So funktionieren Bonitätsprüfungen in Eigenregie
Jeder Shopbetreiber, der auf Rechnung oder Lastschrift liefern möchte, sollte sich schützen. Zu groß ist die Gefahr, die Ware zu versenden und auf seinen Rechnungsbeträgen sitzen zu bleiben. Das Wort „(Waren-)Kredit“ ist abgeleitet vom lateinischen Wort „credere“ (glauben) bzw. creditum (das auf Treu und Glauben Anvertraute). Es geht also um Vertrauen, das Vertrauen in den Kunden, dass er die gelieferte Ware auch bezahlt.
Das Risiko des Zahlungsausfalls lässt sich auf Dienstleister auslagern, doch hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kosten in der Regel das Ausfallrisiko übersteigen – ähnlich einer Versicherung, wo die vereinnahmten Versicherungsprämien immer die Schäden übersteigen müssen, damit das System funktioniert. Zusätzlich werden die Kosten der Risikoprüfung in die Konditionen einkalkuliert.
Dieser Artikel zeigt die Möglichkeiten auf, die Händler haben, um sich selbst mittels individueller Strategie vor (allzu hohen) Ausfällen zu schützen. Denn was für den einen gut und unerlässlich ist, kann für den anderen völlig unerheblich sein.
Grundvoraussetzungen prüfen
Bevor sich ein Shopbetreiber mit dem Thema Bonitätsprüfung auseinandersetzt, sollte er zunächst prüfen, ob sein Shop überhaupt für riskantere Zahlarten geeignet ist. Hierbei ist zunächst das Warensortiment zu betrachten: Wer Stricknadeln verkauft, hat wohl weniger Betrugsversuche zu befürchten als ein Verkäufer für Spielekonsolen. Daneben gilt es, auch die eigene Kundenklientel zu bewerten. Golfschläger oder Segelbedarf erreichen ein anderes Kundensegment als Ratgeber für Insolvenzverfahren. Kuckucksuhren ziehen wahrscheinlich ältere Kunden an, während Modeschmuck eher junge (wenn nicht minderjährige) Kunden anspricht..
Darüber hinaus hat auch die Werbestrategie Auswirkungen auf das Kundenklientel. Werbeanzeigen in der „Bravo“ sprechen eine andere Leser- und Kundschaft an als Annoncen in „Schöner wohnen“. „Einer unserer Kunden hat ein wahres Desaster mit der Kombination von Couponheften mit Rechnungskauf erlebt. Dies kann natürlich ein Einzelfall gewesen sein, aber trotzdem sind die Vertriebswege ebenfalls zu analysieren und bewerten.“ warnt Christoph Saebel, Geschäftsführer der adebio Forderungsmanagement GmbH.
Praxistipp 1: Über Auskunfteien besteht die Möglichkeit, in sogenannten Waschabgleichen, die Adresslisten für den Katalogversand um bereits negativ belastete Kunden bereinigen zu lassen. Dies erspart im übrigen nicht nur böse Überraschungen bei der Zahlungsmoral, sondern auch Porto und Papier. |
Ein weiteres Kriterium ist die eigene Marge an den jeweiligen Produkten. Bei einer hohen Marge lässt sich ein einzelner Forderungsverlust leichter verkraften als bei geringen Margen. Denn bei einer Marge von 50% muss man nur einen zweiten Artikel verkaufen, um zumindest den Wareneinkauf wieder auszugleichen. Bei einer Marge von 10% benötigt man hingegen neun weitere Verkäufe, um allein den verloren gegangenen Einkaufspreis aufzufangen.
Praxistipp 2: Nicht vergessen werden darf, dass bei Rechnungskauf der Wareneinkauf bis zum Eingang der Zahlung vorfinanziert werden muss! |
Plausibilität der Daten
Wenn man sich für die Zahlart Rechnung (bzw. Lastschrift) entschieden hat, gilt es, zunächst die Daten des Kunden auf Plausibilität zu prüfen. Hierbei ist zu prüfen, ob die Person und ggf. auch die Anschrift bereits im eigenen Datenbestand vorhanden ist.
Zusätzlich kann man (z. B. über Auskunfteien) die Adresse validieren lassen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Adressdaten auf eigenem Weg zu prüfen, hierzu kann man das Internet bemühen. Eine Auflistung interessanter Seiten findet sich ganz unten.
