Dr. Sommer für Kunden: Kundenservice professionalisieren
Viele Kunden suchen den direkten Draht zum Händler, sei es für Produktberatungen vor dem Kauf oder Hilfestellungen danach. In diesen Fällen ist der Customer Care gefragt. Allerdings bedeutet der Kundenservice für viele Onlinehändler eine besondere Herausforderung. Und diese wächst mit der Zahl der Vertriebskanäle sowie den Social Media, da immer mehr unterschiedliche Kundenkontakt-Punkte überwacht und auch bedient werden müssen.
Darum funktioniert Customer Care auch nicht „irgendwie nebenbei“: Der Aufwand ist meist größer als gedacht. Wer dafür nicht feste Zeitfenster und vorbereitete Prozesse einplant, landet schnell im Chaos – und das merken auch die (potenziellen) Kunden. Denn zwei Faktoren machen die Qualität des Kundenservice aus: die Schnelligkeit der Reaktion auf Anfragen und wie hilfreich diese Reaktion ist.
Dabei ist Kundenservice aber keine Einbahnstraße. Für den Händler bietet er die einmalige Chance, am Puls der eigenen Zielgruppe zu bleiben, das eigene Markenprofil zu schärfen sowie ganz direkt Retouren zu vermeiden und unentschiedene Kunden zum Kauf zu führen. Außerdem sollten sich Händler bewusst sein, dass jeder unzufriedene Kunde, der sich meldet, wertvoll ist. Denn er steht für 26 weitere Unzufriedene, die sich nicht melden1 !
Um die nötige Schnelligkeit und Qualität des Kundenservice zu sichern, sollten Händler sich auf die typischen Anfragen vorbereiten und sowohl Vermeidungsstrategien als auch Bearbeitungsroutinen erarbeiten. Dafür ist es wichtig, die unterschiedlichen Typen von Kundenanliegen genauer zu betrachten.
Beratungsfelder im Customer Care
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, weswegen sich Kunden direkt beim Händler melden:
Produkteigenschaften und Verfügbarkeit
Sehr häufig werden Fragen zu Produkteigenschaften gestellt – entweder weil diese im Shop nicht genannt werden oder weil die Kunden die vorhandene Beschreibung nicht verstehen. So wird bei Mode oft nach Passformen oder Pflegehinweisen gefragt, bei technischen Geräten nach Kompatibilität oder bestimmten technischen Daten usw. Solche Anfragen sind wertvoll, denn sie zeigen auf, wo Informationsbedarf besteht, wo also bei den Artikelbeschreibungen nachgebessert werden sollte. Manchmal suchen Nutzer auch nach bestimmten Produkten und finden diese nicht, obwohl sie im Shop vorhanden sind. Treten solche Kundenanfragen häufiger auf, ist dies ein Alarmsignal dafür, dringend die Produktsortierung und die Suchfunktion im Shop zu überdenken.
Ein weiteres Anfrage-Motiv ist die Verfügbarkeit: Ist der Artikel sofort lieferbar oder wann ist mit einer Nachlieferung zu rechnen? Solche Fragen erreichen den Kundenservice oft auch dann, wenn der Shop eine Verfügbarkeitsanzeige hat. Der Hintergrund der Nachfrage ist dann oft ein Vertrauensproblem: Dem Besucher gefällt der Shop und das Angebot, er hat aber noch allerletzte Zweifel an der Seriosität des Händlers.
Unabhängig vom angegebenen Anfragegrund wollen diese Besucher im Grunde nur testen, ob „am anderen Ende des Shops“ auch ein ausreichend engagierter Mensch sitzt. Solche Anfragen lassen sich durch die prominente Platzierung der Service-Telefonnummer im Shop reduzieren. Denn allein der Aufruf „Haben Sie noch Fragen, unseren Kundenservice erreichen Sie unter…“ signalisiert, dass ein professioneller Kundenservice existiert.
Wichtig: Generell sind alle gezielten Anfragen zu Artikeln ein Zeichen für Kaufbereitschaft. Die Qualität des Kundenservices gibt dann den letzten Ausschlag, ob der Kunde gewonnen wird. Dabei müssen die Reaktionszeiten im Kundenservice sehr kurz sein, denn die Kauf-Interessenten haben wenig Geduld und wandern bei zu langsamer Reaktion schnell zum nächsten Shop ab.
Technische Probleme
Trotz mittlerweile technisch ausgereifter Shopsysteme gibt es auch heute noch Situationen, in denen ein Shop nicht korrekt funktioniert, sei es wegen defekter Browser oder randalierender Plugins, hysterischen Sicherheitseinstellungen oder Sonstigem. Wenn ein Shopnutzer dann anruft, um seine Bestellung vorzunehmen, darf sich ein Onlinehändler doppelt freuen: Denn welcher Internetsurfer bringt heute noch so viel Geduld mit bockigen Systemen auf? Zudem decken solche Anfragen potenzielle technische Probleme oder Lücken auf. Auch wenn dies im Rahmen der Nutzerberatung oft schwierig ist: Es sollte stets versucht werden, das technische Problem zu lokalisieren, ohne jedoch den Kunden zu überfordern.
