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E-Commerce im Mittelstand: Mit dem richtigen Betriebsmodell zum Erfolg

(Gastartikel): Die hiesigen E-Commerce-Experten prognostizieren eine immer stärker werdende Konsolidierung der E-Commerce-Landschaft, an deren Ende eine Art Handels-Oligopol von Mega-Player stehen wird, das keinen Raum für Einsteiger, Optimisten und kapitalarme Mitstreiter lässt. Sind Trends wie Digitale Transformation bzw. Digitale Dynamik also nur den ganz Großen wie Amazon Marketplace & Co. vorbehalten? Eher nicht! Kleinere Player müssen ihren Betriebstyp ändern – also die Art und Weise, wie sie welches Angebot online verkaufen. Denn nicht mehr das Sortiment, die Lage oder der Preis entscheiden bei kleinen Einzelhändlern über den Absatz und somit Erfolg im Netz, sondern die Tatsache, dass sie eben klein und wendig sind, einen persönlichen und lokalen Bezug erzeugen und nutzen und ihre Shop-Marke mit ihrer Person – einem persönlichen Bezugspunkt für den Kunden – aufladen können. Diese Vorteile müssen ausgespielt werden, denn gegen das Entwicklungs- und Marketing-Budget der Großen können kleinere Händler logischerweise auf Dauer nicht bestehen.

Entscheidender Erfolgsfaktor: Das richtige Betriebsmodell

Markus Fost unterscheidet in seinem „E-Commerce-Strategien für produzierende Unternehmen“ zwischen sechs grundlegenden Betriebstypen. Diese Aufstellung zeigt deutlich, dass die meisten dieser Typen ohne einen beträchtlichen Einsatz von Kapital, Marketing-Budget, Zeit und Einkaufsvolumen nicht realisierbar sind. Neben zahlreichen wirtschaftstheoretischen Wahrheiten lässt sich aus Fosts Darstellungen vor allem eine praktische Erkenntnis ableiten:

Quelle: VOTUM GmbH

Die Charakteristika, die Mega-Playern Aufwand, Komplexität und Kosten verursachen, können/müssen die Stärken der Kleinen sein. Nur so kann ein ausreichend großer Kundenstamm generiert werden, der langfristig die Rentabilität des Online-Shops sicherstellt.

Mit einem Blick wird klar: Der „Customizer“ steht dabei – neben dem „Solution Provider“ – ganz oben auf der Liste der für KMUs, kleineren Einzelhändlern oder auch Dienstleistern geeigneten Typen. Denn genau diese Betriebstypen spielen die Stärken kleiner und kundennaher Akteure aus, die keine Maximal-Budgets im Online-Marketing platzieren können. Hier geht es um die Kenntnis des einzelnen Kunden, die Möglichkeit der Individualisierung und ein tiefes Verständnis für die Konsumbedürfnisse potenzieller Kundenkreise mit einem bestimmten Profil.

Der Customizer: Vorsicht beim Individualisierungsgrad!

Mymuesli.com oder NikeID sind wohl die bekanntesten Vertreter der Customizing-Gruppe. Was diese Player im großen Stil anbieten, ist auch für Einsteiger ein taugliches Betriebsmodell nach dem Nischen-Prinzip. Zwar sind die Kosten für die Shop-Entwicklung durch die Implementierung eines Konfigurators höher als bei einem rein absatzorientierten Modell, doch der Einsatz lohnt sich. Produkte, die der Nutzer individuell nach seinem Geschmack gestalten kann, liegen im Trend und mit gezielt platzierten Online-Marketing-Budgets kann die Kundschaft verhältnismäßig effizient auf das Angebot aufmerksam gemacht werden.

