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Was Online-Händler vom VON FLOERKE-Fall lernen können

Großmannssucht, Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung des Geschäftsmodells, dürften VON FLOERKE zu Fall gebracht haben. Wären die richtigen Schlüsse und Ableitungen aus den Kennzahlen getroffen worden, wäre das Scheitern aber sicher zu vermeiden gewesen.

Man kennt die Vorweihnachtszeit ja auch als staade Zeit. Dass dies für Onlinehändler noch nie galt, liegt auf der Hand. Dieses Jahr aber irgendwie umso weniger, da auch die Boulevard- und Wirtschaftsmedien den VON FLOERKE-Fall aufgriffen und ausgiebig darüber berichteten.

Rekapitulieren werden wir den Fall an dieser Stelle nicht mehr, der Einfachheit halber , da es bereits teilweise sehr ausführliche Veröffentlichungen vom Handelsblatt, dem Manager Magazin, deutsche-startups.de und nicht zuletzt auch von Wortfilter.de gibt. Letzterer brachte, wenn nicht gar den Stein ins Rollen, zumindest jedoch Öl ins Feuer, als Wortfilter internen Mailverkehr und betriebswirtschaftliche Auswertungen veröffentlichte.

Seitdem scheiden sich die Geister, ob dies so – aus strafrechtlicher oder ethischer Sicht – in Ordnung sei. Zumindest jedoch haben die Zahlen etwas Licht ins Dunkel einer verworrenen Geschichte mit mehreren Protagonisten gebracht.

Dies erkennt man alleine schon daran, dass es in den Diskussionsgruppen vornehmlich zwei Meinungen gibt. Die eine, welche voller Schadenfreude über die Beteiligten herzieht, und die andere, die von unangebrachter Neidkultur spricht und davon, das Scheitern zum Unternehmertum gehöre. Beide liegen meiner Meinung nach falsch. Schadenfreude mag zwar für viele die schönste Freude sein, ist aber in letzter Konsequenz immer unangebracht, egal wie groß der Hintern ist, den es trifft. Es aber als normales Scheitern abzutun, ist zu einfach, denn es ist zu offensichtlich, dass Gründer und Geschäftsführer David Schirrmacher scheinbar vor allem Großmannssucht, gepaart mit einem großen Schuss Selbstüberschätzung und vermutlich auch kaufmännische Defizite letztlich zu Fall brachten. Dies zeigen nicht nur die oben verlinkten Artikel, sondern letztlich auch die veröffentlichten Zahlen.

Wie viel kriminelle Energie bei der Posse um die Kapilendo-Anleger wirklich dahintersteckt, lässt sich in der Außensicht m. E. aktuell nur mutmaßen. Auch Kapilendos Versagen, bzw. fahrlässige Unterlassung einer eingehenden Prüfung der von Schirrmacher genannten Zahlen, wäre eine eigene Untersuchung wert.

Alles paletti bis Ende 2016?

Interessant macht die ganze Story für mich aber auch, dass nun in der Branche endlich wieder mal über Kennzahlen und betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) und so weiter gesprochen wird. Denn auch wenn es einige vielleicht nicht mehr hören können, – da  ich nun schon seit einigen Jahren missionierend durch den E-Commerce-Wanderzirkus tingle – bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verweise ich darauf, dass die meisten Händler nicht scheitern, da sie schlechte Händler sind, sondern schlechte Kaufleute, die ihre Zahlen nicht im Griff haben. Meine alltägliche Praxis bestätigt mir jeden Tag aufs Neue, dass auch gut verdienende Online-Händler noch genügend Luft nach oben haben.

Darum habe ich einen Blick auf die uns bekannten, VON FLOERKE-Zahlen geworfen. Diese deuten darauf hin, dass bis Ende 2016 noch alles i. O. war, zumindest auf einem erfolgversprechenden Weg. Für 2016 ergab sich zwar bereits ein negatives EBIT in Höhe von knapp 68 TSD (-7,8% vom Umsatz), aber wie es aussieht, gleichzeitig genügend Stellschrauben, um das Geschäftsmodell rentabel zu bringen und für künftiges und deutliches Wachstum auf solide Beine zu stellen.

Letztlich ist die Erfolgsformel erstmal recht einfach (der Teufel liegt dann natürlich im Detail bzw. der Aufwand bei der Umsetzung):

  1. Stärken und Schwächen beim Ertrag, den Ausgaben und im Sortiment identifizieren
  2. Anschließend die Stärken ausbauen und die Schwächen möglichst eliminieren.
  3. Daraus ergibt sich im ersten Schritt ein höherer Ertrag, Liquidität und Umsatz. Ausnahme: Das Geschäftsmodell ist im Eimer oder das Unternehmen schon so nah an der Insolvenz, dass es ganz einfach zu spät ist.
  4. Anschließend kennzahlenbasiert expandieren

Und genau darum, und natürlich noch mehr, wird es auch in meinem Vortrag am 22. Januar 2019 bei der der eBay Seller Konferenz in Köln gehen.

