Experten im Gespräch: Nils Seebach vom Beratungsunternehmen eTribes
Online-Händler neigen nach wie vor oftmals dazu, das Thema Controlling zu vernachlässigen. Sei es im Marketing, dass lediglich Umsatz und direkte Kosten je Kanal betrachtet werden. Aber auch bei der Sortimentssteuerung wird viel zu selten oder zumindest zu wenig mit Kennzahlen gearbeitet.
In einem Interviewgespräch gibt Nils Seebach wertvolle Tipps, wie Kennzahlen erfolgreich in der Sortimentssteuerung eingesetzt werden können und welche Fallstricke Online-Händler dabei vermeiden sollten.
Seebach ist unter anderem Geschäftsführer des Beratungsunternehmens eTribes und Herausgeber des Blogs Digitalkaufmann, das sich mit der Bewertung digitaler Geschäftsmodelle und der betriebswirtschaftlichen Analyse von digitalen Themen befasst.
Zahlen betreffen jede Abteilung im Unternehmen
Angenommen, es werden aussagekräftige Kennzahlen zur Sortimentssteuerung erfasst, welche Abteilungen im Unternehmen sollten mit diesen Zahlen arbeiten und wie sieht es in der Praxis aus?
Grundsätzlich sollte allen Mitarbeitern der Zugang zu den Zahlen offen stehen und die Zahlen sollten auch bereichsübergreifend interpretiert und diskutiert werden. Es gibt aus Unternehmenssicht keinen Grund, warum man z.B. dem Marketing die Retourenquote zu einem Produkt X vorenthalten sollte. Ein friktionsloser Austausch zwischen Abteilungen, wie Einkauf, Marketing oder Category Management, ist ohne Alternative im heutigen Handelsumfeld.
Die Realität ist leider anders. Es gibt Zahlensilos, die von Controllern verwaltet werden, welche dann wiederum separate Reports für die einzelnen Bereiche anfertigen. Dies geschieht aus der Angst heraus, die Mitarbeiter mit der gesamten Datenmenge zu überfordern und aus überholten Abschottungsmechanismen.
Andererseits haben die einzelnen Mitarbeiter selbst teilweise gar kein Interesse oder keine Zeit, sich um die Zahlen aus oder für andere Abteilungen zu kümmern. Aus meiner Beratungserfahrung heraus, hilft für einen besseren Datenaustausch untereinander oftmals nur eine „Cross-Incentivierung“ als Motivation. So könnte bspw. das Bestandskunden-Team Boni für ein erfolgreiches Neukundengeschäft erhalten. In diesem Fall hätte dieser Bereich ein ureigenes Interesse daran, die Kollegen vom Neukundengeschäft mit Zahlen aus deren Bereich zu unterstützen. Dieses Beispiel lässt sich quasi beliebig durch alle Bereiche eines Unternehmens durchspielen.
Oft ist auch die technologische Entwicklung aus Abteilungssicht und nicht aus übergreifender Unternehmenssicht geplant. Selbst wenn also der Wille zum Austausch besteht, so ermöglichen die technischen Systeme oft nicht den effektiven Austausch zwischen den Mitarbeitern.
Relevante Daten abhängig vom Geschäftsmodell
Welche Kennzahlen sollten für eine effiziente Sortimentssteuerung im E-Commerce herangezogen werden und wie sieht es in der Realität aus?
Das ist sehr stark abhängig vom Geschäftsmodell und vom verkauften Sortiment. In einem Fashionmodell sind Kennzahlen zur Retourenquote und den Gründen viel wichtiger als andere Daten. Grundsätzlich sind alle Zahlen spannend, die dem Einkauf verraten, was der Kunde sucht und zu welchem Preis er kaufen würde. Für den Vertrieb ist wichtig zu verstehen, wie stark Sortimente an welcher Stelle ausgeweitet werden können, um analysieren zu können, wie die Vertriebschancen dafür stehen. Der Vertrieb sollte daher einen ständigen Blick auf die verschiedensten Nachfragedaten, wie Marktpreise und saisonale Einflüsse, haben. Im Idealfall wissen Vertrieb und Marketing jedoch noch weitaus mehr.
windeln.de, ein Onlineshop für junge Eltern, steuert bspw. anhand des Kaufverhaltens seiner Kunden sehr genau sein Cross-Selling. So lässt sich spätestens anhand der zuletzt gekauften Windel- oder Kleidergröße das ungefähre Alter des Kindes nachvollziehen und so auch ableiten, welche Produkte im nächsten „Lebensalter“ benötigt bzw. den Eltern angeboten werden sollte. So hat windeln.de unter anderem festgestellt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Geburt des ersten Kindes überdurchschnittlich oft Schwangerschaftstests nachgefragt werden.
