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Der Spezialist für individuelle Anforderungen – das Open Source-Webshop-System Magento im Eignungstest

Vor kurzem machten wir auf den Magento-Praxistest der Kollegen vom Kassenzone-Blog aufmerksam. Nun hat auch das Team der netz98 new media GmbH einen Bericht zur Anwendung von Magento erstellt. Im folgenden veröffentlichen wir diesen Eignungstest mit Ratgebercharakter im Wortlaut. Autor ist Daniel Nitz, Berater und Web-Developer bei der netz98 new media GmbH.

Gastartikel

Will ein Unternehmen einen neuen Online-Shop einrichten oder einen bestehenden grundlegend relaunchen, hat es meist schon zu Beginn ein bestimmtes Shopsystem fest im Blick. Die Umsetzung des Webshops rückt dann schnell in den Mittelpunkt. Dieses Vorgehen ist schon vom Ansatz her falsch, kann eine E-Commerce-Lösung doch immer nur Mittel zum Zweck sein. Und diesen Zweck gilt es genauestens zu definieren, bevor man sich für ein Shopsystem entscheidet. Mehr Aufmerksamkeit als der eigentlichen Umsetzung des Shops sollten Unternehmen deshalb einer vorgeschalteten Konzeptionsphase widmen. Denn über den Erfolg eines Onlineshop-Projekts entscheiden letztlich die Qualität und die Systematik, mit der Unternehmen wichtige Vorarbeiten wie Situationsanalyse und Erstellung des Lastenhefts sowie Überlegungen zur Usability und zum Design erledigen. Nur wenn ein Unternehmen ein detailliertes funktionelles und designerisches Konzept des Shops entwirft, das insbesondere die Bedürfnisse der Zielgruppe berücksichtigt, und zudem Aspekte wie das verfügbare Budget, notwendige Schnittstellen und die Performance spezifiziert, ist es auch in der Lage, ein Shopsystem auszuwählen, das seine Anforderungen bestmöglich erfüllen kann. Fakt ist: Nicht jedes Webshop-System eignet sich gleich gut für jedes Onlineshop-Konzept. Jedes System hat Stärken, die es für bestimmte Anforderungen und Einsatzbereiche prädestinieren und für andere eher disqualifizieren. Das gilt für kommerzielle Systeme genauso wie für Open Source-Lösungen. Ein Open Source-Webshop-System, das derzeit in aller Munde ist, ist Magento. Dieses wird im Folgenden technisch und funktionell unter die Lupe genommen und auf sinnvolle Einsatzmöglichkeiten überprüft. Magento-Hype hin oder her – auch dieses Shopsystem ist kein Allheilmittel.

Magento ist ein junges Open Source-Webshop-System, hinter dem das US-amerikanische Softwareentwicklungs- und Consultinghaus Varien mit Sitz in Los Angeles steht. Nach dem Entwicklungsstart im Januar 2007 und der öffentlichen Betaphase im August 2007 kam im März 2008 die erste finale Version auf den Markt. Derzeit steht Magento in der Version 1.2.0.1 zum kostenlosen Download bereit. Um Magento hat sich schon in kurzer Zeit eine schnell wachsende, aktive Community gebildet, die momentan rund 60.000 Mitglieder umfasst und sich in Blogs, Foren und Wikis austauscht. Mit den zwei Säulen – Community einerseits und kommerzielle Agentur Varien andererseits –, die beide Support bieten und Magento weiterentwickeln, ist die Zukunftssicherheit des Systems auch langfristig gewährleistet. Bislang 600.000 Downloads machen Magento zur am schnellsten wachsenden E-Commerce-Lösung weltweit.

Technologische Basis und Hardwareanforderungen

Magento wurde auf dem aktuellsten Stand der Technik programmiert. Technologisch basiert Magento auf dem Zend-Framework und der objektorientierten Skriptsprache PHP5. Das Zend-Framework, das vielen Entwicklern gut vertraut ist, wird kontinuierlich durch seine eigene Community und Zend weiterentwickelt. Mit dem Zend-Framework liegt Magento ein solides und weit verbreitetes Framework zugrunde. Eine flexible Skalierbarkeit ist dadurch garantiert, dass die Architektur von Magento das Aufsetzen von Datenbank- und Webserver-Clustern unterstützt. Magento implementiert allgemeingültige Programmiermuster wie MVC oder Singleton und überzeugt nicht nur deswegen durch eine sehr durchdachte Softwarearchitektur. Durch seinen technologischen Ansatz stellt Magento hohe Anforderungen an die Hardware. Verfügen Shopbetreiber über einen adäquat dimensionierten Server und optimieren dessen Einstellungen, werden sie keinerlei Performanceprobleme bekommen. Neben größer dimensionierter Hardware kann der Performance-Bedarf auch durch Caching kompensiert werden. Diese Unterstützung wurde jüngst durch Memcached eingeführt. Eine gute Performance auf einem billigen Shared-Hosting-Paket zu erreichen, ist aber definitiv nicht möglich. Damit liegen die Serverhosting-Kosten bei Magento deutlich höher als bei so manch anderen E-Commerce-Lösungen.

