Mehr als einfach nur Pakete packen
Überzogene Kundenerwartungen, überfüllte Straßen, überforderte Zusteller: Wie Online-Händler ihre Ware an den Kunden bringen, ohne unter die Räder zu geraten
„Beamen müsste man können“, mag sich so mancher Händler angesichts der heutigen Herausforderungen durch die Logistik denken. Und damit steht er nicht allein, denn sowohl große Versender als auch die Logistikunternehmen entwerfen immer „verrücktere“ Ideen, wie eine alternative Paketzustellung zukünftig aussehen könnte: Da meldete Amazon eine „prediktive Zustellungsmethode“ zum Patent an, bei der LKWs als rollende Lager mit häufig bestellter Ware bereits in Zielgebiete fahren, bevor überhaupt die Bestellungen vorliegen. DHL wiederum bietet Vielbestellern persönliche Paketkästen für den Vorgarten oder einen „Paketbutler“ für die Wohnungstür an, baut in England Paket-Pipelines, liefert eilige Sendungen zur Insel Juist per „Paketkopter-Drohne aus oder deponiert in München Amazon-Sendungen im Kofferraum der Adressaten – allerdings nur, wenn diese Audi fahren.
Diese Beispiele machen das Dilemma des Versandhandels deutlich: Kunden erwarten heute, online bestellte Ware möglichst noch am selben, spätestens aber am Folgetag in den Händen halten zu können. Gleichzeitig jedoch ist der moderne Mensch „mobil“ und immer seltener zuhause. Und schließlich wächst mit dem Umsatz im Online-Handel auch das Liefervolumen, ohne dass die Kapazitäten der Verkehrs-Infrastruktur Schritt halten können.
So steht der Online-Händler im Schnittpunkt zwischen den Kundenerwartungen und den Angeboten der Versender vor der Aufgabe, den bestmöglichen Versand zu organisieren, der beim Kunden in jeder Hinsicht „gut ankommt“ und der dennoch bezahlbar ist. Wie geht das?
Schnelle Lieferung und Gratisversand
Die Kundenzufriedenheit im Distanzhandel steht und fällt – verständlicherweise – mit der Lieferung. In einer Befragung zu Lieferoptionen im deutschen Online-Handel des Versandlösungs-Anbieters Meta-Pack im August 2015 gaben 41 % der Teilnehmer an, dass ihnen kostenlose Lieferung am wichtigsten ist. Für 34 % ist vor allem ein schneller Versand entscheidend. Hier hat die Leistungsfähigkeit des Marktriesen Amazons die Wahrnehmung und Ansprüche der Kunden merklich geprägt – selbst wenn der Gratisversand heute auch dort nur noch teilweise verfügbar ist.
Und diese Ansprüche der Kunden sind auch kaum verhandelbar, denn klappt der Versand nicht wie gewünscht, hat das drastische Folgen – für den Händler. So wollen 47 % der Befragten nicht erneut beim gleichen Anbieter bestellen, wenn sie mit dem Versand unzufrieden waren. Und dies, obwohl das negative Versanderlebnis oft vom Logistiker verursacht wurde (siehe Grafik 1). Das psychologische Problem dahinter: Der Kunde fühlt sich beim Warten auf seine Sendung den Unwägbarkeiten des Versandes ausgeliefert – ein unschönes Gefühl!
Die Lösung hierfür liegt darin, dem Kunden möglichst viel Auswahl zu bieten. So gibt es heute neben der Lieferung zu alternativen Zielorten – sei es ins Büro, zur Postbox, in eine Filiale oder einen Paketshop – auch die Wunschtermin-Lieferung, bis hin zur Abgabe nach 17:00 Uhr oder am Wochenende. Und dank Echtzeit-Tracking mit Eingriffsmöglichkeiten kann er bei Verzögerungen oder eigenen Planänderungen sein Paket sogar umsteuern. Solche Optionen geben dem Kunden die Möglichkeit, seine Lieferung mitzugestalten und machen oft allein dadurch bereits zufriedener.
