Service macht den Unterschied
FOCUS Online listete im Weihnachtsgeschäft 2014 zehn Gründe, warum Konsumenten „am Ende immer bei Amazon landen“. Und tatsächlich ist die enorme Marktmacht des E-Commerce-Giganten einer der Hauptfaktoren, der es Händlern im Onlinehandel so schwer macht. Nur: Woher kommt diese Marktmacht? Wer die Argumente betrachtet, die Kunden wie Analysten regelmäßig für den Handelsgiganten nennen, stellt fest: Der ganz überwiegende Teil der Faktoren liegt im Servicebereich.
Kundenfavorit dank Service-Vorsprung
Was Marketplace-Händler oft genug ärgert: Amazon ist parteilich – in allem Handeln sowie in Konfliktfällen stellt sich Amazon stets komplett auf die Seite der Käufer. Neben einem Großteil eigener Services, wie dem MP3-Download bei CD-Kauf, dem Cloud-Speicherplatz etc., sorgt Amazon – oft genug auch mittels Wettbewerbsdruck oder gar AGB-Zwang – für Serviceleistungen, wie dem sehr schnellen und zuverlässigen Versand zu günstigen Konditionen sowie der verlängerten Rückgabefrist und einer Rücknahme ohne Debatte.
Die kompromisslose Parteilichkeit zahlt sich aus: Für viele Onlinekäufer ist Amazon praktisch alternativlos. Sogar Google-Chef Eric Schmidt musste Ende 2014 zugeben, dass – wenn es um konkrete Kaufabsicht geht – mehr Konsumenten bei Amazon ihre Suche beginnen, als bei Google: „Man denkt an Amazon nicht als Websuche. Aber wenn man nach etwas sucht, das man kaufen möchte, wird man öfter auf Amazon danach suchen als woanders.“1
Amazon unternimmt diese Anstrengungen jedoch nicht aus „Gutmenschentum“, sondern weil es früh erkannt hat, dass der Wert eines Onlineshops in seinem Kundenstamm besteht. Einen neuen Kunden zu gewinnen, ist kostenintensiv und aufwendig: Die Kaufwahrscheinlichkeit ist bei einem Bestandskunden mehr als 3,5 mal höher als bei einem Neukunden2 , weswegen die Gewinnung eines Neukunden 6-7 mal so viel kostet wie das Halten eines bestehenden Kunden. Entsprechend weniger lässt sich beim ersten Kauf eines Kunden verdienen.
Alle Anstrengungen im Onlinevertrieb drehen sich daher darum, Kunden nicht nur zu gewinnen, sondern gewonnene Kunden zu halten – und weiterzuentwickeln. Hierbei kommt dem Service naturgemäß eine zentrale Rolle zu. Und dies sowohl in der Kaufanbahnung, als auch in der Bestellabwicklung und damit in der Kundenbindung.
Kundenansprüche sind gewachsen
Online-Shopper haben mittlerweile hohe Ansprüche an den Onlinehandel, und die Erwartungen steigen mit zunehmender Erfahrung. Erfüllt ein Webshop die Ansprüche nicht, wandern die Konsumenten zum nächsten Anbieter weiter. Händler sind daher im Zugzwang, zumindest die Basisanforderungen zu erfüllen.
Zu diesem „Pflichtprogramm“ zählen insbesondere die Services rund um die Lieferung:
- Zuverlässige Lieferzusagen vor der Bestellung.
Vorreiter Amazon zeigt hier sogar eine Art Count-down an: „Bestellen Sie innerhalb 2 Stunden und 53 Minuten …“ - Schnelle bzw. pünktliche Lieferung
- Günstige Lieferkosten
- Einfache und kulante Rückgaberegelungen
Hinzu kommen Zusatzservices wie Expressversand sowie Geschenkverpackungen und der Versand an abweichende Adressen. Hier hat Amazon Maßstäbe gesetzt, welche Kunden nun auch bei anderen Shops anlegen.