Stand der Bestellung oder Zusatzbestellung
Ein Kunde hat bestellt, aber hinterher fällt ihm auf, dass er noch weitere Artikel ordern möchte. Wie kann er nun hinzubestellen, ohne dass erneut Versandkosten anfallen? Gibt es für diese Situation keine direkt in den Shop integrierbare technische Lösung, muss in diesen Fällen der Kundenservice die Bestell-Zusammenführung übernehmen. Dazu benötigt er Zugang zu den entsprechenden Systemen, um die Zusatzbestellungen in das Shop- oder Fulfillment-System einzugeben.
Am häufigsten stellen Kunden allerdings die Frage nach dem Stand ihrer Bestellung – beispielsweise: „Wann ist mit der Lieferung zu rechnen?“, „Ist das Paket schon unterwegs?“, „Kommt die Sendung vor dem Wochenende/nächster Woche/Tag XY?“. Aber auch der Wunsch, eine Lieferung wegen bevorstehender Abwesenheit der Kunden um eine gewisse Zeit zu verzögern oder an eine andere Lieferadresse zu versenden, fallen in dieses Themenfeld.
Ein Großteil solcher Anfragen kann vermieden werden, wenn Updates zum Lieferstand automatisch per Mail an die Kunden versendet werden, beispielsweise bei Zahlungseingang und beim Absenden der Ware. Zusätzlich können diese Informationen im Kundenbereich des Onlineshops einsehbar gemacht werden. Idealerweise enthalten die Informationsmails zu einer Bestellung stets einen Hinweis mit Link auf diese Möglichkeit. Mittlerweile Standard ist auch die Sendungsverfolgung über den Logistiker. Der Link hierfür sollte inklusive aller notwendigen Daten (Paketnummer) automatisch an den Kunden versendet werden.
Beschwerden
Neben diesen eher angenehmen Routine-Themen gibt es natürlich auch Beschwerden oder Kontaktaufnahmen von Kunden, die von angeblich oder tatsächlich zustehenden Rechten Gebrauch machen wollen. Selbst wenn solche Anfragen im Ton nicht selten unangenehm sind – meist sind sie ein Zeichen dafür, dass der Kunde noch immer ein gewisses Interesse am Unternehmen hat. Entsprechend geschulten Service-Mitarbeitern gelingt es auch in solchen Fällen nicht selten, die Situation zu deeskalieren und den Kunden nicht nur zu befrieden, sondern womöglich sogar zurückzugewinnen.
Hohe Anforderungen an Organisation, Technik und Kompetenz
Um alle genannten Anfragearten bedienen zu können, benötigt ein Onlineshop sowohl eine Service-Hotline, als auch eine telefonische Bestellannahme. Allerdings kann man nicht alle Kundenanliegen strikt zuordnen: Vielleicht ruft ein Kunde mit der Bitte um eine Lieferstands-Auskunft an, während des Gespräches kristallisiert sich aber heraus, dass auch eine Zusatzbestellung gewünscht ist. Idealerweise bietet ein Kundenbetreuer einem Anrufer, der sich über ein Produkt informiert, auch an, direkt eine Bestellung auszulösen, oder bei einem telefonischen Widerruf wegen falscher Kleidergröße wird gleichzeitig die Ersatzbestellung der korrekten Größe in das System eingegeben.
Dies bedeutet, dass Kundenservice-Mitarbeiter nicht nur Zugriff auf die Lieferinformationen haben müssen, sondern auch die Möglichkeit, Bestellungen direkt im Bestellsystem zu erfassen oder zu editieren. Als drittes System kommt ggf. auch noch die Warenwirtschaft bzw. das Einkaufssystem hinzu, um über erwartete Nachlieferungen informieren zu können.
Während das Gros der Kundenanfragen – ob telefonisch oder per Mail bzw. Webformular – mit einer einmaligen (und oft auch recht standardisierten) Antwort abgewickelt werden kann, ergeben sich in einigen Fällen Dialoge. Bei der Bearbeitung per Mail ist es darum entscheidend, alle Teile des Dialoges zusammenzuhalten. Diese Aufgabe erfüllen sogenannte „Ticketsysteme“, die jeder Anfrage eine eindeutige Bearbeitungsnummer zuordnen und diese auch bei einem „Mail-Ping-Pong“ beibehalten. So erklärt auch Ulrich Pöhner von GREYHOUND in unserem Interview auf S. XX die automatisierte, content-bezogene Differenzierung der eingehenden e-mails via Workflow-Editor als ersten Schritt zur Sortierung. Oft erkennen solche spezialisierten Systeme schon beim Eingang einer Anfrage, welchem Themenkomplex sie zugehört, so dass voll- oder halb-automatisch bereits vorgefertigte Antworten angeboten werden können. Zudem eskalieren sie automatisch Anfragen, die länger als im System vorgesehen unbeantwortet geblieben sind. Und schließlich ermöglichen solche Ticketsysteme oft auch ein Controlling der Serviceaktivitäten, beispielsweise im Hinblick auf durchschnittliche Antwortzeiten.
