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Wenn der Merinofaden zum Haar in der Suppe wird: Textilkennzeichnungsverordnung

Eigentlich ist es ein alter Hut: Textile Materialien müssen schon seit ewigen Zeiten nach strengen rechtlichen Vorgaben in ihrer Zusammensetzung gekennzeichnet werden. Neu ist, dass für die Vorgaben jetzt eine Verordnung der EU zuständig ist, während bislang dafür das deutsche Textilkennzeichnungsgesetz maßgebend war.

Generell hat sich mit dem Wechsel vom Gesetz zur Verordnung nicht wirklich viel getan, einiges ist strenger gefasst worden, einiges klarer. Zudem gibt es eine komfortable Übergangsfrist. So weit, so wenig interessant – könnte man meinen. Gäbe es da nicht

  1. eine völlig verschnarchte Hersteller-Branche und
  2. eine „Lücke“ bei den erlaubten bezeichnungen, die für bestimmte Produkte die altgediente, weltumspanndende und sinnvolle, marktübliche Unterscheidung verschiedener Qualitäten verunmöglicht.

„Merino“ gibt es nicht

Die Rede ist von der Merino-Wolle: Die gibt es nach dem Wortlaut der EU-Verordnung nicht (mehr). Denn das Merinoschaf ist ein Schaf und egal, wie stark die Wollqualität sich von der „normaler“ Schurwolle unterscheidet: Für die EU ist Schaf nunmal Schaf und weil dem so ist, sieht sie in der neuen Textilkennzeichnungsverordnung auch nur eine Sorte von Schafwolle vor.

Dies stellt nun Wollverkäufer vor ein Dilemma: Kunden haben gelernt, Wollqualitäten nach „Merino“ (die weiche) und „Schurwolle“ (die kratizige) zu unterscheiden. Und so kennzeichnen schließlich auch die Hersteller die Wolle seit Urzeiten.

„Seit Urzeiten“? Wie geht das denn? Denn schon das alte Textilkennzeichnungsgesetz sah doch den Begriff „Merino“ gar nicht vor?

Verstoß seitens der Hersteller bereits seit Jahren

Tatsächlich haben offenbar die Woll-Hersteller flächendeckend – von kleinen Manufakturen bis zu großen Konzernen – das Vorhandensein bereits des Textilkennzeichnungsgesetzes verschlafen. Von der EU-Verordnung ganz zu schweigen: Wohin man guckt in der Wollwelt: Banderolen tragen unzulässige Kennzeichnungen: Unzulässig nicht nur nach neuer VO, sondern auch nach altem Gesetz!

Und weil Wollhändler/innen sich auf die Angaben der Hersteller verlassen, finden sich solche unzulässigen Angaben auch in (vielen) Wollshops…

Abmahnungen treffen kleine Wollhändlerinnen

Das hätte so vermutlich ewig weitergehen können mit den rechtlich falschen, für Kunden aber sinnvollen Auszeichnungen a la „100 % Merino“, wenn nicht die Wettbewerbszentrale Stuttgart von einem zwitschernden Vögelchen auf die Falsch-Deklarationen aufmerksam gemacht worden wäre. Promt hagelte es Abmahnungen, die allesamt kleine bis kleinste Woll-Onlineshops trafen, deren Händlerinnen aus allen Wolken fielen. Sie stecken in der Klemme: Trotz noch laufender Übergangsfrist für die EU-Verordnung sind die Abmahnungen begründet, denn die Auszeichnungen entsprechen ja nicht einmal dem alten Textilkennzeichnungsgesetz.

Hersteller reagieren uninteressiert oder uninformiert

Jeder Onlinehändler weiß, wie schwierig es oft fällt, sich in trockenen Gesetzesvorgaben zu orientieren. So ging es auch den aufgeschreckten Wollhändlern/innen, die nun versuchen, einen gangbaren Weg zu finden zwischen juristisch unanfechtbarer, korrekter Kennzeichnung und korrekter Kundeninformation: Denn Kunden wollen ja wissen, ob sie kratizige oder weiche Wolle kaufen.

Dabei sollte es ja eigentlich Aufgabe der Hersteller und Importeure sein, für die korrekte Auszeichnung zu sorgen. Doch Fehlanzeige: Von bockig bis ahnungslos sind da die Reaktionen. Durch die verschreckten Wollhändler aufgeweckt, versenden einige eine Information an die Händler mit Empfehlungen, wie diese die fehlerhaft ausgezeichnete Ware doch bitte umetikettieren möchten.Ein schon recht dreistes Vorgehen, schließlich wären die Hersteller selbst in der Pflicht, für die marktfähigkeit ihrer Ware zu sorgen.

Zweifelhafte Empfehlungen

Vielfach wird dabei dann eine Formulierung mit Klammerzusatz empfohlen, beispielsweise „100% Wolle (Merino)“. Experten sehen genau solche eigenmächtigen Klammerzusätze zu den durch die Verordnung definierten Angaben jedoch sehr kritisch. Rechtsanwalt Max Keller von der IT Recht Kanzlei: „Bei der Textilkennzeichnung sollte man ohne Eitelkeiten wirklich nur das schreiben, was in Anlage I der entsprechenden Verordnung gelistet ist. Von Klammerzusätzen ist hier abzuraten.“

Unglaublicher Arbeitsberg

Zähneknirschend haben viele Händler/Innen nun begonnen, ihre Shops, Ladengeschäfte und Marktstände zu überarbeiten. Dabei stehen sie vor einem schier unendlichen Arbeitsberg: Nicht nur die Auszeichnung im Shop, auch viele Fotos, die die Banderolen lesbar zeigen, müssen angepasst werden. Zudem müssen alle Banderolen an den Wollknäulen ergänzt bzw. überklebt werden. Bei Lagerbeständen, die bei Standardwaren oft für ein Jahr und mehr reichen, eine wahre Herkulesarbeit.

