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Welche Chance haben kleine Onlineshops?

Angesichts der großen E-Commerce-Schwergewichte haben es kleine Shop-Betreiber sicherlich nicht immer leicht. Haben sie überhaupt eine realistische Chance? Für die aktuelle Ausgabe des renommierten SEO-/SEA-Magazins Suchradar durfte ich zu dieser existentiellen Frage Rede und Antwort stehen. Hier das komplette Interview im Abdruck. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den interviewenden Markus Hövener für die guten Fragen.

Für kleine Shops gibt es im Englischen eine nette Bezeichnung: Mom and Pop Store. Im Deutschen gibt es keine gute Entsprechung – sondern eher unschöne Wörter wie „Klitsche“. Ist das Image kleiner Shops in Deutschland eher schlecht?

Das mag bei den Konsumenten anders sein, aber in der Branche herrschen tatsächlich oft Begrifflichkeiten wie „Couch-Händler“, „Krauterer“ oder eben „Klitsche“ vor. Zumindest in der E-Commerce-Branche ist der Ruf kleiner Shops tatsächlich oftmals eher schlecht.

Manchmal ist dieses Vorurteil gerechtfertigt, bspw. wenn dem Händler jegliche Kundenzentrierung oder Kompetenz beim eigenen Sortiment fehlt. Meist jedoch handelt es sich bei den kleineren Händlern um echte Allrounder und Arbeitstiere. Sie arbeiten überdurchschnittlich viel und beherrschen die verschiedensten Disziplinen im E-Commerce.

Wo große Online-Händler einen großen Stab mit den verschiedensten Kompetenzen, wie Shop-Software, Marketing, Kundenservice oder Logistik, haben, bewältigen kleine Händler dieses Pensum alleine oder mit einem kleinen Mitarbeiterstab.

Womit können kleine Shops denn punkten?

Mit Flexibilität, Unternehmertum und Liebe zum Produkt. Diese drei Eigenschaften sorgen dafür, dass kleine Händler die Nischen finden, welche von den großen Onlineshops und Marktplätzen nicht abgedeckt werden. Nischen gibt es bei Produkten genauso wie auch bei Zielgruppen.

Daher halte ich auch nicht viel von Pauschalaussagen wie „Amazon nimmt anderen Händlern die Luft zum Atmen“ oder „Gegen die Großen habe ich keine Chance“. Das stimmt einfach nicht. Schließlich gibt es neben den großen Anbietern genügend Lücken, die es zu füllen gilt, und mitunter auch wundervolle Symbiosen. Schließlich überleben im Dschungel auch nicht nur die großen Bäume. Stattdessen findet drum herum ein regelrechter Wildwuchs und wunderschönes Wachstum statt.

Nehmen wir doch einfach mal Amazon als Beispiel. Es ist bekannt, dass Amazon von Deutschlands E-Commerce-Umsätzen einen immer größeren Anteil bekommt. Dabei wächst aber nicht Amazons Eigenhandel, sondern dessen Marketplace-Geschäft überproportional. Und wenn wir von Amazon Marketplace sprechen, sprechen wir von anderen Händlern. So wird Amazon immer mehr zum E-Commerce-Ökosystem für andere Händler, als dass er selbst als Händler auftritt. Auch die Internationalisierung ist nirgendwo leichter als über Amazon. All das sind Vorteile, die von kleineren Händlern genutzt werden können, um im Schatten Amazons zu wachsen.

Amazon bietet einfach sehr viele Chancen, die man gerade als kleiner Händler nutzen kann. Dafür gibt es auch genügend belegbare Beweise, siehe auch die vielen Erfolgsstorys des Unternehmer/-innen-der-Zukunft-Programms.

Natürlich gibt es auch Nachteile beim Verkauf über Amazon. Aber das ist und war schon immer so. Die Frage ist dennoch grundsätzlich nicht, ob man über Amazon verkaufen möchte, sondern wie und was. Und selbstverständlich sollte kein Händler den Fehler begehen und nur auf ein Pferd setzen. Auch der eigene Onlineshop oder andere Marktplätze wie eBay können sehr gut funktionieren.

Hat man als kleiner Online-Retailer deiner Meinung nach reale Chancen gegen die Großen der Branche? Oder sind die Großen einfach nicht zu schlagen?

In der Nische hat man definitiv reale Chancen, kann sich darin sogar leichter als die Großen zurechtfinden. Gerade in Zeiten der sog. Plattform-Ökonomie gilt weniger Größe denn echtes Unternehmertum. Nie war es, wie bereits erwähnt, bspw. leichter zu internationalisieren. Ein Auslandsanteil von bis zu 20 %, nur über Marktplätze, ist meist leicht und mit verhältnismäßig wenig Aufwand zu realisieren. Die Arbeit beginnt erst, wenn man mehr möchte.