Ich werde nicht nur darüber sprechen, wie man die BWA zur aussagekräftigen Kennzahlenmaschine macht, sondern auch darüber, was die beiden größten und vergleichsweise einfach umzusetzende Quick Wins, quasi die Erfolgsgarantie, für mehr Liquidität, Gewinn und letztlich auch mehr Umsatz sind.

Doch zurück zu den VON FLOERKE-Zahlen. Auch wenn für eine detaillierte und stichhaltige Bewertung der Situation Einblick in die Belege notwendig wäre, kann man alleine schon aus der BWA 2016 recht gute Ableitungen treffen. Schauen wir uns doch einfach mal ein paar Kennzahlen an.

Interessehalber auch im Vergleich zu 2017, woraus sich ergibt, dass die Expansionsstrategie für 2017 komplett in die Hose ging, wie sich an der, bei vergleichbar magerem Umsatzwachstum, Kostenexplosion der relevanten Posten zeigt. Die Zahlen legen zumindest die Vermutung nahe, als hätte Schirrmacher alles auf eine Karte gesetzt, ist quasi ohne Not „All in“ gegangen.

 

31.12.16 31.12.17 Veränderung
Umsatz 876.478   1.156.092   31,9%
Wareneinsatz 204.079 23,3% 351.869 30,4% 72,4%
Rohertrag 672.398 76,7% 804.223 69,6%  
Personalkosten 241.390 27,5% 439.235 38,0% 82,0%
Raumkosten 56.252 6,4% 124.623 10,8% 121,5%
Betriebl. Steuern 343 0,0% 761 0,1% 121,9%
Versich./Beiträge 3.990 0,5% 12.348 1,1% 209,5%
Besondere Kosten 49.591 5,7% 43.912 3,8% -11,5%
KfZ-Kosten 16.865 1,9% 26.360 2,3% 56,3%
Werbe-/Reisekosten 113.496 12,9% 387.923 33,6% 241,8%
Kosten Warenabgabe 79.575 9,1% 153.624 13,3% 93,1%
Abschreibungen 13.292 1,5% 34.891 3,0% 162,5%
Reparatur/Instandh. 22.371 2,6% 20.090 1,7% -10,2%
Sonstige Kosten 144.913 16,5% 368.977 31,9% 154,6%
Betriebsergebnis -67.884 -7,7% -804.629 -69,6% 1.085,3%
Zinsaufwand 15.611 1,8% 74.327 6,4% 376,1%
Sonst. Neutr. Aufw. 0,0% 144.272 12,5%
Sonst. Neutr. Ertrag 16.259 1,9% 111.231 9,6% 584,1%
EBIT -67.236 -7,7% -911.998 -78,9% 1.256,4%

Doch was wäre nach den 2016er-Zahlen die richtige Vorgehensweise gewesen?

Wie bereits angesprochen, kann ich mangels vollumfänglichen Einblick in die Zahlen und Belege nur bedingt konkrete Empfehlungen auf Basis der VON FLOERKE-Zahlen geben. Auch würde eine ausführliche Anleitung schnell den Umfang eines Buchs erreichen. Aber für einen allgemeingültigen Fahrplan, der m. E. von jedem Händler umgesetzt werden kann, reicht das allemal.

 

    1. Überblick über die Erlösströme verschaffen

Hier würde ich mir die Umsatzanteile je Kanal anschauen und in der BWA bspw. künftig (wie bei VON FLOERKE geschehen) auch in einzelne Konten buchen. So erhält man auf einen Blick die Umsatzentwicklung je Kanal im Vergleich zum Vormonat und Vorjahreszeitraum. Erkennt also sofort Trends und Entwicklungen.

Die Kostenseite würde ich genauso auf verschiedene Konten buchen, damit kenne ich nicht nur die Ertragsseite je Kanal, sondern kann auch deren direkte Kosten zuordnen.

In der Übersicht erkennt man auch, dass VON FLOERKE bis dahin noch keine Marktplätze bespielte. Wäre nach der Kostenoptimierung für mich einer der nächsten Schritte, geeignete Marktplätze, wie Amazon, Otto oder Zalando, zu evaluieren und anzubinden.

(Anm. d. Red.: VON FLOERKE hat in 2017 inklusive Amazon und Otto erschlossen bzw. separat ausgewiesen. Da bei VON FLOERKE jedoch für 2016 unter Konto 4470 bereits Amazon-Gebühren aufgeführt sind, muss er auch in 2016 bereits Amazon angebunden haben.)

