Einkäufer oder Nachbesteller – Typen und Ziele der Sortimentssteuerung
Gewinnen, oder nur langsamer verlieren? Radikale Veränderungen des Marktes bedingen auch radikale Änderungen des Verhaltens der Marktteilnehmer, zumindest wenn diese eine Zukunft haben wollen. Für viele Händler scheinen die Buzzwords „E-Commerce machen“, „Marktplätze nutzen“ und „Multi-Channel Angebote anbieten“, die Lösung der aktuellen Herausforderung zu sein.
Diese Sicht ist vielfach jedoch grundlegend falsch, denn ein technisch verbesserter Zugang zu den eigenen Angeboten und erhöhte Reichweite greifen nicht die Ursachen an, sondern behandeln Symptome und zögern das Sterben lediglich heraus.
Fakt ist: Das Kaufverhalten des Konsumenten hat sich grundlegend verändert
Für die Betrachtung der Situation und der Ableitung geeigneter Maßnahmen sollte sich jeder Händler die Änderungen im Konsumverhalten der Konsumenten verdeutlichen, die in der folgenden Grafik schematisch dargestellt sind:
Statt aus den Produkten eines Anbieters, wird der beste Anbieter fürs Produkt ausgewählt!
Im oberen rechten Quadranten befindet sich die vereinfachte Darstellung des Kaufprozesses, geprägt durch eine vorwiegend stationäre Beschaffung. Konsumenten wählen zuerst den Anbieter bzw. den Ort der Bedarfsbefriedigung aus. Zu Weihnachten wird ins Einkaufszentrum gegangen, oder es wird ein Computer benötigt, also besucht der Konsument z.B. das lokale Fachgeschäft, den Discounter oder den nächsten SB Filialisten. Die Produktauswahl findet dann in aller Regel unter den tatsächlich verfügbaren Optionen statt, der Verkauf wird abgeschlossen. Dies ist ein in sich geschlossener Entscheidungsraum, der wenige Angriffspunkte für Störeinflüsse bietet. In der Regel wird mit einer eher begrenzten – weil lokal geprägten – Preissensibilität konsumiert. Zeitgleich ist die Loyalität hoch, denn der Konsument unterliegt einer realen Begrenztheit seiner Beweglichkeit und erfährt dadurch einen beschränkten Marktüberblick. Wer einmal in der Innenstadt in Köln ist, kann nicht zeitgleich die Angebote aus München, Hamburg, London und Leipzig mit den lokalen Ergebnissen vergleichen.
Wettbewerb fand also vor allem regional statt, mietet man sich als Elektronik Fachmarkt aber in das Einkaufszentrum A ein, dann gibt es keinen weiteren lokal verfügbaren Wettbewerber.
Die E-Commerce Gleichung: hohe Transparenz + viele Anbieter = niedrige Preise bei 0-Loyalität
Die Situation im E-Commerce stellt sich gegenüber den alten stationären Prozessen ganz anders dar. Hier hat die Produktauswahl häufig schon im Vorfeld stattgefunden. Auf der Suche nach diesem Produkt werden sodann alle im Internet recherchierbaren Anbieter in Wettbewerb gestellt, denn Preissuchmaschinen, Marktplätze, Google und Co. machen die Recherche leicht, effizient und komfortabel.
Der Konsument ist der Gewinner des transparenten Marktes und lebt seine Macht aus!
In diesem Marktumfeld ist der Konsument erst einmal der Gewinner, zumindest bei vergleichbaren bzw. substituierenden Gütern. Fast alle E-Commerce Teilnehmer versuchen sich als Marke zu positionieren oder Kunden an sich zu binden, damit sie mit ihrem Geschäft die Transformation in den oberen linken Quadranten schaffen. Kunden schauen erst einmal bei Amazon, bei Zalando oder Otto, der Wettbewerb bleibt möglichst unberücksichtigt, der Kunde soll inspiriert werden.
Was nutzen diese Erkenntnisse im täglichen Geschäft?
Diese Frage stellt sich jeder und das mit Recht. Wenn man also keine brand building Kampagnen wie Amazon, Zalando, Otto oder Saturn aufsetzen und keine technischen Wunderwerke wie About You ins Netz stellen kann, welche Hebel kann man in Bewegung setzen, damit die aktuelle Marktentwicklung kein langsamer Tod, sondern der digitale Gewinn wird?
Händler, oder logistischer Erfüllungsgehilfe für Fremdprodukte?
Dies ist die ERSTE und WICHTIGSTE Frage, die man sich beantworten muss. Denn wenn man aktuell mit seinem Sortiment nur einer von vielen ist, dann droht einem, was allen droht: Anbieter austauschbarer Produkte laufen Gefahr ausgetauscht zu werden! Aktuell halten sich Importeure, Großhändler und Marken häufig noch mit Strategien zum Direktvertrieb zurück, aber nur weil diese die Marktmacht des Handels fürchten. Im Zweifel haben der Lieferant und der Händler also gegensätzliche Ziele. Eine gute Basis für eine langfristige Zusammenarbeit sieht jedoch anders aus. Wenn man also einen Hebel hat, dann ist dieser die Befreiung in der Sortimentsstrategie.
Eine häufig publizierte Lösung für das Dilemma soll in der unendlichen Erweiterung des Sortimentes bestehen. Dropshipping und die Übernahme von Sortimentsstammdaten befreundeter Unternehmen werden propagiert, doch was ist häufig die echte Folge daraus? Man potenziert sein Unglück mit unendlich, denn der aktuelle Bestand vergleichbarer Produkte wird durch noch mehr vergleichbare Produkte, duplicate Content und die Überfrachtung des Shops multipliziert.
