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Wie ein deutscher Amazon-Händler von einem chinesischen Konkurrenten unter Druck gesetzt wurde

Hunderte Fake-Bestellungen von falschen Kunden-Accounts, gesperrte Ware, ein Erpresserschreiben und ein Trojaner auf dem Rechner: Was der Amazon-Händler Andreas Geuss in den letzten sechs Wochen erlebt hat, ist der reinste Internet-Krimi. Sein Fehler: sich mit einem chinesischen Konkurrenten anzulegen, der nicht verlieren kann.

Als Andreas Geuss, Amazon-Seller und Geschäftsführer des Online-Handels Movinto, Mitte September in sein Postfach schaute, staunte er nicht schlecht über eine Mail von unbekannter Adresse und in schlechten Google Translate-Deutsch: „Hallo, wir sind ein Drittanbieter-Serviceunternehmen“, war da zu lesen. „Unsere Aufgabe ist es, den Verkauf dieser ASIN zu entfernen. Der Verkäufer möchte, dass Sie den Verkauf sofort einstellen.“

Geuss wusste sofort, worum es ging: um sein Bestseller-Produkt, eine Mini-Überwachungskamera, die der Händer seit über einem Jahr erfolgreich in China sourct und auf Amazon verkauft. Kürzlich waren seine Umsätze mit dem Produkt jedoch deutlich zurückgegangen – der Grund war schnell gefunden: Ein chinesischer Konkurrent hatte das baugleiche Produkt unter der Marke „Microfire“ auf Amazon.de angeboten – ein von deutschen Händlern vielfach beklagter Vorgang, der aber leider auch von Amazon erstmal nicht zu verhindern ist.

Geuss aber wollte sich sein Bestseller-Produkt nicht so einfach abnehmen lassen und suchte nach einer Gegenstrategie. Schnell stellte er fest, dass die Marke „Microfire“ in Deutschland nicht eingetragen war – und registrierte den Namen flugs für sich. Mit den Markenrechten im Rücken hängte er sich dann an das Listing des chinesischen Konkurrenten dran. „War vielleicht nicht ganz die feine englische Art, aber manchmal wird halt mit harten Bandagen gekämpft – in einem legalen Rahmen, versteht sich“, so der Händler.

Hunderte Fake-Bestellungen und ein Erpresser-Schreiben

Was danach kam, hatte mit Legalität allerdings nichts mehr zu tun: Wenige Tage nachdem sich Geuss mit seinem Produkt an das China-Listing angehängt hatte, fluteten Bestellungen seinen Seller-Account.

„Es kamen Bestellungen über 80 bis 100 Produkte an einem Tag rein, von ganz verschiedenen Accounts – die meisten davon hatten den Status ‚Ausstehend'“, berichtet Geuss.

Als ‚ausstehend‘ markiert Amazon Bestellungen von Accounts, bei denen die Zahlungsmodalitäten nicht geklärt sind oder bei denen andere Unregelmäßigkeiten vorliegen. Sie können nicht weiterbearbeitet werden, bis Amazon den Status aufhebt, blockieren aber die bei Amazon gelistete Ware – der Händler kann sie nicht an andere Kunden verschicken, bis der weitere Status der ausstehenden Bestellungen geklärt ist. „Dadurch hing Ware im Wert von mehreren tausend Euro im System fest, ich konnte sie nicht weiterverkaufen“, erzählt der Movinto-Geschäftsführer. „Die wenigen Bestellungen, die ich tatsächlich versenden konnte, wurden sofort zurückgeschickt – und für jede einzelne wurde ein A-Z-Garantie-Antrag gestellt.“

Die Google Translate-Mail, die kurz darauf in seinen Posteingang flatterte, klärte radebrechend den Vorgang auf: „Bitte hören Sie sofort auf, alle Farben zu verkaufen“, hieß es da weiter. „Andersfalls kaufen wir alle Produkte in Ihrem Geschäft in großen Mengen. Sobald Sie versenden, werden wir uns beschweren und a-z, bis Ihr Geschäft geschlossen ist.“ Die Mail endet mit der offenen Drohung, man verfüge über 30.000 deutsche Käuferkonten. Und: „Hoffentlich kannst Du kooperieren.“