Kanäle und Umleitungen
Eine besondere Herausforderung stellen Anfragen dar, die Kunden über Social Media absenden. Professionelle Help-Desks wie beispielsweise „Telekom-hilft“ machen vor, wie man damit optimal umgeht: Hier werden alle Anfragen, die mit allgemeinen Hinweisen oder Links auf Hilfeseiten geregelt werden können, direkt beantwortet. Alles darüber Hinausgehende leiten die Mitarbeiter auf die E-Mail-Ebene bzw. Formulare um, wo es in den normalen Customer Care Workflow einfließen kann (siehe Abb.). Wichtig:Beschwerden über Social Media sollten stets mit Priorität behandelt werden, denn hier kochen Gefühle besonders leicht hoch!
Je leistungsfähiger die Kundenservice-Systeme sind, desto leichter lassen sich vielfältige Kanäle und mehrstufige Serviceberatungen abbilden. Dazu gehören auch die Inhalte von Telefonaten. Nur so ist die Kundenhistorie vollständig dokumentiert – wichtig bei allen Folgekontakten! – und es lassen sich auch regelmäßige Auswertungen aller Servicethemen anfertigen.
Fingerspitzengefühl und Humor
Ähnlich hoch wie die Anforderungen an die unterstützende Technik sind die Herausforderungen an den Menschen: Nicht jeder ist in der Lage, bei jeder Art von Anfrage und jedem Kommunikationston stets verbindliche Ruhe und Freundlichkeit zu wahren. Onlinehändler, die im „Einmannbetrieb“ gleichzeitig den Stress des Tagesgeschäfts bewältigen müssen und daneben noch hochwertigen Kundenservice bieten wollen, sollten sich dieser Herausforderung unbedingt bewusst sein. Notfalls hilft es, fixe „Servicezeiten“ im Tagesplan festzusetzen, in denen dann die bis dahin aufgelaufenen Anfragen in Ruhe bearbeitet werden.
Mit Spickzetteln fällt es leichter, positiv zu formulieren: Statt „das Produkt ist aktuell nicht lieferbar, Sie können vorbestellen“ lieber „das Produkt kommt im nächsten Monat wieder rein. Wenn Sie es jetzt vorbestellen, bekommen Sie es als Erster, sobald es angekommen ist“. Wichtig ist, sich stets vor Augen zu halten: Das Ziel ist es, das Problem für den Kunden zufriedenstellend zu lösen.
Customer Care stetig weiterentwickeln
Unabhängig von der Organisation des Kundenservices ist es immens wichtig, stets alle anfallenden Themen zu protokollieren. In regelmäßigen Abständen sollten die so erstellten Listen ausgewertet werden.
Dabei geht es darum:
- Ansatzpunkte für Verbesserungen im Onlineshop zu finden: Wo kann oder muss besser informiert werden, damit entsprechende Anfragen gar nicht erst entstehen?
- Eventuellen Bedarf für zusätzliche Services im Shop zu erkennen, beispielsweise für einen Produktberater, für eine Nachbestellfunktion, für persönliche Bestellübersichten mit Lieferstands-Anzeige o. Ä.
- Vorlagen für Textbausteine zu erstellen, die häufige Fragen (halb-)automatisiert beantworten helfen.
- Bewährte Vorgehensweisen, beispielsweise zur Deeskalation bei aufgetretenen Fehlern, zu finden, die als Handlungsleitfaden für künftige, ähnlich gelagerte Fälle dienen können.
So spielt der Kundenservice eine zentrale Rolle bei der Kundenbindung, liefert wichtige Hinweise für die Weiterentwicklung des Sortiments und zeigt interessante Themenfelder für das Content-Marketing auf.
1 https://www.helpscout.net/75-customer-service-facts-quotes-statistics/
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
Nicola Straub arbeitet seit 1999 als Projektleiterin für Internetplattformen. Darüberhinaus arbeitet sie als Workshopleiterin und Coach für Online-Marketing-Projekte und Content- Entwicklung. Seit 2005 schreibt sie regelmäßig auf shopanbieter.de und anderen Portalen über E-Commerce-Themen und ist Autorin vieler Ratgeber sowie eines E-Commerce-Buches.
Webseite: http://www.physalia.de |