Darüber hinaus muss man das Geburtsdatum prüfen. Ein Alter < 18 oder > 80 Jahren dürfte verdächtig sein. Grundsätzlich sollte man immer das Geburtsdatum abfragen, dieses hilft bei der Bonitätsprüfung und auch später im Inkasso. Auch jede weitere Information (von der Telefon- und Faxnummer über Handelsregisterdaten bis hin zu Ausweiskopien) ist spätestens in einem Inkassoverfahren sehr wertvoll.
Ebenso lassen sich die Bankdaten (bei Lastschrift) prüfen. Zumindest lässt sich die Prüfziffer der IBAN überprüfen, dies geschieht nach Modulo 97-10, dazu lässt sich die BIC aufgrund der in der IBAN enthaltenen Bankleitzahl (Stelle 5 bis 12) prüfen. Links zu einer detaillierten Beschreibung sowie zu einer Bankleitzahlendatei finden sich im Artikel-Anhang. Einzelne Auskunfteien bieten an, die Existenz von Bankkonten zu bestätigen oder führen Abgleiche gegen sogenannte „Blacklists“ (Verzeichnis von Rücklastschriften oder Betrugsversuchen) durch.
Auch das Land des Bestellers spielt eine große Rolle. Die Rechtssysteme sowie Kosten und Bearbeitungsgeschwindigkeiten in der Rechtsverfolgung sind selbst innerhalb der EU sehr unterschiedlich. Hinzu kommt ggf. eine Fremdsprachenproblematik. Soweit man über den eigenen Inkassodienstleister bestimmte Länder gut abgedeckt hat, spricht nichts dagegen, in diese Länder per Rechnung zu liefern. Doch unterm Strich ist das Risiko im Ausland erheblich höher, ebenso die Kosten für Bonitätsprüfungen.
Praxistipp 3: Die Bestellzeit und die IP-Adresse des Bestellers sind wichtige Informationen: Bestellungen nachts um 3:00 Uhr aus Russland mit einer englischen Kreditkarte und einer Lieferanschrift in den Niederlanden sind auf jeden Fall verdächtig! Auch Bestellungen bzw. Bestellversuche, die binnen weniger Minuten mit abweichendem Namen bei gleicher Anschrift oder gleicher Mailadresse eingehen, können verdächtig sein. |
Eigene Bewertung der Bestellung
Sofern man über genügend historische Daten verfügt, kann man als Shopbetreiber Risikobestellungen ermitteln: Möglicherweise bestellen im Shop rund 90% Frauen und 10% Männer. Ist in diesem Fall eine Bestellung von Männern besonders sicher oder besonders auffällig? Liegt die Ausfallquote bei männlichen Bestellern über oder unter dem der Frauen? In welchen Regionen hat man prozentual die meisten Ausfälle? In welcher Altersstruktur? Bei welchen Produkten bzw. Produktkombinationen?
Beachten sollte man auch das Kundenlimit. Nur, weil jemand eine (Test-)Bestellung getätigt hat, sollte man ihn nicht ab diesem Zeitpunkt unbegrenzt auf Rechnung bestellen lassen. Betrüger machen gerne zunächst eine Kleinbestellung, damit der Rechnungskauf für sie freigeschaltet wird, um anschließend im großen Umfang auf Rechnung zu bestellen. So ist es denkbar, ein Limit für eine Erstbestellung einzutragen und dieses z. B. mit jeder Bestellung leicht anzuheben.
Manche Auskunfteien bauen gemeinsam mit dem jeweiligen Shop – anhand der individuellen Daten – sogenannte ScoreCards und Betrugsabwehrmechanismen. „Unser neuestes Produkt DEFENDA ist speziell für die Betrugsabwehr im Onlinehandel konzipiert worden!“ bestätigt auch Marion Lanaro von der Creditreform Boniversum GmbH.
Praxistipp 4: Eine wichtige Information bietet die Kundenhistorie: Wenn die ersten Rechnungen noch anstandslos bezahlt werden, die Mahnungshäufigkeit im Laufe der Zeit aber zunimmt, so sollte man das Limit anpassen. |
Identität des Bestellers prüfen
Sofern die Bestelldaten plausibel und unverdächtig sind, sollte die Identität der Person geprüft werden. Denn alle vorherigen Prüfungen bringen nichts, wenn die Person unter falschem Namen bestellt und real gar nicht existiert.