Fundierte Programmierkenntnisse bei Anpassungen

Da bei Magento Programmkern, Funktionen und Design klar getrennt sind, können Anpassungen am System vorgenommen werden – und zwar ohne Änderung des Original-Softwarecodes. Die Updatefähigkeit bleibt erhalten. Voraussetzung dafür ist eine professionelle Umsetzung der Anpassungen und ein tieferes Verständnis des Systems. Generell erfordert die Programmierung von Magento fundierte PHP-Kenntnisse und Erfahrungen bezüglich Entwicklungsframeworks. Selbst erfahrene PHP-Programmierer brauchen einiges an Einarbeitungszeit, da Magento zwar auf dem Zend-Framework basiert, das System an sich aber sehr komplex ist. Wegen dieser Komplexität können Shopbetreiber Funktionalitäten, die nicht im Standardumfang von Magento enthalten sind, meist nicht selbst umsetzen. Für die Erstellung individueller Templates beispielsweise, die über die flexiblen Design- und Layout-Templates von Magento hinausgehen, braucht man spezifische Programmierkenntnisse, um eigene Inhalte auszugeben. Gerade für kleinere Unternehmen ist deswegen eine handfeste Implementierung mit speziellen Features finanziell kaum machbar. Wollen sie Magento nutzen, müssen sie deutliche Abstriche bei der Umsetzung individueller Anforderungen in Kauf nehmen – sofern ihnen nur ein sehr schmales Budget zur Verfügung steht. Bei der Entscheidung für Magento müssen also auf jeden Fall die technischen, infrastrukturellen und fachlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden bzw. die Kosten, die durch die Inanspruchnahme von Agenturen oder Hosting-Partnern entstehen würden.

Hoher Modularitätsgrad

Magento ist durchgängig modular aufgebaut und kann deswegen flexibel erweitert werden. Mit Magento Connect besteht die Möglichkeit, viele Open Source-Erweiterungen aus der Community einfach per Knopfdruck zu installieren. Hier existieren schon 350 individuelle Module. Durch seine Modularität eignet sich Magento ideal für Unternehmen mit individuellen Anforderungen, denn auch eigenentwickelte Module lassen sich – bei entsprechendem Know-how – sauber integrieren. Bis auf finanzielle Belange sind individuellen Anpassungen kaum Grenzen gesetzt. Insgesamt ist Magento sehr verbindungsfreudig und lässt sich nahtlos in vorhandene Workflows einbinden. Die Web Services API von Magento unterstützt sowohl SOAP als auch REST und erlaubt den Produkt- und Bestelldatenaustausch mit Modulen von Drittanbietern, beispielsweise mit diversen ERP-Systemen. Neben der problemlosen Integration mit internen Systemen lässt sich Magento durch eigene Erweiterungen auch an externe Services und Dienstleistungen wie beispielsweise Online-Marktplätze oder Logistik-Dienstleister anbinden.

Multishopfähigkeit und Mehrsprachigkeit

Magento deckt alle üblichen Shopfeatures ab und bringt – obwohl erst kurz auf dem Markt –auch im Standardumfang innovative Funktionalitäten mit, die Konkurrenzprodukte zum Teil erst nachrüsten müssen. Eine Stärke von Magento ist die Multishopfähigkeit. Shopbetreiber können mehrere Shops auf einer Datenbasis verwalten, was die Produktpflege deutlich erleichtert. Der wohl größte Nachteil in diesem Zusammenhang ist allerdings die fehlende Mandantenfähigkeit, die das System nicht unbedingt zur ersten Wahl im Enterprise-Segment macht. Hier haben andere professionelle E-Commerce-Lösungen sicher einen Vorsprung. Gleichwohl unterstützt Magento über 60 verschiedene Sprachen, unterschiedliche Währungen und Steuerzonen, die individuell gepflegt werden können. Deswegen eignet sich das Shopsystem auch für multinationale Unternehmen, die mehrsprachige Oberflächen realisieren wollen. Der Knackpunkt an dieser Stelle liegt jedoch bei der Produktpräsentation. Zwar sind alle Beschriftungen von Funktionen und Währungsausgaben internationalisiert, die Produktdaten jedoch bieten standardmäßig keine Möglichkeit, mehrsprachig zu sein. Des Weiteren sind bei Magento marktübliche Bezahlsysteme integriert – von Kreditkartenzahlung, direkt oder mittels Payment Gateways wie Paypal, über Vorauskasse und Nachnahme bis hin zum Google Checkout. Hinzu kommen die derzeit rund 60 Bezahlsystem-Anbindungen aus der Community.

