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Wie bewerte ich einen Onlineshop?

(Gastartikel): Oft stellt sich die Frage, was ein Onlineshop eigentlich wert ist. Dies ist überraschend schwierig zu beantworten – egal ob es ein kleiner Nischenanbieter mit wenig Umsätzen oder aber ein Shop wie Zalando mit Milliardenumsätzen ist. Daher hier ein kleiner „Leitfaden“ für meine Sicht der Dinge – hier nehme ich mir aber nicht Zalando als Beispiel, sondern die Vielzahl von kleineren Onlineshops, die im Regelfall nicht ein Heer von Beratern und Bankern haben, um die Bewertungsfrage für sie zu „klären“.

Im ersten Schritte ist es für einen Onlineshop-Betreiber sehr wichtig, sich auf gutes Zahlenmaterial stützen zu können, um eine Bewertung des Geschäfts zu begründen. Was bedeutet das genau für die Erstellung einer Bewertung?

Jeder Shop muss aus steuerlichen Gründen monatliche Umsätze und Gewinn- bzw. Verlustrechnungen erstellen. Dies sollte im Normalfall durch einen kompetenten Steuerberater erledigt werden. Die Auswertung kann dann als Fundament für die Bewertung dienen. Erst einmal sollte ein „mini“ Business Plan in Excel erstellt werden. Dies ist relativ einfach, wenn man zuerst die historischen Werte aufnimmt und diese dann in die Zukunft fortführt. Oft hört man von kleinen Shopbetreibern, dass sie gar keinen Business Plan haben – den braucht man auch nicht, aber die hier beschriebene Zahlenauswertung sollte im Normallfall nicht länger als ein paar Stunden dauern und liefert bereits viele Einsichten für die zwei wichtigsten Bewertungsgrundlagen – Umsatz und Gewinne.

Umsatz

Der Umsatz eines Onlineshops zeigt, wie „groß“ das Geschäft ist und lässt Rückschlüsse auf die Marktanteile zu. Hier ist es wichtig, den Umsatz ohne Mehrwertsteuer und vor und nach Retouren genau zu kennen. Die Retourenrate ist vor allem in Deutschland eine sehr wichtige Kennzahl, da Konsumenten oft ihre Ware zurück schicken und somit die „brutto“ Umsätze eines Shops d.h. vor Retouren, nicht die wirkliche Ertragslage eines Onlineshops wiederspiegeln.

Gewinne

Warum betreibt man einen Shop oder ist Händler im Allgemeinen? Natürlich um Gewinne zu verbuchen. Hier hat man also seine Nettoumsätze abzüglich seiner gesamten Kosten vor Zinszahlungen, Steuern und Abschreibungen. Das wird in der Finanzbranche oft als EBITDA bezeichnet und steht für „Earnings before Interest, Tax, Depreciation und Amortization“. Diese Zahl ist oft noch viel wichtiger als Umsätze, da hier deutlich gemacht wird, welche operativen Gewinne anfallen und oft kann diese Zahl auch mit dem Liquiditätsfluss eines Geschäftsmodells gleich gesetzt werden. Bei der Berechnung des EBITDA können oft viele Stellschrauben gedreht werden und es ist hier besonders wichtig, sich ein realistisches Ergebnis zu überlegen. Ist man z.B. alleiniger Betreiber eines Onlineshops und zahlt sich anstelle eines Gehalts eine Dividende, dann ist diese hier nicht erfasst. Ein anständiger Unternehmerlohn gehört aber in jede Berechnung und daher sollte man seinen Gewinn adjustieren, um die wirkliche wirtschaftliche Realität zu zeigen.

Weiteres Zahlenmaterial

Neben Umsatz und Gewinn gibt es eine Vielzahl von weiteren interessanten Zahlen, die aber nur dann eine Rolle spielen, wenn die Grundaussagen Umsatz und Gewinn klar erklärt sind. Normalerweise unterscheidet man zwischen operativen Kennzahlen wie z.B. Conversion Rate, Newsletter Abonnementen, Besucherzahlen, Warenkorbgröße etc. und Finanzkennzahlen wie Rohmarge, Marketing- oder Personalkosten.

Während man die operativen Kennzahlen gerne zur Erklärung des Geschäftsmodells heranziehen kann, sind die Finanzkennzahlen wichtig, um genau zu verstehen, wofür das durch den Umsatz erwirtschaftete Geld wieder ausgegeben wird.