In der alltäglichen Praxis ist es meist jedoch leider schlimmer als bei der vorhergehenden Antwort beschrieben. Die Mitarbeiter wissen in der Regel noch nicht mal, welche Zahlen es gibt, wie sie sich zusammensetzen und was man damit tun kann. Das liegt aus meiner Sicht an zwei Faktoren: Zum einen setzen Unternehmen in diesem Bereich zu wenig auf Transparenz und Ausbildung, zum anderen sitzen insbesondere auf der Sortimentsseite selten Kaufleute, die überhaupt ein Grundinteresse zu den Zahlen aufbauen wollen und können.
Verknüpfung von Standard- und E-Commerce-Daten ist essenziell
Aus welchen Systemen (ERP, Shop-System, Google Analytics o.ä.) werden i.d.R. Daten benötigt?
Alle Systeme, die im Kaufprozess Daten liefern sind per se interessant. Vor allem muss eine Verknüpfung aus verschiedenen Datenbereichen erfolgen. Oft werden z.B. Daten aus der FIBU als nicht relevant eingestuft – was ein klassischer Fehlgedanke ist. Denn nur wer es schafft, Daten aus dem E-Commerce Bereich mit den „Standard“-Unternehmensdaten aus der Finanzbuchhaltung „FIBU“ zu verknüpfen, wird erfolgreich sein.
So ist für die Sortimentssteuerung nicht nur die Rohmarge (Umsatz – Wareneinsatz) von Relevanz, sondern das, was am Ende wirklich übrig bleibt. Also das, was nach Abzug aller direkten und indirekten Kosten je Produktklasse als Deckungsbeitrag unterm Strich steht. Die Einbeziehung der Retouren sollte sowieso eine Selbstverständlichkeit sein.
Doch auch die unterschiedliche Zahlungsmoral nach Sortimenten ist zu berücksichtigen. Möglicherweise macht es bei einigen Produktgruppen ja Sinn, die Zahlart Rechnungskauf für Neukunden auszuschließen.
Die Krux bei den verschiedenen Datenquellen liegt in der Zusammenführung. In der Regel gibt es wenige Leute im Unternehmen, die sich die Daten in ein selbstgebasteltes Datawarehouse ziehen oder in Excel-Datenbanken und diese Zahlen dann 1 mal pro Woche aktualisieren, wenn überhaupt. Der Rest arbeitet mit den Quellsystemen. Der Vertrieb mit dem Trackingtool, der Einkauf mit den Shopdaten usw.
Daten werden nicht richtig genutzt, nur weil sie vorhanden sind
Welche Fehler beobachten Sie bei Online-Händlern hinsichtlich einer kennzahlengestützten Sortimentssteuerung häufig?
Oftmals werden zu wenig Datenquellen genutzt. Gleichzeitig ist die Datenerfassung- und Datenanalyse nicht gut genug miteinander verknüpft. Die Daten werden häufig auch falsch mit Annahmen extrapoliert, die leicht geprüft werden könnten, bspw. mittels Preisvergleichen mit dem Wettbewerb. Festzustellen ist auch ein zu stark planorientiertes Vorgehen, welches nicht basierend auf den gesammelten Daten flexibel angepasst wird. Und am Ende werden aus den erhobenen Daten keine Handlungsmaßnahmen abgeleitet und umgesetzt.
Transparenz und Anwendernähe als wichtigste Erfolgsfaktoren
Welche Tipps können Sie Online-Händlern mit begrenzten Ressourcen (zeitlich / finanziell) mitgeben, um dennoch eine möglichst effiziente kennzahlengestützte Sortimentssteuerung durchzuführen?
- Am Anfang steht die Konzeption eines Datendashboards mit und für alle Beteiligten.
- Nur die Daten erheben, die man für das Dashboard braucht und die dann analysiert und zu Änderungen von Prozessen/Budgets etc. im Unternehmen genutzt werden.