Kurz nach der beunruhigenden Droh-Mail brachte ein zweiter Vorfall das Fass für Andreas Geuss zum Überlaufen: Über einen Trojaner drangen Unbekannte in seinen Computer ein und stahlen die Log-In-Daten für seinen Amazon Seller-Account. „Ich habe allerdings die 2-Wege-Verifizierung eingerichtet“, so der Händler. „So konnten die Diebe nicht in mein Konto einbrechen – durch ihre Eindringversuche wurde das Konto lediglich gesperrt. Ich musste dann Rechner und das Konto komplett neu aufsetzen, bevor ich weiterarbeiten konnte.“

Auch wenn Geuss nicht beweisen kann, dass Erpresser und Account-Knacker dieselbe Person waren – der Online-Händler, der den überwiegenden Teil seines Umsatzes auf Amazon macht, hatte genug. Er zog sich von dem Listing zurück und machte einen Fall bei Amazon auf. Seitdem hat er von dem Erpresser nichts mehr gehört – die ausstehenden Bestellungen wurden von Amazon gelöscht, so dass der Händler seine Ware an andere, ernsthafte Kunden verschicken konnte.

Der chinesische Konkurrent verkauft sein Produkt jedoch weiterhin bei Amazon. (Anm. d. Red.: In solchen Fällen empfehlen wir Amazon derlei Rechtsverletzungen umgehend zu melden. Markenbesitzer berichten, dass Amazon auf Markenrechtsverletzungen durchaus schnell reagiert, Formular unter https://www.amazon.de/report/infringement).

Bei Erpressung und anderen Angriffen: Immer einen Fall aufmachen

Wir haben bei Amazon Deutschland nachgefragt, wie dort der Fall beurteilt wird. Erwartungsgemäß hält sich der Konzern sehr bedeckt – dennoch lässt der Online-Marktplatz durchblicken, dass man die Angelegenheit durchaus ernst genommen hat und auch rechtzeitig Alarmglocken losgegangen sind. Die internen Amazon-Algorithmen hatten bspw. bereits früh erkannt, dass mit den massenhaften Bestellungen von Geuss‘ Überwachungskamera etwas nicht stimmen kann – und die Bestellungen dann auf „ausstehend“ gesetzt, noch bevor der Händler seinen Fall eröffnete. Als Geuss sich dann an Amazon wandte, wurden die Bestellungen recht zügig gelöscht.

„Alle Amazon Marketplace Verkäufer müssen sich an unsere Verkaufsbedingungen halten – erlangen wir Kenntnis über einen Verstoß, ergreifen wir entsprechende Maßnahmen, die die Schließung des Verkäufer-Kontos beinhalten können“, so das offizielle Statement von Amazon.  „Verkäufer sollten sich bei Verdachtsfällen sofort über den Verkäuferservice an Amazon wenden, damit wir der Sache nachgehen können.“

Übersetzt heißt das: Wer als Amazon-Seller von einem Erpressungsfall betroffen ist, sollte offensiv damit umgehen, einen Fall bei Amazon eröffnen und ggf. auch die Polizei einschalten; Amazon zeige sich bei polizeilichen Ermittlungen stets sehr kooperationsfreudig. Wer sein Konto wie Andreas Geuss mit einer 2-Wege-Verifizierung schützt, kann bei Sicherheitsangriffen zudem Schlimmeres verhindern.

Klar ist aber auch, dass es schwer fällt, gegenüber einem Erpresser die Ruhe zu bewahren, wenn man die eigene Existenz von einer möglichen Account-Sperrung bedroht sieht. Andreas Geuss hat aus der Sache auf jeden Fall gelernt: „Ich habe den Fall zum Anlass genommen, mich um meine anderen Verkaufskanäle zu kümmern, die ich bisher vernachlässigt habe“, so der Händler. Die umstrittene Sicherheitskamera verkauft er mittlerweile recht erfolgreich auf eBay – unter seinem eigenen Firmennamen Movinto.

Bildquelle: motortion @ bigstockphoto

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