Ähnlich ist es bei der Bezahlung, an die viele Kunden Anforderungen knüpfen, die aus ihrer Sicht „unverhandelbar“ sind. Das Problem dabei: Die Wünsche sind hier sehr unterschiedlich, manche Kunden bevorzugen vor allem komfortable Zahlmethoden wie PayPal oder Lastschrift-Einzug. Andere möchten – z. B. mit der Rechnungszahlung – auf Nummer sicher gehen. Onlineshops bieten heute daher meist ca. fünf unterschiedliche Zahlarten an.
Diesen generellen Konsumenten-Ansprüchen genüge zu tun, räumt allerdings lediglich die Hürden aus dem Weg, die einer Kundengewinnung entgegenstehen. Es reicht nicht aus, um wirklich die Loyalität von Kunden zu sichern.
Denn in Zeiten, in denen sich Onlineshops in ihren Grundfunktionen gleichen, gelingt die Profilierung des eigenen Shops fast nur noch über den Servicefaktor.
Dabei beginnt die Kundenbindung bereits bei der Sortimentssteuerung. Denn jede Zielgruppe hat eigene Interessen und Bedürfnisse. Händler, die sich besonders nah an ihrer Zielgruppe bewegen, verstehen es, den vorhandenen – sowie auch potenziellen – Bedarf ihrer Zielgruppe zu erkennen und die passenden Produkte anzubieten, sowie das Portfolio sinnvoll weiterzuentwickeln. Besonders leicht fällt dies bei Onlineshops mit Nischenprodukten, wo Onlinehändler es einfach haben, für „ihre“ Themen eine besonders hohe Kompetenz zu vermitteln.
Bei austauschbarem Produktportfolio ist es naturgemäß schwieriger, die Artikel mit wertvollen Informationen oder Geschichten („Storytelling“) zu verknüpfen. Amazon spannt hierfür die Nutzerschaft ein: Während die eigenen Produktbeschreibungen selbst oft extrem mager und nichtssagend sind, bilden die von den Kunden erstellten Nutzerbewertungen und Frage-Antwort-Paare einen „Kompetenz-Inhalt“, der in seinem Umfang einzigartig ist. Viele Kunden machen die Amazon-Bewertungen daher regelmäßig zur Basis ihrer Kaufentscheidung – selbst wenn sie woanders (sogar stationär) kaufen!
Nutzerbewertungen sind daher auch in Einzelshops heutzutage ein wichtiges Element zur Kundengewinnung und -bindung. Leider dauert es, bis Shops eine aussagekräftige Menge an Bewertungen zusammenbekommen. Und insbesondere bei Mode läuft der Artikel oft aus, wenn die Nutzererfahrungen eingehen. Es ist daher wichtig, die Kunden bei jeder passenden Gelegenheit auf die Möglichkeit zur Bewertung hinzuweisen. Eine sinnvolle Vorstrukturierung der Eingaben hilft gleichzeitig, die Hemmschwellen zu nehmen und eine gute Qualität zu sichern.
Einen Schritt weiter geht, wer seine Kunden zu einer Community entwickelt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Pflanzenversand Lubera: Als Züchter profiliert sich Betreiber Markus Kobelt in Videos und auf der Website als kompetenter Ratgeber in allen Gartenfragen, gleichzeitig bietet er den Nutzern die Möglichkeit, Fragen zu stellen (und auch zu beantworten) und eigene Fotos hochzuladen. So stellt er aus eigenen und von Kunden generierten Inhalten eine umfassende Themenplattform her, die nicht nur imagegebend und kundenbindend fungiert, sondern auch im Hinblick auf SEO sehr wirksam ist.
Für die Kunden mitdenken
Beratungsstärke machte früher die Qualität von Verkäufern im stationären Handel aus: Auswahl des für die Anforderungen, die Persönlichkeit und die Fähigkeiten (bzw. bei Mode: das Aussehen) wirklich optimal passenden Produkts sowie das „Darüber-hinaus-Denken“: „Wenn Sie dies kaufen, sollten Sie evtl. auch das dazu nehmen“. Kunden suchen heute im Grunde dieselben Hilfestellungen auch beim Onlinekauf – und finden sie in speziellen Produktsuche-Filtern sowie Artikel-Vergleichsfunktionen. Diese helfen, „Kaufabbrüchen aus Unentschiedenheit“ vorzubeugen und halten Nutzer durch diese Recherche-Hilfe im Shop.