Allerdings ist gerade beim Anpassungsgrad der Produkte Vorsicht geboten. Eine Anpassung darf nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass am Ende des Tages nur ein Produkt verkauft werden kann. Die Wirtschaftlichkeit bestimmt den Individualisierungsgrad. Unternehmen mit diesem Betriebsmodell sollten sich daher genau überlegen, welche Anpassungsmöglichkeiten attraktiv für den Kunden, aber auch gleichzeitig wirtschaftlich abbildbar sind. Das kann beispielsweise im Bereich Möbel eine Couch sein, bei der der Kunde online sich für ein Grundmodell entscheidet, er aber die Möglichkeit hat, zwischen 2-3 Holzsorten, 3-5 Polsterungen und 10 verschiedenen Bezugsstoffen wählen kann. Hier machen zum Beispiel Sitzraum einen sehr guten Job. Aber auch in anderen Segmenten wie beispielsweise Schuhe finden sich Erfolgsbeispiele für das Customizer-Betriebsmodell. Scarosso ist eins davon. Hier können die Kunden ihren eigenes Schuhmodell gestalten – weg von der Stange, hin zum individuellen Style. Bei jeden dieser Beispiele geben die Unternehmen ihren Kunden mit einer halb-standarisierten Produktanpassung einen Rahmen an Gestaltungsmöglichkeiten, stellen aber gleichzeitig sicher, dass die Produkte skalierbar bleiben.

Der Solution Provider: Je mehr Expertise umso besser

Dieses Betriebsmodell zeichnet sich vor allem durch seine tiefe Kenntnis der Lebenswelt seiner Kunden aus. So wird z. B. aus einem Anbieter für erlesene Rotweine ein Anbieter für einen rotweintrinkenden Menschen. Welches Essen passt zum Rotwein? Welche Orte kann ich als Kenner bereisen? Wie überstehe ich die nächste Weinprobe ohne rote Lippen und Kater am nächsten Tag? Und: Wie lagere in den Wein am besten? Auf fast alle dieser Fragen können Produkte und Dienstleistungen eine Antwort geben und es gilt, diese zu identifizieren und anzubieten. Im Bereich Food ist zum Beispiel Kochhaus einer dieser Solution-Provider. Tolle Gerichte können einfach nachgekocht werden, Rezept und die passenden Zutaten werden direkt mitgeliefert. Dazu verbindet das Unternehmen geschickt Online- und Offline und bietet neben ihren Lebensmittelläden, die ausschließlich nach Rezepten sortiert sind, auch Kochkurse und viele andere Events an, die perfekt in die Lebenswelt ihrer Kundschaft passen.

Die besondere Herausforderung bei diesem Betriebsmodell entsteht – im Gegensatz zum Customizer Betriebsmodell – nicht im Produkt und der Anpassung, sondern darin, die Informationen so aufzubereiten, als wäre der Kunde im Laden und würde dort beraten werden. Hierfür entsteht besonders am Anfang ein hoher redaktioneller Aufwand, den Unternehmen nicht unterschätzen sollten. Die Texte müssen die tiefe Produktkenntnis eindeutig widerspiegeln. Aber auch fortlaufend müssen immer wieder neue Fragen generiert, neue Informationen und Service angeboten werden. Unternehmen mit diesem Betriebsmodell müssen hier Experten sitzen haben, die genau das leisten und die Lebenswelt der Kunden einschätzen können.

Customizer & Solution Provider – zwei Modelle für KMUs

Diese beiden Betriebsmodelle illustrieren, wie kleinere und mittelständische Unternehmen durchaus erfolgreich E-Commerce betreiben können. Es ist letztendlich fast wie beim Kampf zwischen David und Goliath. Wer seine Stärken und Fähigkeiten kennt, seine Vorteile gegenüber den Riesen im Geschäft nutzt und dann mit dem richtigen Betriebsmodell seiner Kundschaft ein individuelles und personalisiertes Shopping-Erlebnis bietet, der wird zwar Amazon nicht besiegen, aber das ist auch gar nicht das Ziel. Er wird neben den Riesen des Marktes eine Nische besetzen und dauerhaft erfolgreich seinen Online-Shop betreiben können.

Christopher Möhle ist E-Commerce und Brand Strategist bei der E-Commerce Agentur VOTUM. Er kennt die Anforderungen der Branche sowohl von der Agentur- als auch Kundenseite genau. Bevor er 2014 zu VOTUM kam, verantwortete er für den Departmentstore Quartier 206 in Berlin den Bereich Marketing & Strategy.
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