 

Großhandel Aufsteller Shop Magento
Umsatz 627.917   16.800   2.177   333.653
-Retouren 15.477 2,5% 0 0,0% 0 0,0% 42.654 12,8%
-Erlösschmäl. 0 0,0% 0 0,0% 0 0,0% 26.005 7,8%
Nettoumsatz 612.440   16.800   2.177   264.994
68,3%   1,9%   0,2%   29,6%

 

  1. Überblick über die Ausgaben verschaffen

Hier werfen wir erstmal noch einen kurzen Blick auf die kumulierten Zahlen für 2016:

31.12.16
Umsatz 876.478  
Wareneinsatz 204.079 23,3%
Rohertrag 672.398 76,7%
Personalkosten 241.390 27,5%
Raumkosten 56.252 6,4%
Betriebl. Steuern 343 0,0%
Versich./Beiträge 3.990 0,5%
Besondere Kosten 49.591 5,7%
KfZ-Kosten 16.865 1,9%
Werbe-/Reisekosten 113.496 12,9%
Kosten Warenabgabe 79.575 9,1%
Abschreibungen 13.292 1,5%
Reparatur/Instandh. 22.371 2,6%
Sonstige Kosten 144.913 16,5%
Betriebsergebnis -67.884 -7,7%

 

Auffallend ist, dass der Wareneinsatz lediglich bei 23,3% vom Umsatz liegt. Dies ist schon ein sehr guter Wert, der genügend Spieltraum für ein einträgliches Geschäft bieten sollte. Zu erwähnen ist jedoch, dass man für eine zielgenauere Interpretation eigentlich die Veränderung des Warenbestands kennen müsste. Beispiel: Ein Händler der keine neue Ware mehr einkauft und seine Verkäufe ausschließlich aus dem bestehenden Warenbestand bestreitet, wird für den Betrachtungszeitraum selbstverständlich entsprechend einen Wareneinsatz von 0% (er hat ja keine neue Ware mehr gekauft) haben. Die BWA ist hier also mit gewisser Vorsicht zu geniessen.

Die Personalkostenquote von 27,5% ist für Onlinehändler ohne eigene Produktionsstätte im Normalfall tödlich und weit überdurchschnittlich. Im Fall VON FLOERKE ist mir nicht bekannt, ob sie selbst produzieren, daher kann ich die Personalkosten nicht wirklich beurteilen.

Im Normalfall wäre meine dringende Empfehlung, die Personalkosten genauestens zu durchleuchten und bspw. in verschiedene Kostenstellen, wie Marketing, Versand, Verwaltung etc., aufzuschlüsseln.

Anschließend prüfen, welche Arbeitsschritte welchen Aufwand verursachen und wo man sparen oder auslagern kann. Unbekannt bleibt jedoch, ob sich Schirrmacher einen Unternehmerlohn ausbezahlte bzw. wie hoch dieser war.

Auch die Raumkosten sind für einen reinen Onlinehändler dieser Umsatzgröße im Normalfall zu hoch. Hier bleibt jedoch unbekannt, welche Räumlichkeiten angemietet und wofür benötigt wurden. Bei den KfZ-Kosten kann es dagegen keine zwei Meinungen geben. Kein Händler dieser Umsatzgröße muss knapp 17.000 Euro im Jahr für seinen Fuhrpark aufwenden. Man braucht keinen Porsche, um seine Pakete zur Post zu bringen.

Interessanter jedoch die noch größeren Kostenblöcke wie:

Folgendes gilt für jeden Händler: Man nehme die größten Kostenblöcke und „zerfleddere“ diese in kleinere Happen, sprich Kostenstellen. Nur so erhält man einen Überblick, wo man künftig Geld sparen kann.

Bei den ‚Besonderen Kosten‘ fällt gleich mal auf, dass bereits Amazon-Gebühren enthalten sind. VON FLOERKE muss also bereits 2016 über Amazon verkauft haben. Die Einnahmen daraus wurden schätzungsweise dem Erlösstrom ‚Großhandel‘ zugeordnet (?).

Kommen wir zu den ‚Werbe-/Reisekosten‘. Wir wissen leider nicht, was im großen Kostenblock Werbekosten in Höhe von 93,5 TSD Euro enthalten ist. Würde es sich dabei nur um die typischen Marketingausgaben für den Onlineshop handeln, wäre dies natürlich deutlich zu hoch bzw. es müsste deutliches Optimierungspotential bei AdWords & Co. geben. Da VON FLOERKE zu diesem Zeitpunkt m. W. auch über Kaufhof, Breuninger und andere Kaufhäuser vertrieben wurde, könnte es jedoch sein, dass auch hier Kosten entstanden, die dem Konto ‚4600 Werbekosten‘ zugeschlagen wurden.

