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Amazon hebt logistisch ab

Gerüchte besagen, dass Amazon eine eigene Cargo-Fluglinie gründet. Kann da etwas dran sein – und wenn ja, was steckt dahinter?

Gerade jetzt im Weihnachtsgeschäft zeigt sich wieder einmal: Der Stellenwert der Logistik im Versandhandel kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn dank der gesetzlichen Rahmenbedingungen bietet das Gros der Onlineshops heutzutage aus Sicht der Kunden „gleich sichere“ Einkaufsbedingungen. Und bei der Fülle von Shops und Produkten im Internet stellt sich auch nur noch sehr selten die Situation ein, dass ein bestimmter Shop oder ein dort angebotenes Produkt ohne Alternative ist.

Was bleibt dann also als wichtigstes Entscheidungskriterium übrig? In den allermeisten Fällen ist dies die Logistikfrage:

Wie schnell – und noch wichtiger – wie verlässlich komme ich an meine bestellte Ware?

Immer wieder schreiben Händler in unseren Kommentaren, „gottseidank gibt es noch Kunden, für die auch Lieferfristen von 2-3 Tagen völlig ok sind“. Und natürlich ist stimmt das. Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass es neben der Produktvielfalt vor allem die Lieferzuverlässigkeit und vor allem auch -Geschwindigkeit ist, die Amazon so groß gemacht hat, wie es heute ist.

Denn online einkaufen ist heute kein Experiment mehr. Es ist vielmehr Teil der normalen Bedarfsdeckung. Und ein Bedarf muss verlässlich und innerhalb einer überschaubaren Zeit gedeckt werden! Wer hier Erwartungen enttäuscht, riskiert viel. Das musste auch Amazon feststellen, als im letzten Jahr in den USA viele Weihnachtsgeschenke erst nach dem Fest zugestellt wurden: UPS hatte die Lieferungen schlicht nicht rechtzeitig zugestellt – Schuld war angeblich das schlechte Wetter, auf das der Logistikdienstleister ganz offensichtlich nicht eingestellt war.

Amazon hebt ab…
Foto: Albert Jaime Casanova via pixabay

Nicht erst seit diesem GAU testet Amazon selbst die wildesten Ideen, um die Zustellung der Ware an die Kunden zu optimieren. Dabei war es zuletzt meist die sogenannte „letzte Meile“ – das Abliefern der Pakete beim Kunden -, die im Fokus lag. Lebhaft in Erinnerung ist das Experiment, Pakete per Drohne in den Garten der Kunden zu liefern. Tatsächlich betreibt DHL in Kooperation mit einer Apotheke auf Juist ein Forschungsprojekt „Paketkopter“.

Auch die Zustellung in den Kofferraum der geparkten Autos von Kunden ist eine Idee, bei dem Amazon mindestens beteiligt ist, wenn es nicht sogar dort geboren wurde.

Same-Day als weiterer Druckfaktor gegenüber dem Wettbewerb

Seit kurzem nun bietet der Handelsgigant in 14 Großstädten die taggleiche Lieferung an. Übte Amazons Lieferung am nächsten Tag schon Druck auf den Wettbewerb aus, so setzt Amazon mit der taggleichen Lieferung jetzt im Weihnachtsgeschäft noch machtvoll eins drauf.

Denn hier sind Kunden besonders ungeduldig, sie wollen einfach wissen, dass Ihre Geschenkeplanung aufgeht und alles rechtzeitig genug ankommt. Gleichzeitig schauen die Käufer beim Weihnachtsgeschäft oft auch stärker auf die Versandkosten – und auch dabei punktet Amazon, indem es die taggleiche Lieferung in das Primepaket aufnimmt.

Genau dieser Punkt wird den Unterschied ausmachen in dem Rennen, in das sich mit Media-Saturn nun ein weiterer Big Player mit der Ankündigung begeben hat, ebenfalls eine Same-Day-Lieferung anzubieten. Zwar können rechnerisch bei Media-Saturn noch viel mehr Kunden diesen Service nutzen – mit einem Aufpreis von „knapp 15 Euro“ dürften dies jedoch nur wenige tatsächlich auch tun.

Trotzdem zeigt die rasche Antwort von Media-Saturn auf Amazons Serviceoffensive, wie stark der Druck auf den Handel ist. In Foren reagierten Händler mit Einzelshops unterschiedlich auf Amazons neuen Service: Während die einen auf die (Stamm-)Kunden mit größerer Geduld setzen, äußerten andere mit Bemerkungen wie „das könnte uns das Genick brechen“ durchaus große Sorge.

Anreiz für FBA

Für Marketplace-Händler wiederum dürften die Möglickeiten der Same-Day-Lieferung ein starker Reiz sein, Amazons eigene Logistik (FBA, Fullfillment by Amazon)  zu nutzen. Denn als FBA-Teilnehmer können ihre Produkte in den Genuss der taggleiche Lieferung kommen. Die könnte sich als wichtiger Wettbewerbsfaktor im umkämpften Marktplatz auswirken. Hier haben es Anbieter oft eh schon schwer, sich gegen Amazon selbst sowie unterbietende Mitbewerber zu behaupten. Kommt noch der Lieferservice als weiterer Faktor hinzu, könnte dieser das Zünglein an der Waage sein. Denn für Kunden auf dem Amazon Marketplace ist die Liefergeschwindigkeit durchaus auch jenseits des Weihnachtsgeschäfts ein wichtiger Faktor, wie man an den Nutzerbewertungen ablesen kann, in denen es (auch) immer wieder um die Dauer der Lieferungen geht.