Flexibilität in der Attributsgestaltung

Magento bietet darüber hinaus exzellente E-Commerce-Funktionalitäten für Suchmaschinenoptimierung. Das System erzeugt von Haus aus sprechende URLs, die von Suchmaschinen leicht verarbeitet werden können. Für jedes Produkt lassen sich zudem aussagekräftige Seitentitel und Meta Tags individuell festlegen. Dies trägt dazu bei, dass ein Online-Shop bessere Platzierungen erhält und somit mehr Besucher generiert. Ein großer Vorteil von Magento ist darüber hinaus die Flexibilität in der Attributsgestaltung. Shopbetreiber können Attribute und Attributssets flexibel definieren. Die Verwendung von Attributssets, beispielsweise Schuhe oder Notebooks, erleichtert den Umgang mit produktspezifischen Attributen – bei gleichzeitiger Verbesserung der Übersicht und des Pflegeprozesses. Allerdings wird diese Flexibilität durch das EAV-Modell erzielt, was zu einer sehr hohen Datenbank-Auslastung aufgrund komplexer SQL-Abfragen führt. Wegen der dynamischen Inhalte können diese Abfragen nicht immer gecached werden.

Social Commerce-Features im Standardumfang

Magento verfügt über eine Vielzahl an Marketing- und Promotion-Features. Shopbetreiber haben beispielsweise die Möglichkeit, verschiedenste Preisregeln festzulegen. Mit diesen Preisregeln können sie Preisaktionen für bestimmte Produkte schnell und effektiv gestalten. Auch lassen sich mit Magento unkompliziert Product Bundles anbieten, Cross-Selling-Features auf Artikelseiten und Upselling-Funktionen im Warenkorb nutzen sowie Gutscheincodes individuell konfigurieren. Gleichzeitig existiert ein einfaches Newsletter-Modul. Hier bietet Drittanbieter-Software jedoch in der Regel deutlich mehr und auch bessere Features. Auch das integrierte CMS von Magento lässt sicherlich zu wünschen übrig. Allerdings sollte man hier auch bedenken, dass Varien mit Magento ganz klar den Schwerpunkt auf eine E-Commerce-Software legt und andere Systeme nicht neu erfinden will. So gibt es zum Beispiel ein paar mehr oder weniger schöne Ansätze zur Integration von Third-Party-CMS. Nennenswert sind die vorhandenen Social Commerce-Funktionen von Magento. Viele Social Commerce-Ansätze, die bei anderen Shopsystemen erst nachgerüstet werden müssen, bringt Magento schon im Standardumfang mit: vom Reviewsystem für Produktbewertungen und Sterne-Rating über Tagging und Tag Clouds bis hin zum Wunschzettel mit Send-to-Friend-Funktion. User können zudem mehrere Produkte auf einen Blick vergleichen. Durch den modularen Aufbau lassen sich Social Commerce-Konzepte, etwa die Integration von Communities zur Kundenbindung und -gewinnung, relativ leicht umsetzen.

One-Page-Checkout und Reports

Insgesamt weist das Frontend von Magento eine hohe Usability auf, da es größtenteils über AJAX gesteuert wird und die Benutzer die Ladezeiten wegen des asynchronen Nachladens der Inhalte als sehr gering empfinden. Eine äußerst benutzerfreundliche Funktion von Magento ist der One-Page-Checkout. Dieser ermöglicht es dem Kunden, den gesamten Checkout, der sonst über mehrere Seiten verläuft, auf einer einzigen Seite abzuschließen. Der Kauf von Produkten ohne vorheriges Anlegen eines Kundenkontos besitzt den Vorteil, dass Neukunden nicht durch lange Registrierungsprozesse vom Kauf abgeschreckt werden. So wird die Abbruchrate reduziert. Dazu trägt auch das Ausblenden anderer Shopelemente bei, die den Benutzer beim Checkout nur ablenken würden. Durch Magento Sales und Traffic Reports sind Shopbetreiber in der Lage, Verkaufsstatistiken zu generieren und Verkäufe und Vorgehen der User auszuwerten. Diese Funktionen ersetzen aber kein echtes Webcontrolling, wie es beispielsweise mit etracker oder nedstat möglich ist. Analysiert werden können beispielsweise aktuelle und abgebrochene Warenkörbe und Suchanfragen. Konkrete Ergebnisse etwa aus Wunschzetteln, Tags und Suchabfragen lassen sich dann in Verbesserungen am Shop umsetzen. Allerdings nutzt Magento den Google Chart Dienst zur Erzeugung von Graphen (chart.apis.google.com), sodass die erhobenen Daten von Google genutzt werden könnten. Das ist sicherlich ein kritischer Aspekt, den man zumindest abschalten sollte.

