Experten im Gespräch: Steffen Griesel von plentymarkets
Nicht für jeden Online-Händler ist der Vertrieb über Marktplätze zwingend sinnvoll bzw. geeignet. Dennoch sollte sich jeder Händler mit dem Thema zumindest einmal intensiv auseinandergesetzt haben, um eine Entscheidung treffen zu können.
Steffen Griesel, CHRO der plentymarkets GmbH, blickt auf viele Jahre Erfahrung hinsichtlich des Vertriebs über Marktplätze zurück. In einem Interview für unser Magazin erläutert Griesel, welche die häufigsten Fehler von Marktplatz-Händlern sind und worauf es wirklich ankommt.
Vielfalt ist Trumpf
Seit wann beschäftigen Sie sich mit den Marktplätzen und was hat sich aus Ihrer Sicht seitdem hinsichtlich des Verkaufs über Marktplätze verändert?
plentymarkets begann als Auftragsarbeit für einige große eBay-Powerseller bereits 2001, zunächst als umfassende eBay-Anbindung mit Auftragsabwicklung und integriertem Webshop. Heute ist plentymarkets das E-Commerce ERP für alle Prozesse des Online-Handels mit einer Vielzahl an Marktplatzintegrationen. Ich selbst beobachte den E-Commerce seit acht Jahren aus dem Blickwinkel eines Software-Dienstleisters.
Zum Multi-Channel-Vertrieb, bei dem die Online-Marktplätze eine große Rolle spielen, ist eigentlich schon alles gesagt. Die Multi-Channel-Welt ist längst vermessen und die Marktexperten haben mit den passenden Schlagworten die Richtung vorgegeben: Cross-Channel-Handel, Noline Commerce, Everywhere Commerce, Omni-Channeling etc.
Wer heute noch nicht verstanden hat, dass die Vielfalt der Verkaufskanäle und deren intelligente Nutzung eine der entscheidenden Trumpfkarten ist, die Händler derzeit in der Hand halten, hat die letzten Jahre verschlafen. Andererseits sind es nicht Verkaufskanäle, sondern Kunden, die den Takt vorgeben.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der schönen neuen Welt des digitalen Handels genau das zu kurz kommt: die Fokussierung auf den Kunden. Und so ist eingetreten, was sich vor Jahren wohl keiner hat vorstellen können. Die Speerspitze der digitalen Revolution im Handel muss um ihre Zukunft fürchten. 90% der Online-Händler sollen es laut E-Commerce-Center Köln sein, die in den nächsten Jahren „aufgrund extrem niedriger Margen“ über die Wupper gehen.
Und warum? Weil das Gros der Online-Händler weder die eigenen Kernkompetenzen optimiert, noch ein klares und dauerhaft erfüllbares Leistungsversprechen gegenüber den Kunden abgibt. Diese These des ECC Köln ist starker Tobak und man kann nur hoffen, dass viele Online-Händler schnell ihre Hausaufgaben machen, damit die 90%-Prognose nicht im vollen Umfang zutreffen wird.
Fit für die Buy-Box? Permanente Optimierung ist ein Muss
Lohnt sich der Vertrieb über Marktplätze für jeden Händler bzw. für wen nicht und warum?
Marktplätze sind ein zweischneidiges Schwert. Zum einen garantieren die große Reichweite und das starke Marktingvolumen eine erkleckliche Anzahl an Kunden, von der jeder Händler profitieren kann, der die Marktplätze als Vertriebskanal nutzt. Zum anderen zeigt die aktuelle Diskussion um die Marktmacht von Amazon und des dort herrschenden Preisdrucks, dass der Wind für die Online-Händler rauer wird.
Nicht ohne Grund sehen Experten wie Alexander Graf (kassenzone.de) Amazon immer weniger als Handelspartner oder Marktplatz, sondern vielmehr als stark automatisiertes und von Algorithmen getriebenes Marktplatzsystem, das seiner eigenen Logik folgend, den Verkaufsprozess stetig am Kundenbedürfnis verbessert, um zum alternativlosen „Shop for Everything“ zu werden.
Von daher ist Online-Händlern grundsätzlich davon abzuraten, die Marktplätze als alleinigen Vertriebskanal zu nutzen. Dann wären Abhängigkeit und Risiko viel zu hoch. Andererseits kann man natürlich mittanzen, solange die Musik spielt. Rein taktisch müssen Online-Händler sogar tanzen, weil Marktplätze wie Amazon von den Kunden verstärkt als Produktsuchmaschine genutzt werden.
Ähnlich wie bei Google gilt es daher, das eigene Angebot durch permanente Datenauswertung und Optimierung der Produktbeschreibungen fit für die Buy-Box zu machen, um überhaupt die Aufmerksamkeit der Kunden zu gewinnen.