Da sich die Wünsche bezüglich der Lieferung zudem nicht nur von Kunde zu Kunde unterscheiden, sondern oft auch von Sendung zu Sendung unterschiedlich ausfallen (siehe Abb. 1), ist eine breite Auswahl an Versandoptionen ein wichtiger guter Hebel zur Kundenbindung. Solche Value Added Services beim Bestellversand sind allerdings oft teurer. Wenn sich auf der anderen Seiten dadurch beispielsweise die Retourenrate merklich vermindern und die Bestellfrequenz von Stammkunden heben lässt, lassen sich diese Effekte jedoch direkt gegenrechnen. Zudem sind Kunden oft bereit, für gut erklärte und hilfreiche Zusatzservices einen Aufpreis zu zahlen.
Übrigens unterscheidet sich das Kundenverhalten auch regional merklich. So sind im angelsächsischen Raum die taggleiche Lieferung (Same-Day-Delivery, SSD) sowie die Lieferung an lokale Filialen („Click & Collect“, C&C) beliebt, während deutsche Kunden hier noch zurückhaltend sind. Was im Falle von SSD sicherlich von allen Händlern begrüßt wird, mag bezüglich C&C zumindest von Multichannel-Shops mit Filialgeschäft vielleicht bedauert werden. Hier liegt nach Untersuchungen des ECC Handel Köln der Grund für die Zurückhaltung vor allem in der fehlenden Kenntnis: Viele Kunden können sich unter „Click & Collect“ nichts vorstellen, ergab eine Befragung. Händler, die diese Versandvariante fördern möchten, sollten daher die Benennung überdenken und die Abläufe deutlich erklären.
Viele Arbeitspakete
Damit ein Paket pünktlich und heil beim Kunden ankommt, gibt es für den Onlinehändler viel zu erledigen. Denn der Bereich der Logistik erstreckt sich von der Warenannahme und -kontrolle über die Einlagerung bis zum Picking und Packen und der Übergabe an den Logistiker. Und das kostet: Datensatz heraussuchen, Warenpicking, sicheres Verpacken, Rechnungsdruck/Adressierung, Datensatz aktualisieren – selbst ein in der Rekordzeit von 5 min versandfertig gemachtes Warenpaket erzeugt einem Online-Händler bereits Kosten von knapp zehn Euro – und hierbei sind die Materialkosten für die Verpackung noch gar nicht eingerechnet!
Vom Kunden können Händler diese Kosten nicht zurückholen – Versandkosten über 5 Euro sind eine enorm hohe Bestellhürde, die i.d.R. nur bei bestimmten Produkten oder besonderen Versand-Zusatzservices vermittelbar sind. Im Online-Handel wird darum nur ein kleiner Teil der realen Logistik-Kosten direkt an den Kunden weitergegeben. Dabei wissen allerdings viele Händler nicht einmal genau, was sie ihre Logistik kostet.
Denn es sind gerade die Nebentätigkeiten und versteckten Kosten, die den tatsächlichen Aufwand deutlich nach oben treiben können. Die Einlagerung, die Retourenbearbeitung oder das Packmaterial (inkl. Entsorgungsabgabe) können in ganz unterschiedlicher Höhe zu Buche schlagen: Je nachdem, ob das Artikelportfolio eine sorgfältige Qualitätsprüfung oder besondere Verpackungsmittel benötigen, ob es viele Retouren gibt und diese ggf. auch aufwendige Arbeiten zur Aufbereitung und Wiedereinlagerung mit sich bringen, kann dies die Logistikkosten glatt verdoppeln. Gibt es wegen geringer Systemintegration und -kommunikation zudem viele Kundenservice-Anfragen, wird auch hier noch zusätzliche Arbeitskraft gebunden.
