Experten im Gespräch: Hagen Meischner von pixi* Software GmbH
Hagen Meischner bewegt sich seit 2007 im E-Commerce. Seitdem begleitet er den Markt nicht nur eng, sondern hat auch die Möglichkeit, seine eigene Markteinschätzung in unzähligen persönlichen Gesprächen mit Versendern, Online-Händlern und anderen Marktteilnehmern zu reflektieren.
In einem Interviewgespräch erläutert er, in welche Richtung er die Entwicklung des Marktes sieht und wie sich Online-Händler den künftigen Herausforderungen stellen können.
Prognose / Aussicht: Wie schätzen Sie die Situation ein – werden in den nächsten Jahren tatsächlich bis zu 90% der Online-Händler ihre Segel streichen müssen?
Zur Beantwortung dieser Frage müsste grundsätzlich geklärt sein, wer alles zum Begriff Online-Händler gezählt wird. Werden alle im Online-Handel gewerblichen Unternehmer einbezogen, also auch die Kleinstunternehmer im Nebengewerbe, kann man sicherlich von einer großen Marktbereinigung sprechen. Dennoch halte ich die Zahl von 90% für zu hoch, ich gehe von 30 – 40% aus. Es wird vor allem Nebengewerbler und stationäre Händler treffen, die das nebenbei machen ohne aktiv/engagiert zu sein. Oder beispielsweise Online-Agenturen, die zufällig an einen Shop gekommen sind. Oder Händler, die nicht mit der Zeit gegangen sind und deren Sortiment veraltet ist. Nicht vergessen darf man, dass es auch heute bereits viele Zombie-Shops gibt.
Wohin die Reise geht
Neben den ganz großen Playern wie Amazon, eBay, Otto und Zalando werden auch die Top-100-Shops weiter deutlich überproportional wachsen. Doch auch wenn es einen Konzentrationsprozess in allen Sortimenten geben wird, wird es dennoch weiterhin lohnenswerte Nischen geben, die nicht von den sog. „Großen“ bespielt oder nicht in der notwendigen Intensität besetzt werden können. Schwer werden es jedoch die sog. Kistenschieber ohne herausragende Kompetenzen im Sortiment oder Service haben.
Aktuelle und zukünftige Herausforderungen
Um dem sich verschärfenden Wettbewerbsumfeld standhalten zu können, ist eine klare Positionierung unabdingbar. Dem Anbieter muss es gelingen, zur Marke zu werden. Zentrales Element hierbei ist die Sortimentspolitik. Die angebotenen Produkte müssen zur Zielgruppe passend auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt sein und sich auf einem akzeptablen Preisniveau bewegen. Der Kunde muss auf den ersten Blick wissen, was er von dem Shop erwarten kann; den gut sortierten Expertenshop zu einem Special Interest Thema, den attraktiven Discounter-Shop mit knackigen Preisen oder den „Generalisten“, bei dem derjenige findet, der einer Weile sucht.
Wichtig ist hierbei weniger ein möglichst breites Sortiment abzudecken, sondern die richtigen bzw. wichtigen Produkte im Sortiment zu führen. Auch an dieser Stelle kann man viel von Amazon lernen. Diese haben in den einzelnen Kategorien nicht unbedingt die größte Auswahl, aber sie führen stets die Top-Produkte zu einem meist guten und nur manchmal zum besten Preis.
In der Vergangenheit war zu beobachten, dass Online-Händler zu wenig auf klassische kaufmännische Tugenden achteten. Dies ist sicherlich auch dem rasanten Wachstumstempo dieser Branche geschuldet. Spätestens jetzt ist es jedoch notwendig, dass die Marktteilnehmer sinnvoll wirtschaftlich handeln und kalkulieren, um auf die künftigen Herausforderungen adäquat reagieren zu können. Auf der anderen Seite müssen sie die Funktion des klassischen Handels, nämlich die Sortimentsvorauswahl, übernehmen. Nur wenige Shops werden mit einem Konzept Erfolg haben, das heißt: „so viel Sortiment wie möglichen anbieten“. Wenn man nicht schnell genug das Richtige findet, fragt man nämlich wieder Google, und dann bekommt man im Zweifel andere Shops als Treffer geliefert.
Eine weitere große künftige Herausforderung für die Mehrheit der Online-Händler liegt im konsequenten Ausbau ihres Services. Defizite sind vor allem bei der Reaktionszeit auf Kundenanfragen und bei der Professionalisierung im Retourenmanagement zu finden.
Mögliche Strategien und Maßnahmen für Online-Händler zur Positionierung
Der Online-Händler muss sich dem Kern seines Unternehmens und seines Unternehmertums bewusst werden. Wer bin ich, was kann ich, was will ich?
Bin ich der Einkäufer-Typ, kommt für mich eher ein breites Sortiment, möglicherweise mit der Positionierung über den Preis in Frage. Als Fashionista oder Marketer identifiziere ich mich über Sortimentszusammenstellung und -darstellung, jedoch niemals über ein möglichst breites Sortiment oder ausschließlich über den Preis. Wenn ich ein bodenständiger Unternehmer bin, sollte ich keinen MyTheresa -Shop eröffnen. Oder etwas platt ausgedrückt: „Schuster bleib bei deinen Leisten, stärke deine Stärken und merze die Schwächen aus.“ Der Shop und das Geschäftsmodell muss die Authentizität des Betreibers wiederspiegeln.
Praxis-Beispiele für Online-Händler mit einer klaren Positionierung und deren Erfolgsfaktoren
- porzellanhandel24.de steht für eine klare Positionierung. Gleichzeitig gelingt es dem Online-Shop durch die passende Produktauswahl und -darstellung Beratungskompetenz zu vermitteln.
- Design3000.de ist beim Thema Sortimentsführung und Warenpräsentation als leuchtendes Beispiel sicherlich führend.
- Kofferdirekt.de ist eine der Anlaufstellen für Koffer schlechthin und punktet mit einem gut ausgewähltem Sortiment und einer klaren Benutzerführung. Trotz dem sehr breiten Sortiment gelingt es dem Online-Shop, dass der Kunde schnell ans Ziel kommt.
- ASMC fokussiert sich als Adventure und MilitaryShop 100%ig auf seine Zielgruppe. Dies zeigt sich nicht nur im Sortiment, sondern auch bei den Services. So werden auch Artikel via Feldpost an im Ausland stationierte Kunden verschickt. In dieser Sortiments- und Servicetiefe kann Amazon niemals agieren.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Hagen Meischner bewegt sich seit 2007 im E-Commerce und ist heute als Head of Sales & Account Management für die pixi* Software GmbH tätig. |