Erfolgsformel für den E-Commerce

Wenn die historischen Zahlen aufgestellt sind, müssen diese in die Zukunft weiter geplant werden, da ein potentieller Käufer sich zwar an den historischen Zahlen orientiert, aber eigentlich den Gewinn der „Zukunft“ kaufen möchte. Hier ist es wichtig die gewünschte Geschäftsentwicklung widerzuspiegeln. Oft stehen dann hier zum Beispiel Punkte rund um die Kundenakquisition an. Technologische Entwicklung bzw. Forschungsarbeit und operative Kosten sind meistens im Verhältnis zur Kundenakquise sehr überschaubar. Ebenfalls wird hier auch die Kosten-Umsatzrelation durch Skalierung schnell positiv.

Hier ergibt sich eine einfache Formel aus Kosten der Kundengewinnung im Verhältnis zum erzielten Warenkorb und der Wiederkaufrate. Oft können viele spannende Entwicklungen innerhalb dieser Formel erklärt werden. Hier ist die Verknüpfung aus operativen Kennzahlen und Finanzahlen sehr einfach. Es ist auch wichtig, hier nicht sinkende Marketingausgaben über Zeit (richtig wären in den meisten Fällen 20-30% Verteuerung) oder eine unrealistisch hohe Conversion Rate Optimierungen über einen Zeitraum X anzunehmen. Ebenfalls sollten die Wiederkaufraten von Bestandskunden durch historische Zahlen belegbar sein.

Wie wird aus Zahlen eine Bewertung?

Hat man nun diese Zahlen zusammengetragen, dann kann eine Bewertung erstellt werden. Hier kann man entweder auf bereits erfolgte Transaktionen oder Bewertungen für vergleichbare Onlineshops Bezug nehmen.  Da grade im Bereich von kleineren Onlineshop vergleichbare Transaktionen oft schwierig zu finden sind, wird hier meistens mit einem sogenannten Multiple gearbeitet.  Wiederum sind hier Umsatz und EBITDA die wichtigsten Zahlen, da man einen Multiplikator für den Umsatz oder aber die Gewinne erstellen kann. Für die meisten Onlineshops mit guten Wachstumschancen liegt man bei einem Umsatzmultiplikator zwischen 1x-3x oder aber einem EBITDA Multiplikator zwischen 8x-12x – hier ist es aber extrem schwierig eine pauschale Aussage zu treffen, da viele individuelle Merkmale eines Shops in die Bewertung einfließen. Bei einem Shop mit EUR 1 Million Umsatz nach Retouren und einem EBITDA von EUR 100k liegt man also bei der Umsatzbewertung zwischen EUR 1-2 Millionen und einer EBITDA Bewertung von EUR 800k-1.2 Millionen.

Erfolgsgeschichte

Eine Bewertung ist aber nicht immer eine Summe, die aus Zahlen hergeleitet wird. Oft spielt es eine viel größere Rolle, welche „Träume“ ein potentieller Käufer sich vorstellen kann. Hier kann man oft hervorheben, welchen Bereich im Dreiklang aus Preis, Angebot und Verfügbarkeit eines erfolgreichen Onlineshops man besonders gut macht. Wenn man z.B. einen Shop für Handballware hat, dann wäre im letzten Jahr ein guter Verkaufszeitpunkt gewesen. Egal welche Umsätze man bisher erzielt hat – sicherlich hätte man klar belegen können, dass im Jahr der Weltmeisterschaft 2015 in Katar höhere Umsätze zu erzielen sind als in jedem anderen Jahr. Schon hätte man eine spannende Geschichte gehabt, die es ermöglicht den Kaufpreis nach oben zu verhandeln.

Neben der rein quantitativen Sicht auf Zahlen spielen also Erfolgsgeschichten und Träume bestimmter Käufer eine wichtige Rolle. Ebenfalls ist es auch immer gut, Träume als „Synergien“ zu bezeichnen – hat man z.B. einen Nischenshop im Gartenteichbereich, dann wäre eine Baumarktkette ein idealer Käufer. Die Ware kann durch die Baumarktkette sicherlich billiger eingekauft werden und Lagerhaltung ist bereits vorhanden. Demzufolge wären also die bisherigen Zahlen gar nicht mehr so wichtig, da der Käufer einen wesentlich besseren Ertrag durch Synergien erzielen kann.

Für die Bewertung gibt es also keine feste Faustformel, sondern jeder Verkäufer sollte sich eine möglichst runde Geschichte für eine gewünschte Bewertung überlegen und diese mit sinnhaftem Zahlenmaterial untermauern.

Nils Seebach ist Gründer des Beratungsunternehmens eTribes sowie Gründer und Geschäftsführer von Spryker Systems, einem Technologieanbieter und Joint Venture, das er zusammen mit Project A Ventures im November 2014 gegründet hat. Er ist außerdem Herausgeber des Blogs Digitalkaufmann, das sich mit der Bewertung digitaler Geschäftsmodelle und der betriebswirtschaftlichen Analyse von digitalen Themen befasst.
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