Merinowolle darf Merinowolle bleiben – nur nicht in der Kennzeichnung

Dabei ist wie erwähnt von Eigenschöpfungen mit Klammerzusätzen oder Ähnlichem abzuraten. Die Anlage I der Textilkennzeichnungsverordnung listet sehr exakt auf, welche Materialien wie benannt werden müssen – dabei geht es teilweise sogar um fein unterteilte prozentuale Anteile sowie die Ausrüstung der Textilien. An diese Vorgaben sollte man sich in der Kennzeichnung absolut akkurat halten. Zudem sollte die Textilkennzeichnung im Onlineshop in der Nähe des Warenkorb-Symbols angebracht sein – nicht etwa weit unterhalb oder sogar nur per Klick erreichbar.

Das bedeutet aber natürlich nicht, dass – wie manche Händlerinnen befürchten – Merino-Wolle nicht mehr als Merino-Wolle bezeichnet werden darf: Die Verordnung regelt ausschließlich die Angaben in der vorgeschriebenen Textil-Kennzeichnung. In der Betitelung und im beshreibenden Produkttext kann sehr wohl erklärt werden, dass die Wolle (wenn es so ist) vom Merinoschaf stammt. Auch andere inkriminierte Begriffe, wie „Baby-Alpaka“ etc. kann man in seinen Beschreibungstexten unterbringen, etwas mit Formulierungen wie „umgangssprachlich als ‚Baby-Alpaka‘ bezeichnet“ oder ähnlichem. Denn in seinen Produkttexten ist der Händler ja frei (solange er keine Irreführung betreibt). Die IT Recht-Kanzei hat einen ausführlichen Leitfaden zur neuen Verordnung erstellt.

Über das Ziel hinaus

Einige – angesichts der Situation am Wollmarkt zurecht – erregte Händlerinnen versuchen nun, die EU-Verordnung „zu kippen“. Abgesehen von den wohl eher zweifelhaften Erfolgsaussichten kein sinnvoller Vorstoß: Denn die EU-Verordnung bietet bereits eine größere Auswahl an Bezeichnungen sowie mit Nr. 48 eine Art „Hilfsformulierung“ für die Fälle an, die von der Materialliste nicht abgedeckt sind. Damit fahren Händler von Textilen Produkten mit der VO immer noch deutlich besser als mit dem alten Gesetz. Und ganz sicher auch besser als ganz ohne Rechtssicherheit, wenn jeder sich eigene Begriffe ausdenken – und die der anderen als irreführend abmahnen darf. Abgesehen davon, dass für Allergiker und andere es durchaus hilfreich sein dürfte, wenn Schaf auch als „Schaf“ bezeichnet wird (es mag ja auch keiner die Deklarationen auf Joghurts & Co. abschaffen, hoffe ich? 😉

Eigentlich sollten sich erboste Schreiben von Händlern gegen die Hersteller und Importeure richten, die falsch etikettierte Ware ausgeliefert haben. RA Keller: „Im Grunde ist das ja ein Mangel an der Ware,  so dass sich schon die Frage stellt, ob man nicht die Hersteller hier in die Pflicht nehmen kann.“

Aus einer aus der aktuellen Situation heraus gegründeten Facebook-Gruppe für Wollhändler/innen geht ein erster Händler diesen Weg und hat seine Lieferanten angeschrieben: „hiermit informiere ich Sie darüber, dass in meinem Geschäft ab sofort nur noch Lieferungen angenommen werden, die nach der neuen EU-Textilkennzeichnungsverordnung ausgezeichnet sind….“ Das Gros traut sich diesen Schritt allerdings leider nicht zu, sie fühlen sich stark genug, gegen die EU anzugehen, jedoch leider zu schwach, die Hersteller und Importeure an den Kosten für das Umlabeln zu beteiligen.

Ende gut? Achtung: Unterlassungserklärung!

Langfristig sind aber auf jeden Fall die Hersteller in der Pflicht: Sie müssen – nun aufgewacht – ihr Portfolio der EU offen legen und gemeinsam sinnvolle Begrifflichkeiten finden, die dann in die Anlage I der EU-Verordnung aufgenommen werden. Denn das ist genau so auch von der EU vorgesehen: Dass der Katalog auf Antrag von Herstellern oder von ihnen beauftragten Personen ergänzt werden kann.

Tatsächlich gehen erste Hersteller gerüchteweise genau dies jetzt an. Weswegen hier noch der bekannte Hinweis für alle Abgemahnten genannt werden soll: NIEMALS eine Unterlassungserklärung ohne anwaltliche Beratung unterschreiben. Wenn Shops an Abmahnungen kaputt gehen, liegt dies erfahrungsgemäß nicht an den Kostennoten: Die tun weh, sind aber i.d.R. zu verkraften. Die große Gefahr liegt in der Unterlassungserklärung, die ja meist mit einer empfindlichen Strafe bewehrt ist.

Wer sich hier beispielsweise verpflichtet, nie mehr „Merino“ in der Textilkennzeichnung zu schreiben hat ein massives Problem, wenn genau dieser Begriff in die EU-Verordnung aufgenommen wird. Darum: Vor dem Unterzeichnen immer anwaltlich beraten lassen – und Klauseln zum automatischen nichtig werden bei Änderung der gesetzlichen Regelungen vorsehen.

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

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