Schwierig gestaltet sich die Identifizierung (und auch Bonitätsprüfung) von Firmen, da diese oft nicht oder nicht in der angegebenen Form im Handelsregister eingetragen sind. Der „Friseursalon Uschi“ ist wahrscheinlich überhaupt nicht im Handelsregister eingetragen und auch nicht negativ belastet. Die Inhaberin Ursula Müller jedoch ist möglicherweise unter dieser oder aber ihrer Privatanschrift negativ eingetragen. Auch werden Firmennamen oftmals abgekürzt, z.B. „ABC GmbH“ statt „ABC Test und Bestellgesellschaft mbH“. Dies erschwert ebenfalls die Identifizierung. Andererseits sind die Ausfallquoten bei juristischen Personen oftmals niedriger als bei natürlichen Personen. Hier muss man immer abwägen, ggf. lohnt sich auch ein manueller Blick auf die Homepage der Firma und/oder in den Bundesanzeiger, um sich ein Bild zu machen.
Zur Identitätsprüfung kann man bereits in Eigenregie (z. B. über Telefonbücher im Internet) Prüfungen vornehmen. Sofern eine Person im Telefonbuch erkannt wird, dürfte dies bereits eine positive Information sein, eine Nichteintragung im Telefonbuch muss hingegen nicht negativ sein, denn viele Menschen lassen sich dort nicht eintragen.
Alternativ bzw. ergänzend helfen Auskunfteien, die die Existenz von Personen bestätigen können. Allerdings hängt dies stark von den angebundenen Datenquellen ab: Eine Auskunftei erhält viele Daten über Banken, andere von Mobilfunk- oder Telefonprovidern, wieder andere von Zeitschriftenversendern, Telefonbüchern oder auch der Post.
Praxistipp 5: Die Existenz eines Bestellers ist viel wichtiger als seine Bonität – immerhin zahlen rund 65% aller negativ belasteten Kunden ihre Rechnung, während Bestellungen mit falscher Identität in der Regel auf Betrüger zurückgehen, die nie bezahlen werden. |
Negativinformationen prüfen
Nach der Identifizierung geht es darum, die zu einer Person gespeicherten Negativdaten zu ermitteln. Hierzu kann man diverse Auskunfteien bemühen, diese unterscheiden dabei i.d.R. zwischen sogenannten weichen bzw. außergerichtlichen, mittleren bzw. gerichtlichen und harten bzw. öffentlichen Merkmalen.
Über die harten bzw. öffentlichen Merkmale sollten eigentlich alle Auskunfteien verfügen, die weichen/außergerichtlichen und mittleren/gerichtlichen Merkmale erhalten die Auskunfteien selbst durch ihre jeweiligen Vertragspartner. Je nachdem, mit welchen Partnern eine Auskunftei zusammenarbeitet, gibt es hier Unterschiede im Datenbestand. Welche Auskunftei am besten zum jeweiligen Shop passt, muss daher im Einzelfall geprüft werden. Darüber hinaus muss der Shopbetreiber entscheiden, ob er die Rechnungsoption für alle Besteller mit Negativmerkmalen ablehnt oder nur bei bestimmten Merkmalen.
Praxistipp 6: Bei den harten Merkmalen ergeben sich Unterschiede u. a. sowohl aus den unterschiedlichen Suchmechanismen der Auskunfteien (z.B. Schreibfehler-Toleranz) als auch aus der Geschwindigkeit, wie schnell neue Merkmale oder neue Anschriften von Personen in die Datenbanken eingepflegt werden. |
Scoring von Kunden
Zusätzlich zur Prüfung von Negativmerkmalen wird das Ausfallrisiko von den Auskunfteien nach internen Bewertungsschablonen eingeschätzt, indem ein genannter Scorewert gebildet wird. Grundvoraussetzung hierfür ist die Übermittlung des Geburtsdatums.
Das Scoring ist immer wieder in der Diskussion, weil Individuen aufgrund statistischer Daten anderer bewertet werden. Jedoch verhindert das Scoring ja nicht den Rechnungskauf für einzelne, sondern ermöglicht im Gegenteil diese Zahloption für die jeweilige Person erst.
Die Grundlage für Scorewerte ist unter anderem die Wohngegend: Vom Anteil der Freiberufler in dieser Wohngegend, über Hoch- oder Einfamilienhäuser, der Altersstruktur und Anzahl der Negativmerkmale bis hin zum Kaufkraftindex fließen diverse Informationen in die Bewertung ein. So liegt in manchen Gebieten das Ausfallrisiko bei < 1%, in anderen aber > 20%. Letzteres bedeutet zwar, dass immer noch rund 80% der Besteller ihre Rechnungen bezahlen und diese 80% unter den 20% Schlechtzahlern leiden. Aus Händlersicht ist das Risiko in diesen Gebieten jedoch tatsächlich stark erhöht.
