8-20 Uhr für Serviceanfragen zur Verfügung. Der Service wird von Kunden sehr gut angenommen und die zeitliche Begrenzung ist gar kein Problem: Im Gegenteil entstünde zur Schlusszeit oft eine richtige Abschiedskommunikation in der Art, „So, wir machen jetzt Schluss“ – „Ok, dann einen schönen Feierabend!“.
Professor Mahrdt berichtete, dass der Frontline-Shop die Facebooknutzung seiner Kunden durch die Newsletter gezielt antreibe. Auch Lascara nutzt Social Media stark, für Frau Tietz ist das Web 2.0 sowohl für die Kundenbindung, aber auch für die Neukundengewinnung wichtig.
Als ganz zentrales Element der Onlineaktivitäten setzt der 1. FC Köln Facebook und Twitter ein – und ist damit sehr erfolgreich, wie FC-Pressesprecher Christopher Lymberopoulus erläuterte: Mit über 191.000 Fans (knapp 4.400 Followern) spielt der FC in der Social-Media-Top10 der Bundesliga. Das eigene Web-Forum hat praktisch an Bedeutung verloren, was auch deshalb gut ist, weil der Kommunikationsstil bei Facebook besser ist als im Web-Forum. Neben Facebook und Twitter setzt der FC auch Video sehr aktiv ein (eigener Youtube-Channel, eigener TV-Sender), alle wichtigen FC-Orte sind bei Foursquare und Fans können ihre Bilder per LiveShare teilen. Dabei werden (fast) alle diese Anwendungen geschickt unter der Facebook-Seite gebündelt – mit dem fantastischen Ergebnis, dass Facebook der Haupt-Referrer zur FC-Website ist, noch vor Google! Der Fokus der SM-Aktivitäten liegt allerdings hauptsächlich auf dem Kundenservice, der Marketinganteil wird bewusst klein gehalten.
Google-Einsichten in das Käuferverhalten
Dr. Hudetz, der „Gottvater des E-Commerce“ (Zitat RA Rolf Becker) zeigte die Wandlung der Informationshoheit beim stationären Einkauf auf: War bei Tante-Emma-Läden früher die Verkäufer(innen) besser über die Artikel informiert, so kommen heute oft die Kunden mit mehr Wissen über die Produkte in die Läden als die Verkäufer selbst haben. Denn auch stationären Käufen geht heute immer öfter eine mehr oder minder intensive Onlinerecherche voraus.
Dieser ROPO-Effekt (research online, purchase offline) führt laut Googles Online-2-Store-Leiter Liversidge dazu, dass Impulskäufe insgesamt abnehmen. im TelKo-Segment gehen einer (Offline-)Kaufentscheidung beispielsweise im Schnitt 10 Suchanfragen in 30 Tagen voraus. Liversidge berichet auch von einem Halo-Effekt, dass Onlinewerbung sich beim Stationärkauf auch auf nicht beworbene Produktkategorien auswirke – allerdings war dieser Effekt nicht bei allen Testfällen erkennbar.
Mobile wird das Herz sein
Dass die mobile Welt für den Commerce immer relevanter wird, zeigt, dass heute bereits 20% aller Suchanfragen bei Google von Mobilgeräten stammten. Liversidge erwartet, dass dieser Anteil in wenigen Jahren bei 50% liegen wird. Auch Achim Himmelreich, Engagement Manager von Mücke, Sturm & Company prognostizierte in der Abschlussrunde, dass Mobilgeräte immer wichtiger werden: „Mobile wird das Herz von allem sein – gerade die Ratlosigkeit gegenüber dem M-Commerce zeigt, in was für einer Umbruchphase wir uns momentan befinden.“
Die aktuelle Herausforderung im M-Commerce liegt laut Thomas Karst, Geschäftsführer von Trusted Shops darin, Standards zu finden: Agenturen fehlt noch die Erfahrung bei der praktischen Umsetzung von Mobile-Shopping-Apps und ohne einheitliche Standards sind Apps für die Kunden noch zu unpraktikabel.
Zu guter Letzt: Die Vorteile von Mulitchannel/Cross-Channel nicht vergessen
Generell haben beide Kanäle (Onlinehandel & Stationärhandel) unterschiedliche Stärken und Schwächen, darum ist es laut Daniel Boldin trotz aller Stolpersteine und Herausforderungen wichtig, beide gut ineinander zu integrieren: So ist stationär der Kundenkontakt sehr kurzlebig, während man online viel mehr Kundendaten erhalte. Dr. Link erinnerte daran, dass im Stationärvertrieb der Kunde praktisch die Wertschöpfung übernimmt, indem er selbst die Pakete aus den Regalen ‚pickt‘ und beim durch die Kasse schieben auch noch das Payment direkt abwickelt.
Aber ist der Trend zum Multichannel-Vertrieb nicht der Totengräber für kleine Händler? Thomas Karst sieht das anders: „Kleine haben weniger komplexe Systeme und weniger Mentalitätsprobleme und haben es daher einfacher“. Dies meinte auch Mirko Weinandy, Senior Account Manager bei der hybris GmbH: Große Unternehmen bräuchten einen Innovation-Manager, um der Herausforderung „Multichannel“ Herr werden zu können – Kleine bräuchten dies nicht…
Herzlich aus Hürth
Nicola Straub