Bei Verbrauchsmaterialien erleichtern Nachkauf-Funktionen Kunden das Bestellen. Und wenn Artikel auslaufen, sollten diese nicht ersatzlos aus dem Shop entfernt werden. Klicken Kunden auf den Produktlink in einer alten Bestellung, sollten sie das Produkt wiederfinden können und über einen Hinweis oder eine Weiterleitung zum aktuellen Ersatzartikel geleitet werden.
Service auch nach dem Kauf
Bereits die Bestellbestätigung kann genutzt werden, um den Kunden fester an den Shop zu binden. Sie sollte alle für den Nutzer relevanten Informationen enthalten, darunter natürlich, wann die Lieferung voraussichtlich kommt. Für Onlinekunden bedeutet das Absenden der Bestellung den Beginn ihres Wartens – und niemand wartet gern! Da hilft es, wenn diese notwendige Zeitspanne versüßt wird. Kindermode-Versender Jako-o räumt seinen Kunden beispielsweise ein, bis zum Versand des letzten Artikels einer Bestellung versandkostenfrei weitere Produkte dazu zu bestellen. Oder Händler versenden bereits vor dem Produkt zugehörige Mehrwert-Informationen, beispielsweise die Gebrauchsanleitung im PDF-Format (viel angenehmer zu archivieren als die Heftchen und Faltblätter!), produktabhängige Tipps oder Rezepte u.a.
Eine sehr hilfreiche Funktion für die „Entschärfung“ der Wartezeit ist das Sendungs-Tracking. Sobald die Lieferung auf den Weg geht, sollten Händler ihren Kunden daher eine Versandbestätigung senden, die auch den Trackingcode und -link des Logistikers enthält. Dies entlastet zudem den Customer Care, weil weniger Kunden aus Unsicherheit nach ihren Lieferungen fragen. Gleiches gilt für die Bezahlung: Es ist eine schöne Geste, dem Kunden den Eingang seiner Bezahlung zu bestätigen, denn dies vermittelt Sicherheit. Und Sicherheit ist ein wichtiger Faktor bei der Kundenbindung im Onlinehandel.
Und schließlich sollten Händler auch der eigentlichen Sendung Beachtung schenken: Pakete, die sich positiv von den Sendungen anderer Shops unterscheiden, bleiben im Gedächtnis. Und auch die eine oder andere pfiffige Beigabe hält Stammkunden bei Laune. Optimal, wer dabei die Zugabe eng an das Shop-Image anlehnen kann. Aber auch ein handgeschriebenes „Danke“ überrascht und kann damit eine bindende Wirkung entfalten.
Fazit
Online-Kunden sind heutzutage bereits an eine Fülle von Serviceleistungen gewöhnt – nicht zuletzt durch die Maßstäbe, die Amazon gesetzt hat. Um daneben zu bestehen und sich vom Wettbewerb abzuheben, bedarf es schon über die reinen Basis-Services hinausgehender Anstrengungen. Potenziale hierfür liegen vor allem in zielgruppenspezifischen Mehrwert-Inhalten und produktabhängigen Zusatzfunktionen. Darüber hinaus nehmen Kunden auch „kleine Aufmerksamkeiten“ oft als besondere Leistung wahr und belohnen sie durch eine höhere Loyalität.
1„People don’t think of Amazon as search, but if you are looking for something to buy, you are more often than not looking for it on Amazon“, Quelle: http://fortune.com/2014/10/15/in-online-search-war-its-google-vs-amazon/
2 https://www.helpscout.net/75-customer-service-facts-quotes-statistics/
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Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Nicola Straub arbeitet seit 1999 als Projektleiterin für Internetplattformen. Darüberhinaus arbeitet sie als Workshopleiterin und Coach für Online-Marketing-Projekte und Content- Entwicklung. Seit 2005 schreibt sie regelmäßig auf shopanbieter.de und anderen Portalen über E-Commerce-Themen und ist Autorin vieler Ratgeber sowie eines E-Commerce-Buches.
Webseite: http://www.physalia.de |