Pflegeprozesse und Rechtemanagement

Allgemein gilt: Um alle Features von Magento voll auszunutzen, ist ein ziemlicher Pflegeaufwand notwendig. Einfach die Daten aus einem früheren System zu exportieren, reicht nicht aus. Vielfach ist eine Nachbearbeitung unabdingbar. Die Daten müssen ausführlich strukturiert und eingepflegt werden. Die Pflege ist in der Folge dann aber auch einfacher zu handhaben. Es ist allerdings fraglich, ob ein One-Man-Shop oder kleinere Unternehmen dies adäquat bewältigen können. Für Shopbetreiber mit vielen Mitarbeitern sollte dies allerdings kein Problem darstellen. Hier birgt Magento einen weiteren Vorteil: das umfassende Rechtemanagement ermöglicht eine granulare Rechteverteilung und gewährt den Mitarbeitern ausschließlich Zugriff auf ihre Aufgabenfelder.

Vor- und Nachteile von Magento

Magento ist eine professionelle Open Source-Webshop-Lösung mit großer Funktionsvielfalt schon im Standardumfang. Sie punktet durch hundertprozentige Anpassbarkeit und beliebige Skalierbarkeit, Mehrsprachigkeit und hohe Usability. Gleichzeitig stellt Magento aber hohe Hardwareanforderungen und erfordert großen Einarbeitungsaufwand. Für individuelle Programmierungen sind fundierte Erfahrungen mit Frameworks und PHP unabdingbar. Will jemand schnell einen Onlineshop mit ein paar Standardfunktionalitäten umsetzen, der sofort einsatzfähig ist, ist von Magento eher abzuraten. Denn in diesem Fall ist Magento überdimensioniert und andere Shopsysteme sind eventuell besser geeignet. Generell ist Magento für kleine Unternehmen und Startups meist zu aufwändig, zu komplex und zu schwer in der Umsetzung. Zwar ist es auch für kleinere Shops mit kleinem Budget möglich, einen Shop mit Magento umzusetzen und zu pflegen, aus finanziellen Gründen müssen sie sich dann allerdings mit Standardfeatures begnügen und auf Individualität verzichten. Von den Hardwareanforderungen und dem Funktionsumfang her richtet sich Magento eher an mittelständische Unternehmen – mit Tendenz in Richtung Enterprise-Level. Für letzteres ist das System jedoch in Teilen noch nicht ganz ausgereift. Es fehlen Funktionalitäten wie beispielsweise die Mandantenfähigkeit.

Sinnvolle Einsatzgebiete

Für mittelständische, professionelle Shopbetreiber jedoch, die etwa multinational mit verschiedenen Sprach- und Währungsvarianten agieren, über ein breites Produktangebot verfügen, Web 2.0-Elemente oder andere individuelle Anforderungen umsetzen wollen, stellt Magento auch im Hinblick auf kommerzielle Produkte eine leistungsstarke Alternative dar – die funktionell und technisch ausgereifteste Open Source-Webshop-Lösung ist Magento sowieso. Generell werden angesichts der steigenden Konkurrenz im Online-Handel benutzerfreundliche und klar strukturierte Shops immer wichtiger. Und diese lassen sich unter Nutzung von Web 2.0-Elementen mit Magento gut umsetzen. Das zeigen beispielsweise Shops wie der von Mobile Edge (www.mobileedge.com) mit integriertem Blog oder der von Nerdy Shirts (www.nerdyshirts.com) mit Umfragetool sowie Empfehlungs- und Reviewfunktion. Können Unternehmen ihren Shop auf Basis von Magento nicht selbst umsetzen oder relaunchen, stehen genügend Magento Partner zur Verfügung. Wegen seiner Komplexität ist Magento allgemein eher ein Tätigkeitsfeld von Agenturen und IT-Dienstleistern.

Die Umsetzung eines Online-Shops und das Shopsystem selbst spielen für den Erfolg eines Shops zunächst einmal eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist eine detaillierte Konzeptionsphase mit genauer Definition der Anforderungen. Denn das beste Shopsystem nutzt nichts, wenn es nicht für die speziellen Bedürfnisse und Anforderungen eines Unternehmens und vor allem dessen Zielgruppe ausgelegt ist. Ziel muss es immer sein, die Lösung zu wählen, mit der alle Konzeptionsansätze mit möglichst geringem Aufwand umgesetzt werden können. Magento ist sicherlich die E-Commerce-Lösung im Open Source-Bereich mit dem größten Potenzial – ideal für alle Unternehmen ist sie deswegen aber noch lange nicht.

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