- Standardtechnologien benutzen, die sinnvoll miteinander verknüpft sind.
- Systeme und Daten für möglichst viele Personen im Unternehmen offen legen – z.B. Poverpivot Oberflächen anlegen, die jeder nutzen kann. Ein praktisches Beispiel sind z.B. Screens im gesamten Unternehmen, die ständig die relevanten Daten zeigen.
Kennzahlensteuerung ist überlebensnotwendig
Wie hoch sehen Sie das Einsparpotential in Prozent für Online-Händler mit Einführung bzw. Optimierung einer kennzahlengestützten Sortimentssteuerung?
Hier sind keine generellen Aussagen möglich, da dies immer auf die jeweiligen Unternehmen ankommt. Zu beobachten ist jedoch, dass alle erfolgreichen Händler sehr kennzahlengesteuert agieren – jeder der das nicht tut, wird sterben.
Einfache und frei verfügbare Tools bieten sehr gute Orientierungspunkte
Was empfehlen Sie Händlern, mit welchen Instrumenten bzw. wie kann es diesen gelingen eine Absatzprognose (Forecast) auf die nächsten Monate zu stellen?
Google Trends kann hervorragend genutzt werden, um das Suchvolumen für einzelne Produktsortimente inkl. saisonaler Schwankungen abzufragen. Leider wird diese Möglichkeit noch von viel zu wenigen Online-Händlern bzw. deren Mitarbeiter genutzt. Meiner Meinung nach, sollte jeder Mitarbeiter, der mit dem Thema Sortimentssteuerung befasst ist, zumindest mit den Recherchemöglichkeiten in den Tools Google Trends und Google AdWords Keywordplaner vertraut sein.
Wichtig ist auch die Nutzung der historischen internen Daten, also der Verkaufszahlen der eigenen Online-Shops in der Vergangenheit.
Diese Werte sollten anschließend intensiv mit Zahlen aus der Wettbewerbsbeobachtung verglichen werden. Also: welche Produkte haben Marktbegleiter im Shop, welche Produkte werden besonders in deren Onlineshop beworben oder auch für welche Produkte schalten die Wettbewerber Werbung, bspw. bei Google AdWords? In diesem Zusammenhang sollten auch die ungefähren Marketingkosten (CPC), zumindest für die wichtigsten Produkte, ermittelt werden.
Auch die Beobachtung der Preisgestaltung für alle Sortimente/Produkte über alle Online Kanäle hinweg, ist ein wichtiges Kriterium zur Ermittlung, welche Produkte oder Sortimente für die Zukunft erfolgsversprechend, sprich margen- und absatzträchtig sind.
Und wer neue Sortimente erst einmal unkritisch auf deren Absatzchancen hin testen möchte, kann diese Produkte im eigenen Online-Shop bereits aufnehmen und auch bewerben. Bei Kaufinteresse dann jedoch auf ein Registrierungsformular weiterleiten, mit dem Hinweis dass dieses Produkt im Onlineshop leider noch nicht verfügbar ist, aber der Kunde informiert werden kann, sobald die Ware verfügbar ist.
Interviewpartner
Nils Seebach ist Gründer des Beratungsunternehmens eTribes sowie Gründer und Geschäftsführer von Spryker Systems, einem Technologieanbieter und Joint Venture, das er zusammen mit Project A Ventures im November 2014 gegründet hat. Er ist außerdem Herausgeber des Blogs Digitalkaufmann, das sich mit der Bewertung digitaler Geschäftsmodelle und der betriebswirtschaftlichen Analyse von digitalen Themen befasst.
e-Mail: nils@digitalkaufmann.de
Homepage: spryker.com / etribes.de
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Nils Seebach ist Gr�nder des Beratungsunternehmens eTribes sowie Gr�nder und Gesch�ftsf�hrer von Spryker Systems, einem Technologieanbieter und Joint Venture, das er zusammen mit Project A Ventures im November 2014 gegr�ndet hat. Er ist au�erdem Herausgeber des Blogs Digitalkaufmann, das sich mit der Bewertung digitaler Gesch�ftsmodelle und der betriebswirtschaftlichen Analyse von digitalen Themen befasst. Webseite: http://www.spryker.com; http://www.etribes.de |