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45% falsche Schufa-Einträge, unzuverlässiges Scoring

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Allein auf der Basis von Bonitätsuntersuchungen funktioniert heute (fast) kein Risikomanagement mehr. Meist wird die Zahlungssicherheit auf der Basis einer ganzen Reihe von Erfahrungswerten vorausprognostiziert – mittels Scorings. Erfahrene Händler nutzen dazu im ersten Schritt die eigenen Bestelldaten, indem sie sich daraus eigene Scoring-Cards erstellen. (Wie das geht, beschreibt unser kostenloses Whitepaper "ScoreCards – Kostenlose Bonitätsprüfungen mit eigenen Daten" sehr anschaulich).

Im zweiten Schritt kommt dann meist ein Scoring- und Bonitierungs-Dienstleister hinzu. Eine Studie im Auftrag der des Bundesministeriums für Verbraucherschutz (PDF, 1 MB) stellte nun erheblich Mängel in den Verfahren fest.

Scoring basiert auf der Kopplung von Bonitätserfahrungen mit
soziodemografischen, geographischen und anderen Daten. Konkret funktioniert das rein statistisch, ein Beispiel: Wenn in einem bestimmten Wohnviertel besonders viele Spätzahler und "Inkassofälle" auftreten,
dann wird allen Adressen aus diesem Viertel eine schlechtere Prognose
zugeordnet, ein schlechterer Scoringwert also. Bestellungen mit solchen
Lieferadressen erhalten dann ein höheres Risiko – entsprechend können
im Shop andere Zahlartenangeboten werden.

Wie bei jeder Statistik, kann das nur funktionieren, wenn

Die Aussagekraft von Scoring-Bewertungen hängt daher massiv von der Güte der zugrundeliegenden Daten zum erfahrenen Zahlverhalten ab. Diese Daten stammen meist von den großen Auskunfteien, z.B. Schufa oder Bürgel. Und genau hier hat die vorliegende Untersuchung laut Heise massive Probleme festgestellt:

Im Einzelnen ergab die Analyse, für die sich hundert von den Forschern ausgewählte Personen Eigenauskünfte bei der Schufa, der Creditreform Consumer GmbH, Arvato Infoscore und bei Bürgel besorgten, dass etwa schon aufgrund fehlender Beziehungen zu Banken den Auskunfteien bestimmte bonitätsrelevante Verbraucherdaten nicht zur Verfügung standen. Daraus habe sich in der Stichprobe allein bei der Schufa bereits eine Fehlerquote von 35 Prozent ergeben. In der Verantwortung des Anbieters selbst liege eine zusätzliche Fehleranfälligkeit von 26 Prozent durch falsche und veraltete Datensammlungen.

Immerhin: 2002 ermittelte eine frühere Untersuchung der Zeitschrift FINANZtest noch eine Fehlerquote von 65% und mittlerweile werden fehlerhafte Einträge bei der Schufa oft (aber nicht immer) auch recht schnell korrigiert. Dennoch ist das Ergebnis aus Zuverlässigkeitssicht eine Katastrophe. Denn, so Heise:

Tolerierbar wäre höchstens ein "Grundrauschen" an Fehlern in der Höhe von zwei bis fünf Prozent.

Noch fragwürdiger war das Ergebnis der Abfrage bei Bürgel, Creditreform und Infoscore: Bei Bürgel "sind außer Geburtsdatum und Adresse die meisten Daten nicht bekannt und nicht gespeichert". Creditreform lagen zu über 50% der Personen angeblich gar keine Daten vor – mit Ausnahme der Daten, die die Anfragenden bei der Anfrage selbst angaben (Alter, Adresse…). Arvato Infoscore meldete sogar in 95% der Anfragen nur genau diese selbst angegebenen Daten zurück – und produzierte dabei auch noch in 2% der Fälle eigene Fehler beim Geburtsdatum.

Ist schon die Datenbasis schlecht, so lässt sich die Güte der Berechnungsmethoden gleich gar nicht beurteilen: Sie werden nämlich von den Unternehmen nicht herausgegeben. Dies bemängelte Studienleiter Dieter Korczak bereits in einer Bewertung des Scorings in 2007 ("Scoring im Praxistest", PDF, 752,3 kb):

Die Anbieter von Scoring werden nicht müde zu betonen, dass Scoring auf einem mathematisch-statistischen Verfahren beruht, ohne aber, wie es bei jeder sozial- und naturwissenschaftlichen Untersuchung üblicher wissenschaftlicher Standard ist, die Methode und das Vorgehen genau zu beschreiben. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit die eingesetzten Verfahren und Methoden einer Qualitätskontrolle unterzogen werden (können) und nach welchen Erfolgskriterien die Prognosefähigkeit der Scores bemessen wird.

In dieser älteren Untersuchung zeigte sich, dass zwischen den von den Instituten (hier waren es Banken) zugeordneten (Schufa-) Scoringwerten auch praktisch kein Zusammenhang zur persönlichen Situation (Beruf, aufgenommene Kredite etc.) zu erkennen war (eine Ausnahme war eine Prerson mit Eidesstattlicher Erklärung, die auch tatsächlich einen sehr niedigen Score hatte). So hatten damals eine Zahnarzthelferin, eine Hausfrau, ein Speditionskaufmann etc. deutlich höhere (=bessere) Scorewerte als der Vorstandsvorsitzende der Schufa selbst. Auch in der aktuellen Untersuchung decken sich die übermittelten Scoringwerte nur sehr bedingt mit der Lebenswirklichkeit der entsprechenden Personen. Dies scheint auch an Fehlern in den prizipiellen Berechnungen zu liegen: Beispielsweise führen ordnungsgemäß bediente, laufende Kredite zu einer Verschlechterung des Wertes; ebenso – entgegen anderslautende Aussage der Schufa – eventuell Kredit-Konditionsanfragen und auch Bonitätsanfragen des Handels wegen Bestellungen auf Rechnung.

Sollte letzterer Faktor tatsächlich zutreffen, bedeutete dies, dass Händler die eigenen Kunden allein durch die routinemäßigen (und ggf. von den Versicherungen vorgeschriebenen) Anfragen über die Zeit "herabstufen". Damit würden Händler für Anfragen bezahlen, die sie zum Schutz vor Risiken machen (müssen), die laufend ansteigen u.a. genau wegen dieser Anfragen. Na prima! Zumal Händler ja kaum mitbekommen können, ob den qua Scoringwert auf unbeliebtere Zahlmethoden umgeleiteten oder sogar abgewiesenen Kunden evtl. unrecht getan wurde

Wie sind Ihre Erfahrungen mit übermittelten Scoringwerten: ‚passen‘ die in der Regel und sind hilfreich? Oder haben Sie manchmal das Gefühl, dass die öfter gehörig daneben liegen‘?

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

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