Unabhängigkeit und Kostenersparnis sind die Ziele

Bei allen Logistik-Optimierungen geht es Amazon jedoch nur zum Teil um die Serviceverbesserung für die Kunden. Natürlich ist es gelebte Poitik des Giganten, stets die Seite zu sein, die die Standards im Kundenservice setzt. Und damit den Rest des Marktes zu einem ständigen Aufholrennen zu zwingen.

Darüber hinaus ist es jedoch das Problem der Abhängigkeit von Dritten in der Logistik, das Amazon treiben dürfte. Zwar hat der Versandhandelsriese seit Jahren mit der DHL spezifische Verträge. Darüber hinaus stellen jedoch seit einiger Zeit auch andere Dienste wie z.B. Hermes Amazon-Lieferungen zu. Schon durch diese Ausweitung sinkt die Abhängigkeit und wächst die Macht Amazons beim Aushandeln von Rahmenverträgen.

Eigene Logistikzentren, Abholorte, Zustelldienste

Das Amazon dies allein nicht ausreicht, zeigt sich in der Gründung nicht nur laufend weiterer Logistikstandorte, sondern auch eigener Logistikdienste: So hat Amazon in Großbritannien nach eigenen Angaben mit Doncaster diesen Herbst das achte Fulfilmentcenter eröffnet und verfügt bereits über 13.000 „Pickup Locations“ in Form von Zeitungskiosken, Shops oder auch eigenen Paketstationen, den „Amazon Lockers“. Solche „Lockers“ sollen auch in Frankreich geplant sein.

In den USA liefert Amazon schon länger selbst aus, beispielsweise mit der eigenen „AmazonFresh“-Flotte, die in bestimmten Bereichen Frischware, aber auch weitere Produkte zustellt. In der Breite ist der Marktgigant jedoch weiterhin auf andere Unternehmen angewiesen, wie der Weihnachts-GAU im letzten Jahr gezeigt hat. Doch die Stoßrichtung zielt klar darauf, sich auch bei der Zustellung stetig unabhängiger zu machen. In Zeiten des „‚Crowd’ings“ überlegt Amazon sogar, dafür jedermann zum Zusteller zu machen.

Immerhin machte Dave Clark, Amazons Vizepräsident für Worldwide Operations & Customer Service bereits im November 2013 bei der Ankündigung der Zustellung in den USA auch an Sonntagen ohne Aufpreis klar, dass die Liefergeschwindigkeit eines der Hauptwachstumsziele des Konzerns ist:

„The three big pieces of growth for us are selection, lower prices and speed“ (Übersetzung: „Die drei großen Wachstumsbereiche für uns sind Auswahl, niedrigere Preise und Geschwindigkeit.“)

Für dieses Ziel der Kostenersparnis plus Geschwindigkeitszunahme gründete Amazon in Deutschland zuletzt offenbar ebenfalls eigene Zustelldienste. So berichete das Manager-Magazin vor kurzem, dass mehrere Subunternehmen gegründet worden seien, die sich laut Handelsregistereintragungen mit der „Erbringung logistischer Dienstleistungen, insbesondere Transport, Umschlag und Lagerung“ befassen sollen. Im München lautet der Name eines solchen Unternehmens „Amazon City Logistics“.

Nun auch noch mit eigener Luftfrachtlinie?

Bleibt nur noch der Bereich der Luftfracht. Doch wer dachte, dass Amazon dieses Glied der Logistikkette vergessen könnte, dürfte sich spätestens seit dieser Woche eines Besseren belehrt sehen. Denn da meldeten die ersten Analysten, dass Amazon mit „Project Aerosmith“ nun eine eigene Luftfrachtlinie mit Umschlagflughafen in Ohio aufbauen könnte. Darauf weisen eine ganze Reihe von Indizien hin, die Aircargoworld.com hier zusammengetragen hat. Pikanterweise ist es ausgerechnet ein ca. 112.000 m2 großes Areal, das von DHL aufgegeben wurde, das – stimmen die Gerüchte – dann das erste amazoneigene Luftfrachtzentrum wird.

Dabei ist es gerade DHL, aber auch die anderen etablierten Zustellunternehmen, die – ebenso wie die einzeln stehenden Onlinehändler – die Logistikanstrengungen von Amazon mit Sorge verfolgen dürften. Denn die Logistiker düften sich in zukünftig härter ausfallenden Preis-Verhandlungen nicht nur in einer schwächeren Position wiederfinden, sondern könnten mittelfristig auch nicht unerhebliche Auftragseinbrüche von einem ihrer größten Kunden hinnehmen müssen.

Bessere Preise (und höhere Zustellgeschwindigkeiten) werden dabei aber wohl leider nur für den Handelsgiganten Amazon herauskommen.

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

PS: Weil Logistik-Optimierung wirklich wichtig ist, haben wir diesem Thema eine Ausgabe unseres kostenlosen E-Commerce-Magazins shopanbieter to go gewidmet. Sie finden das Magazin im PDF-Format im Gratis-Download hier.

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