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Einspruch: Amazon wird schon bald 100% Marktanteil in Deutschland haben!

Erst vor 1-2 Jahren war noch die Rede davon, dass Amazon schon bald 50% des deutschen E-Commerce-Umsatzes ausmachen wird. Dies wurde mittlerweile nun bereits von verschiedensten Seiten so oft wiederholt, dass diese seinerzeitige Schätzung mittlerweile scheinbar bereits als Wahrheit angenommen wird. Also nicht mehr als mögliche Entwicklung, sondern als hinzunehmende Tatsache.

Diese Tage lese ich nun, dass Amazon in den kommenden Jahren mehr als 75% des deutschen eCommerce ausmachen wird. Wahrscheinlich sogar noch mehr. Da bin ich gespannt, wie lange es nun dauert, bis diese Aussage von anderen aufgegriffen wird, um ein möglichst düsteres Bild zur Zukunft der Online-Händler zu malen.

Gleichzeitig frage ich mich, warum nicht gleich 100% Marktanteil für Amazon? Das lässt sich doch auch viel einfacher rechnen.

Amazon wird schon bald 100% Marktanteil in Deutschland haben

Daher sage ich es hier und jetzt, frank und frei, hoch und runter: Amazon wird schon bald 100% Marktanteil in Deutschland haben!

Lässt sich auch leicht sagen, kann eh niemand nachprüfen. Genauso wenig übrigens, wie all die anderen vermeintlichen Wahrheiten zu Amazons Marktanteil.

Ganz ehrlich? – ich weiß nicht, wie hoch Amazons Marktanteil in Deutschland ist. Aber das Interessante daran ist, dass es andere auch nicht wissen können.

Woher denn auch? In einer Zeit, in der wir doch noch nicht einmal wissen, wie viel Umsatz im Online-Handel überhaupt gemacht wird. Ja, und sogar regelmäßig darüber gestritten wird, wessen Zahlen denn nun falsch sind. Meist ohne dabei jedoch andere, zumal glaubwürdigere, Zahlen vorlegen zu können. Und wir wissen ja noch nicht einmal, wie viele Online-Händler es gibt. Geschweige denn, was ein Online-Händler überhaupt ist.

Um eine offene Frage von Martin Groß-Albenhausen, Geschäftsführer bei BVH-Services GmbH, sinngemäß zu zitieren: „Es gibt noch keine klare Definition, was ein Online-Händler überhaupt ist. Ist bspw. jemand, der seine Eigenmarke direkt aus Fernost bezieht und ausschließlich über Amazon FbA vertreibt, ein Online-Händler oder eher ein Importeur mit Direktvertrieb?

Und doch scheinen heutztage viele zu wissen, wie hoch Amazons Außenumsatz und deren Marktanteil ist. Komisch nur, dass ich keine, ich wiederhole keine, frei zugänglichen Zahlen kenne, die diese 50% Marktanteil wirklich nachhaltig belegen würden. Ich meine, natürlich kann das alles sein. Aber wir wissen es einfach nicht. Dann sollten wir aber bitteschön auch nicht so tun als ob.

Amazons Marktanteil vermutlich deutlich niedriger

Ich kann nur sagen, dass meine Recherchen einen ganz anderen und zwar niedrigeren Marktanteil ergeben.

Als Basis dienten mir vor allem die jährlichen EHI-Erhebungen zu den Umsätzen der Top1000-Shops, sowie die Ableitungen von Alexander Graf in seinem Kassenzone-Blog. – Vielen Dank dafür!

Die Basis von Alexander Graf, genauso wie bei den EHI-Erhebungen, ist Amazons Geschäftsbericht selbst. Der EHI schreibt in seiner Studie dazu: Der Gesamtumsatz Deutschland laut Geschäftsbericht beträgt 8,98 Mrd. Euro, enthält jedoch Service-Umsatz (insbesondere Marktplatz-Umsatz) sowie alle Exporte von amazon.de ins Ausland. Weiterhin sind die Umsätze der Shops de.buyvip.com und audible.de enthalten. Der Service-Umsatz, die Exporte sowie die weiteren Online-Shops wurden aus dem Deutschlandumsatz herausgerechnet.