Kundenbindung ist eine Herausforderung
Welche Strategie empfehlen Sie Händlern?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich Online-Händler verstärkt strategischen Fragen widmen würden. Laut Cluetrain Manifest sind Märkte als Gespräche zu verstehen. Bin ich eigentlich mit meinen Kunden im Gespräch? Habe ich meine erfolgversprechendste Zielgruppe bereits definiert? Kenne ich den dringendsten Bedarf meiner Zielgruppe? Korreliert dieser Bedarf optimal mit meinem Produkt-, Leistungs- und Serviceangebot? Unterliegt mein Angebot einem stetigen Verbesserungsprozess?
Das sind wichtige strategische Fragen, die zu beantworten sind. Ein rein technokratischer Blick auf die Verkaufskanäle verliert die Kunden und ihre Kaufmotive aus den Augen. Nach Klärung dieser strategischen Fragen und einer entsprechenden Sortimentsausrichtung können die Marktplätze angesteuert werden, um erste Erfahrungswerte zu sammeln.
Die besondere Herausforderung wird dabei immer die Kundenbindung sein. Wie kann man mit den Kunden ins Gespräch kommen, wenn der Marktplatz als vermittelnde Instanz mit seinen perfektionierten Prozessen die Kundenzufriedenheit allein für sich reklamiert? Da wundert es zumindest nicht, dass Marktplatzkunden nur selten zu Stammkunden im eigenen Online-Shop werden – aller Lockangebote zum Trotz.
Alleinstellung durch Nischenprodukte oder Eigenmarken nötig
Welche Sortimente, welche Produktarten sind am vielversprechendsten für den Verkauf über Marktplätze?
Marktplatzkonforme Produkte sind in der Regel jede Art von Verbrauchsgütern aus Massenproduktion. Standardisierung und Vergleichbarkeit dieser Produkte führen allerdings zu den bereits angesprochenen Problemen von Preisdruck, Konditionendruck oder der Listung von Ersatzprodukten.
Von daher macht es strategisch Sinn, Produktsegmente zu besetzen, in denen der Wettbewerbsdruck weniger hoch ist oder sogar mit Eigenmarken zu punkten. Das passende Angebot für eine klar umrissene Zielgruppe ist wohl derzeit angesichts der niedrigen Margen in den heiß umkämpften Segmenten und bei den bekannten Markenprodukten am erfolgversprechendsten. Dann sollte man mit einem kleinen Sortiment starten, Vertrauen aufbauen, gute Bewertungen erzielen, Preise ausloten und die Reaktion der Konkurrenz beobachten.
Bei schlechtem Kundenservice droht Deaktivierung
Was sind aus Ihrer Erfahrung heraus die größten Herausforderungen, was wird am häufigsten unterschätzt? Wo machen Online-Händler die meisten Fehler beim Vertrieb über Marktplätze?
Eine besondere Herausforderung für Online-Händler ist sicherlich Kundenkommunikation und Kundenservice. Hier haben die Marktplätze mittlerweile hohe Standards etabliert, die es zu erfüllen gilt. Eine schnelle Reaktion auf Anfragen zu offenen Bestellungen ist beispielsweise Pflicht. Unterschätzt wird von Online-Händlern oft, dass man sich bei allzu großen Sortimenten schnell verzetteln kann. Ein großes Sortiment ist zudem kein Garant für hohen Umsatz.
Bei den Marktplätzen fallen die Servicefehler der Online-Händler am häufigsten auf: Artikel nicht lieferbar, falscher Warenbestand, Ware defekt, verzögerter Versand oder verspätete Reaktion auf Kundenanfragen. Bei solchen Patzern hagelt es schnell negative Bewertungen, was zu einem schlechteren Produktranking oder in letzter Konsequenz sogar zur Sperrung führen kann.
Welche Tipps und Handlungsempfehlungen können Sie Online-Händlern mitgeben?
Multi-Channel-Vertrieb ist kein Abenteuer, auf das man sich blauäugig einlassen sollte. Gerade der Verkauf über die Marktplätze ist sehr anspruchsvoll. Mit den jeweiligen Bedingungen, Regeln und Voraussetzungen gilt es sich gründlich auseinanderzusetzen sowie Chancen und Risiken abzuwägen. Vor allem sollten die Marktplätze als Teil einer umfassenden und tragfähigen Multi-Channel-Strategie verstanden werden, die der jeweiligen Positionierung und Kundenorientierung gerecht wird.
Das Interesse am Vertrieb über die Marktplätze ist auf jeden Fall nach wie vor sehr groß. Im 1. Quartal 2015 haben allein 60% aller plentymarkets-User auf einem der großen Marktplätze (Amazon und eBay) verkauft. 30% aller plentymarkets-User haben sogar beide Marktplätze bespielt. Das unterstreicht die Wichtigkeit der einzelnen Marktplätze im Multi-Channel-Vertrieb.
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Steffen Griesel, Geschäftsführer (CHRO) der plentymarkets GmbH. plentymarkets ist ein E-Commerce ERP-System, das Warenwirtschaft mit Shopsystem und Multichannel-Vertrieb verbindet. Dank umfangreicher Funktionen und Schnittstellen entlang der gesamten E-Commerce-Wertschöpfungskette lässt sich mit der online-basierten Software der gesamte Workflow im Online-Handel voll automatisiert abbilden.
Webseite: http://www.plentymarkets.com |