Gleiches gilt für die Reisekosten, die sich für Arbeitnehmer und dem Unternehmer in 2016 auf über 15 TSD aufsummierten. Für einen Onlinehändler dieser Umsatzgröße definitiv unnötig.

Auch die Kosten für die Warenabgabe in Höhe von über 79 TSD (9,1% vom Umsatz) sind gefühlt zu hoch, können mangels detaillierten Einblick in die Zahlen jedoch nicht abschließend bewertet werden.

Wäre es mein eigener Shop oder ein Beratungskunde von mir, würde ich noch deutlich mehr Werte kritisch hinterfragen, bspw., was die 12 TSD Lizenzkosten beinhalten oder 10,5 TSD für Wartungskosten für Hard- und Software. Aber auch, ob man 7 TSD Telefonkosten produzieren muss etc. pp.

Womit wir schon beim letzten großen Kostenblock, den ‚Sonstigen Kosten‘ sind. Hier gibt es viele Fragezeichen, die möglicherweise sämtlichst gerechtfertigt sind, jedoch erstmal „überraschend“ wirken. Bspw., was die Rechts- und Beratungskosten in Höhe von über 60 TSD beinhaltet. Auch die Buchführungskosten in Höhe von 20 TSD wirken erstmal etwas überdimensioniert und so weiter und so fort.

Bevor man jedoch voreilige Schlüsse zieht, müsste man erstmal im Detail wissen, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt.

Next steps

Nachdem die Kosten auseinandergenommen wurden und Optimierungspotenziale definiert wurden, wäre mein nächster Schritt, über eine Sortimentsauswertung (ABC-, XYZ-Analyse und DB-Kalkulation auf Artikelebene) das Sortiment zu optimieren.

Einerseits kenne ich dann die so genannten Lagerpenner, welche häufig 30%, manchmal sogar 50% des Sortiments ausmachen. Soll bedeuten, dass im Schnitt jeder zweite oder dritte Artikel in den letzten 12 Monaten nicht verkauft wurde. So weiß ich, welche Produkte sich nach Abzug der direkten Kosten (Marketing, Versand, Payment, Wareneinsatz) nicht lohnen und nichts dazu beitragen die Gemeinkosten zu stemmen. Also raus damit und Liquidität für die Top-Seller oder neue Sortimente schaffen. Wobei hier natürlich gilt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen und es mitunter gute Gründe geben kann, nicht laufende oder wenig kostendeckende Produkte dennoch im Sortiment zu belassen.

Ich kenne aber auch meine Hauptumsatzträger und weiß, welche Produktgruppen und Marken ich künftig ausbauen sollte.

Wie das geht, hatten wir in unserem Webinar diesen September ausführlich vorgestellt.

Sobald das Sortiment bereinigt ist, mache ich mich an den nächsten großen Brocken, der da heißt: „Umsatzsteigerung“. Bereits die Maßnahmen der Sortimentsbereinigung werden mir im Normalfall weiteren Umsatz bescheren. Aber nun geht es bspw. an die Erschließung weiterer Vertriebskanäle, Kooperationen oder der Internationalisierung etc. pp.

Lange Rede, kurzer Sinn: Aus meiner Erfahrung heraus, wäre es vermutlich vergleichsweise einfach gewesen, das Unternehmen in die schwarzen Zahlen zu bringen und den Umsatz deutlich zu steigern. Ob es dann aber ein 100-Mio.-Unternehmen geworden wäre, weiß zumindest ich nicht.

Wer jetzt noch mehr erfahren will, welche Maßnahmen ich Onlinehändlern zur Ertragsverbesserung empfehle, besucht – wie erwähnt – am besten meinen Vortrag am 22. Januar 2019 bei der der eBay Seller Konferenz in Köln.

Ich werde nicht nur darüber sprechen, wie man die BWA zur aussagekräftigen Kennzahlenmaschine macht, aber auch, was die beiden größten und vergleichsweise einfach umzusetzende Quick Wins, quasi die Erfolgsgarantie, für mehr Liquidität, Gewinn und letztlich auch mehr Umsatz sind. 

Disclaimer: Nein, diese Analyse ist im Detail sicherlich nicht komplett durchleuchtet und ja, es hätte noch intensiver recherchiert werden können. Auch die Beschreibung meiner üblichen Vorgehensweise und Maßnahmen, sind bei nicht vollständig bzw. ausführlich genug beschrieben. Aber ich hatte nicht vor, ein ganzes Buch zu schreiben bzw. fehlt mir dafür auch die Zeit. Hinweise zu Ungenauigkeiten oder Fehlinterpretationen in den Kommentaren sehr gerne!

Bildquelle: ADragan @ Bigstockphoto

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