Händler sollten sich darum unbedingt die Zeit nehmen, den eigenen Versand mit realistischen Zahlen durchzurechnen. Denn natürlich lässt sich nur auf dieser Basis eine belastbare Kalkulation machen. Darüber hinaus zeigt sich dabei auch, wo lohnenswerte Optimierungspunkte sind. Beispielsweise bedeutet die Anschaffung spezialisierter Software für Lager & Picking i.d.R. eine deutliche Investition. Wenn diese jedoch hilft, die Zeiten für Einlagerung und Picking zu halbieren und zudem der Warenbestand optimiert werden kann, so kann sich das Geld für die Anschaffung und Implementierung mehr als auszahlen.
Outsourcing lohnt oft schneller als gedacht
Die Alternative zur eigenen Logistik lautet Outsourcing. Wer dabei allein an Amazon Fulfillment denkt, denkt zu kurz. Denn neben dem Versand-Giganten gibt es unzählige spezialisierte Logistikunternehmen, die ihren Lager- und Versandservice auch für kleine Online-Shops anbieten. Je nach Vereinbarung wird dabei die gesamte Logistikkette von der Einlagerung inkl. Qualitätsprüfung bis zum Versenden abgewickelt.
Vergleicht man die Kosten der Dienstleister mit dem realen eigenen Aufwand, so zeigt sich oft, dass sich das Abgeben der Logistik rechnet. Damit Outsorcing allerdings zur Erfolgsstory wird, müssen sich die ‚richtigen‘ Partner finden.
Während Amazon Fulfillment hier mit der bekannt starken Versandleistung, besonders bezüglich der Liefergeschwindigkeit, punkten kann, haben andere Dienstleister den Vorteil der Unabhängigkeit. Immerhin vertraut der Händler dem Dienstleister mit seiner Ware und seinen Kundenadressen praktisch das Herz seines Geschäftes an. Ist der Dienstleister selbst im Handel tätig, kann es hier einen Interessenskonflikt geben.
Bei der Auswahl des geeigneten Partners für die Logistik geht es daher auch um Vertrauen. Um Enttäuschungen zu vermeiden sollten Online-Händler nicht nur mit den eigenen – realistischen! – Kennzahlen in die Verhandlungen gehen, sondern eine ausführliche Checkliste erstellen, welche Punkte die Vereinbarung umfassen soll. Mögliche Themenbereiche dabei sind beispielsweise:
- Geeignete Location/Standort, Erreichbarkeit
- Genug Lagerfläche und flexible Hardware, wie Hochregal, Fachbodenregale, Konfektionierungstische und Flächen, professionelle Packsysteme etc.
- Preisgestaltung, pro Palette, pro Wareneingang/Ausgang, Preis pro Pic (wenn in einem Paket mehrere Artikel verpackt werden müssen, wie Hemd/Hose/ Schuhe)
- Zukunftssichere, modulare Schnittstellen zur eigenen Shop-Software, Kommunikationswege
- Vielfalt und Flexibilität der angebotenen Versandoptionen für den Kunden
- Retourenbearbeitung
- Und schließlich: Referenzen sowie Erfahrungen im betroffenen Business
In der Logistik zählen die Prozesse. Darum sollten bei allen Überlegungen stets die vollständigen Prozesse betrachtet werden. Denn wenn es hier an nur einer Stelle hakt, kann hierdurch der Vorteil, den die Auslagerung bringen sollte, schnell aufgezehrt werden.
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Nicola Straub arbeitet seit 1999 als Projektleiterin für Internetplattformen. Darüberhinaus arbeitet sie als Workshopleiterin und Coach für Online-Marketing-Projekte und Content- Entwicklung. Seit 2005 schreibt sie regelmäßig auf shopanbieter.de und anderen Portalen über E-Commerce-Themen und ist Autorin vieler Ratgeber sowie eines E-Commerce-Buches.
Webseite: http://www.physalia.de |