Auf dieser Berechnungsgrundlage kommen die Analysten des EHI auf einen Umsatz in Höhe von 6,575 Mrd. Euro für das Eigengeschäft von Amazon.

Dies scheint mir schlüssig. Wichtig für unsere Fragestellung ist nun noch eine Schätzung des über Marketplace-Händler generierten Außenumsatzes. Hier folge ich grundsätzlich, da auch meine Einschätzung, gerne Alexanders Annahme: „15% durchschnittliche Marketplace-Provision und 40% Marketplace-Anteil am gesamten Außenumsatz.“  Wir haben die Tage jedoch erfahren, dass weltweit 45% der Amazon-Umsätze über Marketplace-Händler getätigt werden. Daher nehme ich diese der einfachheitshalber auch für Deutschland an.

Wenn also 6,575 Mrd. Euro 55% (100 minus 45% Marketplace-Anteil) sind, wäre der gesamte über Amazon abgewickelte Umsatz (Außenumsatz) knapp 12 Mrd. Euro:

6,575 Mrd. Euro (Amazon Eigengeschäft)            = 55%

5,375 Mrd. Euro (Amazon Marketplace)               = 45%

= 11,95 Mrd. Euro Außenumsatz            

In einem Kommentar bei Alexanders Beitrag kam ich bei einer ersten Rechnung noch auf 12,7 Mrd. Euro Außenumsatz. Hierbei hatte ich jedoch nicht alle im Geschäftsbericht offensichtlich enthaltenen Umsatzbestandteile (Buyvip und Exporte) berücksichtigt. Daher folge ich nun eher den EHI-Zahlen als Basis.

Und wenn wir nun von 35,18 Mrd. netto (ca. 42 Mrd. EUR brutto) gesamten E-Commerce-Umsatz in 2014 ausgehen, läge der Amazon bei 34% Anteil.

Aber, um es noch einmal zu betonen: Wir wissen weder die 35,18 Mrd. Euro, noch die 15% Ø-Marketplace-Provision, noch die 45% Marketplace-Anteil in Deutschland, noch die 6,575 Mrd. Euro Amazon Eigengeschäft. All diese Zahlen sind letztlich nur Annahmen oder besser gesagt Ableitungen und Annäherungen.

Dennoch sind diese hier vorliegenden Zahlen m.E. das Beste, was wir im Netz finden können. Und zumindest eines ist klar: Meine knapp 35% sind noch ziemlich weit weg von den oftmals kolportierten 50% Amazon-Anteil.

Es gibt jedoch auch andere Einschätzungen, die auf unter 40% Marktanteil kommen. So auch das Institut für Handelsforschung Köln. Diese kommen auf einen Außenumsatz in 2014 von 13,37 Mrd. Euro vs. meiner 11,95 Mrd. Euro.

Das IFH Köln geht dabei von 46,8% Marketplace-Anteil und höheren Amazon-Umsätzen generell aus. Die Vorgehensweise bei der Berechnung erläuterte das IFH Köln uns gegenüber wie folgt: „Amazon gibt selbst einen Deutschlandumsatz an. Die Angaben des Geschäftsberichtes zur Umsatzaufteilung gelten hingegen für Amazon insgesamt. Das IFH Köln überträgt und gewichtet diese Angaben entsprechend für den deutschen Markt. Dabei werden die Umsätze um Anteile aus Österreich und der Schweiz bereinigt.

Eine bedeutende Rolle für die Darstellung der Deutschland-Umsätze spielt der Wechselkurs. Das IFH Köln berechnet die Euro-Werte mithilfe des durchschnittlichen Wechselkurses (US$ – EUR) der Betrachtungsperiode.