Was kann man von Aldi lernen?
Aldi ist so erfolgreich, weil ein klares erkennbares Konzept, gepaart mit extremer Kompetenz im Produkt, über eine lange Zeit konsequent geführt wurde und mit hoher Relevanz für den Konsumenten zu einer Händlermarke geführt hat.
Die Brüder Albrecht kannten sich mit den Produkten und den Produktionsprozessen aus und hatten das Ziel, eine hohe und stabile Qualität zu bestmöglichen Preisen auf den Markt zu bringen. Das konnten die Firmengründer leisten, aufgrund Kompetenz, logistischer Effizienz und Sparsamkeit.
Sortimentsziele – Kompetenz – Ressource entscheiden
Es gibt breite Sortimente wie bei Amazon, aber auch tiefe Sortimente mit vielleicht 10.000 unterschiedlichen Dübeln – die Frage ist, für welches Sortiment entscheidet man sich?
- Welche Einkaufskompetenzen liegen vor – wo und warum ist man besser als der Wettbewerb?
- Sind Ressourcen vorhanden, schnell wechselnde Trends vorauszusehen? bzw. aus welchen relevanten Quellen erhält man die richtigen Informationen? Wenn über den Trend in der Zeitung am Kiosk berichtet wird, ist es für die Beschaffung meistens zu spät.
- Gibt es Produktkompetenz im Haus, um als Spezialist tiefe Spezial-Sortimente glaubhaft verkaufen zu können?
- Ist ausreichend Zeit vorhanden, um Messen und Produktshows oder Konferenzen im In- und Ausland zu besuchen?
- Ist bereits die Kompetenz vorhanden, eigene Produkte für sich fertigen zu lassen und werden die Importprozesse beherrscht (Eigenmarken)?
- Gibt es die finanziellen Ressourcen, um eigene Produktionen zu finanzieren – von der Auftragsauslösung, über Produktion, Lieferung, Vereinnahmung, Abverkauf bis zum Rückfluss der Umsatzerlöse?
Das Problem der eigenen Marke und dem Traffic…
In Zeiten des E-Commerce ist Traffic teuer und die Loyalität relativ niedrig, zumindest sollten Händler in ihren Planungen von diesen Voraussetzungen ausgehen. Produkte des tollen, neuen, eigenen Labels ABC sind zwar erst einmal aus dem direkten Preiskampf herausgelöst, jedoch wird die Marge nun anstatt vom Wettbewerb durch die nötigen Marketingaufwendungen aufgefressen, denn die Marke und die Produkte kennt ja noch keiner. Im Zweifel tauscht man mit einem solchen Vorgehen einfach Not gegen Elend und verbessert die Situation nicht, sondern verschlimmert sie.
Und nun?
Gibt es als Händler nun mehr Fragen als Antworten, so ist der wichtigste Schritt bereits getan: das eigene Geschäftsmodell in Frage stellen. Als einer unter vielen, der ausschließlich Fremdprodukte anbietet, kann man im Zweifel nicht langfristig überleben, deshalb hier noch ein paar Anregungen:
- Vorteil Logistik
Es lohnt sich, einmal nach rechts und links zu blicken – viele Händler trauen sich nicht an Sortimente, die nicht in einen 120x60x60 Karton passen und mehr als 31,5kg wiegen. Oft ist die Zeit besser in die Optimierung von Logistik und Versand bei größeren Produkten investiert, weil es einfach viel weniger Wettbewerber gibt. - Vorteil begrenzte Individualisierung
Möchte man z.B. den Traffic der Marktplätze wie Amazon oder Ebay nutzen und sich an die übergeordneten Saisonthemen halten, ist es einen Versuch wert, eigene leicht individualisierte Produkte zu beschaffen und anzubieten: den Kugelgrill einfach in einer coolen Farbe importieren, das Trampolin kindgerecht aufzuhübschen oder attraktive Sets bündeln. Vielleicht haben die Schoner des Trampolins eine Farbe, die Kinder besser finden, oder auf dem Sprungtuch ist eine Prinzessin oder ein schnappendes Krokodil aufgedruckt. - Vorteil Bundles & Sets
Die angebotenen Kochmesser können im Set mit einem Schneidebrett ausgestattet werden, welches irgendwo als Restposten erstanden wurde, oder passend zum angebotenen Wein wird im Set eine auf einer Messe im betreffenden Herkunftsland gefundene, passende lokale Spezialität angeboten.
Fazit
Der Handel ist ständig in Bewegung, und genau das sollte auch die generelle Handlungsgrundlage sein, denn die Sortimentsentscheidungen, der Einkauf und das Produktmanagement sind die entscheidenden Faktoren für stabile und auskömmliche Erträge einer Handelstätigkeit. Macht man es sich im Einkauf leicht und riskiert so Versäumnisse im Einkauf, besteht die Möglichkeit, dies heute vielleicht noch durch IT Kenntnisse und die richtigen Vertriebskanäle zu kompensieren. Doch der Wettbewerb aus dem Ausland und seitens der Hersteller wird in den nächsten Jahren stärker, von Effizienz-Maschinen wie Amazon wollen wir gar nicht sprechen. Händler müssen aufhören zu listen und anfangen zu handeln.
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Stefan Grimm ist einer der Gr�nder und Gesch�ftsf�hrer der GKS Handelssysteme GmbH, dem Betreiber des Gro�handels-Marktplatzes RESTPOSTEN.de. Bereits seit 1997 besch�ftigt er sich mit dem Gro�handel und Beschaffungsprozessen �ber das Internet, vor allem im Bereich Konsumg�ter. Webseite: http://www.gksgmbh.de; http://www.restposten.de |