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Einspruch: Amazon im EU-Visier, oder warum auch für Jeff Bezos die Unschuldsvermutung gilt

Die EU-Kommission befragt Marketplace-Händler zu ihren Geschäftsbeziehungen mit Amazon. Im Raum steht der Verdacht auf wettbewerbswidriges Verhalten. Aktuell sammelt die EU aber nur Informationen, eine formale Untersuchung wurde noch nicht eingeleitet. Was das Ganze eigentlich soll, ist noch unklar.

Es war in den letzten Tagen ein viel kommentietrtes Thema in den Facebook-Händlergruppen, wie hier oder hier: Die EU hat in einem förmlichen Auskunftsverlangen Amazon Marketplace-Händler angeschrieben, um sie mittels eines 16-seitigen (!) Fragebogens zu ihren Geschäftsbeziehungen mit dem weltgrößten Marktplatz befragt. Wer sich das Monstrum einmal ansehen möchte – Mark Steier hat den Fragebogen zum Download bereit gestellt. Und wer sich fragt, ob er das alles wirklich ausfüllen muss: Ja, das ist Pflicht, wie die Internetworld in ihrem Bericht dazu erklärt:

„Da es sich um ein ‚förmliches Auskunftsverlangen‘ handelt, sind die Händler laut EU-Verordnung (Artikel 18) gesetzlich dazu verpflichtet ‚alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen, unabhängig davon, ob sie im Verdacht stehen, gegen Wettbewerbsvorschriften verstoßen zu haben‘. Eine unvollständige oder falsche Beantwortung der Fragen kann mit Geldbußen bis zu einem Höchstbetrag von einem Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahres erzielten Gesamtumsatzes geahndet werden.“

Die Frage ist: Was will die EU-Kommission mit den auf diese Weise gesammelten Informationen? Worauf zielt die Untersuchung ab? Die verantwortliche EU-Kommissarin Margrethe Verstager hielt sich bisher hier relativ bedeckt. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa gab sie zu Protokoll:

„Internet-Plattformen wie Amazon haben eine doppelte Funktion. Sie bieten eine Plattform für Händler, sind aber auch selbst große Anbieter. Dadurch stellt sich die Frage, was mit den Daten geschieht, die Amazon von den vielen kleineren Händlern erhält. Wenn sie genutzt werden, um den Service für die Einzelhändler zu verbessern, ist das legitim. Aber werden die Daten auch genutzt, um selbst zu analysieren, was die Leute wollen, was das nächste große Ding sein wird?“

Damit folgt Verstager dem Bundeskartellchef Andreas Mundt, der schon Anfang August ankündigte, sich diesen Teil des E-Commerce „genauer anschauen“ zu wollen. Eine formale Untersuchung sei bislang nicht eingeleitet worden, sagte Vestager, die Kommission stehe bei der Informationssammlung noch ganz am Anfang. „Wir gehen der Sache nach.“

Datenklau hat Amazon nicht nötig

Die Untersuchung dreht sich also um die Doppelrolle von Amazon als Marktplatz und Händler – und darum, ob das Unternehmen diese Doppelrolle in wettbewerbsrechtlich bedenklicher Weise ausnutzt oder nicht. Es geht scheinbar nicht – wie man rauslesen könnte – um einen Datenklau, bei dem Amazon in unerlaubter Weise Einsicht in die Marketplace-Daten oder die Amazon Pay-Daten nimmt. Gerüchte dieser Art halten sich zwar schon sehr lange in der Branche, aber auch für einen Jeff-Bezos-Konzern gilt die Unschuldsvermutung – und es gab bisher keine konkreten Beweise, die den Verdacht wirklich erhärten würden. Auch wenn in den Foren und Facebook-Gruppen, Händler immer mal wieder genau dies behaupten. Doch auch im Laufe der letzten Jahre von mir befragte Ex-Amazon-Mitarbeiter, verneinten stets, dass es einen „Datentransfer“ gäbe. Zugegeben, auch das ist noch kein Beweis, aber zumindest schon mal starkes Indiz.

Außerdem, hätte Amazon so einen Rechtsbruch gar nicht nötig. Schließlich ist der Marktplatz die größte öffentlich zugängliche Produktdatenbank der Welt, siehe unser Webinar. Wer sein Analysehandwerk versteht und die richtigen Tools benutzt, kann leicht rausbekommen, welche Produkte in welchen Amazon-Märkten gut laufen. Genau das praktizieren etliche Private Label-Händler tagtäglich so. Weshalb man vor anderen, findigen, Händlern wahrscheinlich noch mehr Angst haben sollte.

Und welche Lieferanten hinter diesen erfolgreichen Listings stecken, ist dann oft auch kein Hexenwerk mehr. So teste ich gerade ein Tool mit dem ich den Warenstrom zwischen Asien und USA auswerten kann. So finde ich genau raus, welche Firma welche Produktkategorien bei welchem Lieferanten, wie oft geordert hat. Einfacher geht es nicht.

Aber natürlich beherrschen die Amazon-Einkäufer diese Marktforschung auf amazon.de perfekt, wissen genau, wie sie Besteller, Salesrang, Anzahl Rezensionen etc. interpretieren müssen. Sie haben also gegenüber dem normalen Händler, der das Marktforschungsinstitut Amazon auch nutzt, einen gewissen Vorteil. Gleichzeitig haben sie sicherlich auch Zugriff auf weitere externe Tools und Daten. Ob dieser Vorteil aufgrund der Marktmacht von Amazon in den wettbewerbswidrigen Bereich fällt, wird die EU-Kommission zu entscheiden haben. Aber möglicherweise, geht es ja eigentlich auch um etwas ganz anderes.

Dennoch gilt letztlich: „Nichts Genaues, weiß man nicht“.

Bildquelle: benjaminec @ bigstockphoto

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