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10,25 Mrd. Euro Umsatz für die Marketplace-Seller: Amazons Marktplatzhandelsvolumen entmystifiziert?

Amazon Umsatz

Vorgestern erhielten mehrere Amazon-Händlern, die sich für das Early-Reviewer Programm in den USA angemeldet haben, eine Werbe-E-Mail von Amazon, die sie davon überzeugen sollte, auf Amazon.com zu verkaufen. Denn Amazon.com, so das Schreiben, das Mark Steier in Auszügen veröffentlicht hat, generiert allein 50 Prozent des Amazon-Gesamtumsatzes.

Und auf Amazon.com wird 7-mal soviel Umsatz erwirtschaftet wie auf Amazon.de! Und spätestens hier spitzte jeder Zahlenfuchs in der Branche gespannt die Ohren – denn was die Amazon’sche Vertriebsabteilung da so nonchalant zwischen den Zeilen ausposaunt, ist, zusammen mit den Informationen, die Jeff Bezos im April in seinem letzten Letter to the Shareholders verriet, das heißbegehrte Puzzlestück, das bisher immer fehlte, um ihn endlich zu berechnen: den Geheimnis umwitterten Marktplatz-Umsatz von Amazon.de.

Rund 10,2 Milliarden Euro erwirtschaften die Marketplace-Händler auf Amazon.de

Die entsprechende Rechnung haben neben Mark auch das Handelsblatt und Internetworld.de aufgemacht. Alle drei gehen von Bezos‘ Angabe aus, dass weltweit die Third-Party-Seller für 58 Prozent der gesamten Handelsumsätze von Amazon verantwortlich zeichnen – das wären laut Amazons Geschäftsbericht 2018 rund 160 Milliarden US-Dollar. Die Hälfte dieser Umsätze – also 80 Mrd. Dollar – werden laut der Werbemail in den USA generiert. Und diese Summe wiederum ist angeblich 7-mal größer als der Umsatz, der auf Amazon.de erwirtschaftet wird. Damit verbliebe für sämtliche Händler auf dem deutschen Marktplatz ein kumulierter Brutto-Umsatz von 11,42 Mrd. US-Dollar oder 10,25 Mrd. Euro. 

Ich muss zugeben: Ich bin schwer versucht, ein „Ich hab’s doch gesagt“ von mir zu geben. Schließlich haben wir schon vor zwei Jahren, den Marktplatz-Umsatz für 2016 auf rund 8,6 Mrd. Euro geschätzt. Rechnet man das Wachstum der Marketplace-Händler ein, war ich damit ziemlich nah dran an den Zahlen, die man jetzt aus den Informationen der geleakten E-Mail ableiten kann. 

Erste halbwegs seriöse Schätzung für den Außenhandelsumsatz von Amazon.de 

Natürlich kann man die neue Rechnung noch ein Stück weiterspinnen und aus den 10,25 Mrd. Euro Marktplatz-Umsatz und Jeff Bezos‘ Angaben im Aktionärsbrief zur Bedeutung der Marketplace-Seller tatsächlich erstmals eine seriöse Schätzung für den Außenhandelsumsatz von Amazon.de errechnen. 

Ingrid Lommer von der Internetworld hat sich gestern noch hinter ihren Abakus geklemmt und schätzt den Gesamthandelsumsatz (brutto) von Amazon.de – also Marktplatzumsätze plus Amazons Eigengeschäft – für 2018 auf 17,67 Mrd. Euro. Eine durchaus beeindruckende Zahl – die aber weit unter den abenteuerlichen Schätzungen z.B. von Fostect3noder dem Amazon Watch Report liegt. 

Wenn man nun schon mal eine neue – und erstmals einigermaßen seriöse – Schätzung für Amazons Außenhandelsumsatz hat, kann man auch gleich das ganz große Rad drehen und mal wieder fragen: Wie groß ist Amazon im deutschen E-Commerce? Die Antwort aus Ingrids Rechenschieber lautet erneut: Groß, aber nicht so groß wie vermutet. Sie hat den errechneten Brutto-GMV von 17,67 Mrd. Euro in Relation zu den 65,10 Mrd. Euro gesetzt, die der bevh als E-Commerce-Umsatz 2018 beziffert hat – und voila: „Amazon.de zeichnet für 27 Prozent des deutschen E-Commerce-Umsatzes verantwortlich.“

Fazit: Näher dran, aber ist das schon die Wahrheit?

27 Prozent – das ist durchaus beeindruckend, klingt aber trotzdem bei weitem nicht so übermächtig, wie man beim regelmäßigen Anblick eines allein mit Amazon-Paketen gefüllten DHL-Lasters glauben mag. Auch mich überrascht die Zahl, gefühlt ist sie zu niedrig. Ich selbst habe – zugegebenermaßen auf Basis deutlich weniger konkreter Zahlen – Amazons Anteil am deutschen E-Commerce für 2016 damals auf 38,5 Prozent geschätzt. Solange wir, neben den Zahlen der erwähnten Werbemail, keine „offiziellen“ Aussagen haben, bleibe ich weiterhin vorsichtig, was die Einschätzung des Mythos um das Marktplatzvolumen von Amazon anbelangt.

Dennoch: Wenn die Zahlen des bevh stimmen und die Angaben aus Bezos Brief an die Aktionäre und aus der geleakten E-Mail an die exportwilligen Seller valide sind – dann stimmen auch die 27 Prozent. Und dann müsste so mancher Report über Amazons erdrückende Übermacht komplett neu geschrieben werden.

Nachtrag vom 19.06.19: Die Stellungnahme von Amazon hat nicht lange auf sich warten lassen, die da lautet:

„Diese Zahlen sind in keiner Weise korrekt. Die Person, die diese Informationen zusammengestellt hat, hat Zahlen benutzt, die nichts mit den Verkäufen von Drittanbietern bei Amazon zu tun haben. Dies ist allein auf einen menschlichen Fehler zurückzuführen und es wäre falsch, anzunehmen, dass diese Zahlen etwas über das Geschäft von Amazon in Deutschland oder auf der ganzen Welt aussagen.“

Wie gesagt, es bleibt spannend und mysteriös. Ich befürchte fast, wir werden den Amazonumsatz nie ganz entschlüsseln oder gar erfahren.

Kleiner persönlicher Nachtrag: Ich, genauso wie die Kollegen aus dem Fachblätterwald, hyperventilierten ob der „geleakten“ Zahlen ja geradezu. Aber wenn ich mir die Reaktionen auf diese vermeintliche Sensation so anschaue, scheint es die Onlinehändler, eigentlich gar nicht groß zu interessieren. Recht so, besser um das eigene Geschäft kümmern!

Bildquelle: Pixelbliss @ bigstockphoto

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