Praxistipp 7: Bei welchem Scorewert jeder einzelne Shopbetreiber seine Grenze zieht bzw. ob er auf Scoring ganz verzichten möchte, kann jeder selbst entscheiden. Dies ist natürlich auch abhängig von der Kundenklientel. Wer Luxusartikel an Kunden in besten Wohnlagen vertreibt, hat ggf. eine andere Grenze als ein Shopbetreiber, der Billigware in Problemstadtteile liefert. |
Wirtschaftlichkeitsberechnungen
Wer den Rechnungskauf im Shop einführen möchte, der verspricht sich hiervon vor allem mehr Umsatz und damit auch mehr Gewinn. Dabei ist die Wirtschaftlichkeit vor allem von der realisierten Umsatzsteigerung abhängig, aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle:
- Welche Kosten fallen an?
- Wie verhalten sich die Kosten zu den anderen Zahlarten?
- Wie hoch ist die Ausfallquote?
- Wie gut ist mein Inkassodienstleister?
- Wie hoch sind die Kosten für Mahnungen und Rücklastschriften?
- Verändert sich das Retourenverhalten meiner Kunden durch den Rechnungskauf?
Eine vereinfachte Kalkulation könnte wie folgt aussehen:
Ohne Rechnungskauf (z.B. mit PayPal) | Mit Rechnungskauf (mehr und höhere Bestellungen) | |
Anzahl Bestellungen | 1000 | 1200 |
Warenkorbgröße | 100 € | 110 € |
Umsatz | 100.000,00 € | 132.000,00 € |
abzgl. Wareneinsatz (60%) | 60.000,00 € | 79.200,00 € |
abzgl. Kosten für Zahlart | 2.000,00 € (PayPal) | 1.000,00 € (Boni) |
abzgl. Forderungsausfall | 0,00 € | 3.960,00 € |
Verbleibender Gewinn | 38.000,00 € | 47.840,00 € |
Auch andere Faktoren können hineinspielen, beispielsweise bessere Einkaufspreise aufgrund höherer Bestellvolumina. Hier ist jeder Shopbetreiber selbst gefragt, seine individuelle Kalkulation zu erstellen.
Fazit
Eigene Bonitätsprüfungen und eigener Rechnungskauf können sehr lukrativ und interessant sein. Aber wie in allen Shopbereichen gibt es auch hier nicht den Königsweg. Es gibt nicht die beste Auskunftei, sondern nur die Auskunftei, die am besten zum jeweiligen Shop passt. Und es gibt auch nicht die globale Lösung, sondern nur das „individuelle Ideal“. Shopbetreiber sollten sich daher eingehend mit der Thematik auseinandersetzen, um die individuell beste Lösung zu finden!
Quickview: Entscheidungskriterien für oder gegen eine Realisierung über Dienstleister
- Wie sind die Konditionen?
- Wie stark geht der Dienstleister ins Risiko, wie hoch sind die Annahmequoten?
- Akzeptieren die Kunden Rechnungskauf über Dritte?
- Wie läuft die Retourenbehandlung? Welche Kosten entstehen hierfür?
- Wie flexibel ist der Dienstleister bei Sonderfällen?
- Wie kundenschonend ist die Kundenansprache im Mahnverfahren?
Liste interessanter Websites:
Adressverzeichnis: z. B. http://wiki.openstreetmap.org
Haftanstalten: z. B. http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Justizvollzugsanstalten_in_Deutschland
Krankenhäuser: z. B. http://www.deutsches-krankenhaus-verzeichnis.de oder http://www.kliniken.de
Prüfziffernverfahren für IBAN: http://www.iban.de/iban-pruefsumme.html
Bankleitzahlenliste: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Aufgaben/Unbarer_Zahlungsverkehr/bankleitzahlen_download.html.
Liste von Bonitätsanbietern:
- adebio Forderungsmanagement – www.adebio.de
- Boniversum (Creditreform) – www.boniversum.de
- Bürgel Wirtschaftsinformationen – www.buergel.de
- Deltavista – www.deltavista.de
- infoscore (arvato-Gruppe) – www.infoscore.de
- SAF Forderungsmanagement/Accumio – www.accumio.de
- Schufa – www.schufa.de
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Michael Brand, Geschäftsführer der adebio Forderungsmanagement GmbH, 42 Jahre alt, ist seit mehr als 20 Jahren im Forderungsmanagement tätig. Als langjähriger Experte im außergerichtlichen und lösungsorientierten Forderungseinzug versteht er Inkasso positiv im ursprünglichen, klassischen Sinne in der Vermittlung zwischen Gläubiger und der Gegenseite.
Webseite: http://www.adebio.de |