Für die Ermittlung des Marketplace-Umsatzes (Außenumsatz) von Amazon in Deutschland legt das IFH Köln einen gesondert berechneten Provisionssatz zugrunde. Dieser wird mithilfe verschiedener Verfahren auf der Grundlage der Preis- und Sortimentsstrukturen von Amazon hochgerechnet. Dabei kann es sich selbstverständlich nur um einen Näherungswert handeln.“

Amazons Wachstum unterdurchschnittlich?

Gehe ich nun aber noch mal einen Schritt weiter und schaue mir Amazons Wachstum an, komme ich ebenfalls auf ganz andere Werte wie andere. Dies ist insofern wichtig, da doch das vermeintlich hohe Wachstum uns angeblich alle schon bald in Amazons Geiselhaft nehmen wird.

Bleiben wir bei den Zahlen des IFH Köln, die meiner Einschätzung nach jedoch wenn denn noch etwas zu hoch sind, ergibt sich nachstehendes Bild hinsichtlich der Wachstumsentwicklung von Amazon.

Demnach hätte sich Amazons Wachstum in den letzten Jahren bereits deutlich abgekühlt. Und dies in allen drei betrachteten Werten. Das nach wie vor überdurchschnittlich hohe Wachstum des Amazon Außenumsatzes (Eigengeschäft + Marketplace) von beinahe 20% ist den Zahlen des IFH Köln nach vor allem den Marketplace-Händlern zu verdanken. Deren Umsatz wuchs in 2014 um über 33%, währenddessen Amazons Eigengeschäft um nicht einmal 10% gewachsen wäre und damit unterdurchschnittlich.

Für die Zukunft rechnen einige Experten jedoch mit einem deutlichen Anstieg des Wachstums von Amazon. Dabei wird davon ausgegangen, dass es Amazon gelingt, seine Dienste immer besser miteinander zu verweben. Und darüber hinaus Dinge wie Amazon Prime, deren Same day delivery-Attacke oder deren für 2016 vermutete Lebensmittel-Attacke erneut das Konsumentenverhalten revolutionieren und die Kunden damit in die Arme von Amazon als First mover treiben würde.

Dieses Szenario ist möglich, muss aber nicht sein. Für eine aussagekräftige Beurteilung ist es meiner Meinung nach einfach noch zu früh. Die Info von Amazon selbst, dass sich Amazon Prime-Nutzer vor allem Orangensaft, Papiertücher und Haribo-Goldbären eilig schicken lassen, nährt diese Vermutung zumindest erst einmal nicht. Auch dass manch Logistiker hinter vorgehaltener Hand deren eigene SDD-Bestrebungen derzeit eher noch als Marketing-Maßnahme sehen, lassen solche Spekulationen nicht wirklich zu.

Dennoch möchte ich das nicht einmal ausschließen, obwohl ich es nicht glaube. Denn gleichzeitig wird auch in 2016 der Markt und seine Innovationen nicht nur von Amazon alleine getrieben werden. Dazu passiert auch außerhalb zu viel. Da müssen wir nur mal auf  Zalando, Project A oder About you schauen, um mal nur die bekannteren Händler zu nennen. Auch sowas wie der idealo Direktkauf ist eine interessante Entwicklung. Oder ein anderes, möglicherweise nur kleines Beispiel: Die Plattform chatshopper, eine Art WhatsApp-Einkaufsberater. Wir wissen nicht, ob dieses Geschäftsmodell langfristig tatsächlich funktionieren wird. Ist aber auch nur ein Beleg dafür, dass derzeit sehr viel passiert das nichts mit Amazon zu tun hat.

Auf Annahmen und Behauptungen lässt sich kein Haus bauen

Nichts Genaues weiß man nicht. Aber dafür schwirren sehr viel Annahmen, Vermutungen und auch Behauptungen in der Branche rum. Doch solange es kein belastbares Zahlenmaterial aus der Praxis gibt, sollten sich Online-Händler davon tunlichst nicht kirre machen lassen, sondern vor allem auf ihr eigenes Geschäft schauen. Das dafür aber intensiv.

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