Auch Eigenmarken können heute relativ einfach beschafft und über Marktplätze vermarktet werden. Aber reine Kistenschieber werden meist tatsächlich nicht mehr lange überleben. Wer sich jedoch mit seinen Produkten, seiner Zielgruppe und dem Markt auseinandersetzt und bereit ist, sich in die jeweiligen Themen, wie Eigenmarken oder Internationalisierung, einzuarbeiten, sowie die Handhabung der notwendigen Werkzeuge erlernt, hat beste Chancen.

Was sind die häufigsten Fehler, die kleine Shop-Betreiber machen?

Am häufigsten wird sicherlich die Komplexität unterschätzt, die ein Onlineshop mit sich bringt. Online-Händler müssen Meister der verschiedensten Disziplinen sein. Nur so können sie die richtigen Entscheidungen treffen und machen ihr Onlinegeschäft nicht zum teuren Groschengrab.

Persönlich finde ich jedoch sehr fahrlässig, dass sich Online-Händler kaum mit ihren Zahlen beschäftigen. Ich kenne so viele Online-Händler, die tolle Einkäufer sind, sich sehr gut mit ihren Produkten auskennen und auch ihre Zielgruppe sehr gut kennen, die wissen, wie und wo sie diese ansprechen müssen. Nur gute Kaufleute sind sie leider nicht. Daher haben sie keinerlei Überblick über ihre Kosten, wissen nicht, wo sie Geld verlieren und warum sie trotz all der harten Arbeit am Ende doch nichts verdienen. Umso tragischer, da auch das keine Raketenwissenschaft ist bzw. man sich ja auch hier externe Unterstützung holen kann.

Du hast im Rahmen des Amazon Förderprogramms „Unternehmerinnen der Zukunft“ E-Commerce-Projekte beraten. Zwei deiner Schützlinge haben sogar einen ersten Platz gemacht: Farmtex.de in der Kategorie „Von Offline zu Online“ und Desiary.de in der Kategorie „Export“. Was wurde bei diesen beiden Projekten richtig gemacht? Welche Erfolge konnten erzielt werden?

farmtex hatte vor Programmstart lediglich eine CI-Webseite mit Produktvorstellung und Angebotsanfrage. Im Laufe von UdZ startete farmtex auf Amazon (B2B, B2C) und eBay. Derzeit werden zwei professionelle Onlineshops erstellt: 1. B2B-Handelsware und 2. B2C-Gartenprodukte, für die komplett neue, während des Programms konzipierte Eigenmarke. Neben der sehr positiven Entwicklung der Online-Umsätze liegt der noch größere Erfolg aber woanders. Denn das Amazon Förderprogramm war Anlass, ihre komplette Unternehmensstruktur und IT auf die Digitalisierungsstrategie umzukrempeln. Es ist ihr gelungen, ihre Mitarbeiter dafür zu begeistern und zwei neue Mitarbeiter für das Onlinegeschäft einzustellen. Das Programm wurde genutzt, um das Unternehmen erfolgreich für die Zukunft zu rüsten. Das hätte sie sich alleine nicht getraut.

Während des Förderprogramms lag bei desiary.de der Fokus auf dem erfolgreichen Aufbau einer Eigenmarke und der Internationalisierung. Durch ihr ganz besonderes Engagement konnte Julia (Gründerin und Geschäftsführerin von desiary.de) seit Programm-Start die Umsätze und Erträge im Shop und bei Amazon erheblich steigern, stark getrieben durch die Internationalisierung. So verkaufte sie während der Programmdauer ihre Artikel in knapp 20 Länder, u. a. auch in die USA, nach Israel und Japan. Der Auslandsumsatz im Shop hat sich seitdem verdoppelt, dessen Anteil am Gesamtumsatz ist dadurch um 30 % gestiegen. Generell ist der Shop-Umsatz weit überdurchschnittlich gewachsen, bei Amazon hat er sich sogar vervielfacht. Die Eigenmarke wurde in Position gebracht, ein erster Messeauftritt als Aussteller verlief sehr erfolgreich. Mittlerweile werden die ersten Eigenmarken-Produkte auch im Shop und bei Amazon verkauft.

Wenn ein kleiner Shop-Betreiber das hier liest: Was würdest du ihm raten?

Sei mutig und probiere vieles aus. Mache aber nichts ohne vorherigen Plan bzw. Konzept und nichts, ohne sich vorher ausreichend mit dem jeweiligen Thema auseinandergesetzt zu haben. Aber am wichtigsten: Marktanalyse und Kalkulation durchführen. Danach gilt: Messen, messen, messen und was nicht funktioniert, wieder abschalten oder optimieren, bis es funktioniert. Und vor allem: nicht zu viele Baustellen aufreißen. Sondern lieber eines nach dem anderen.

Also nochmals, ganz konkret muss die erste Frage sein, mit welchen Produkten, bei welchem Thema man sich wohl fühlt. Anschließend wird viel Zeit in die Marktrecherche gesteckt. Welche Produkte laufen im Online-Handel gut, was sind die richtigen Lieferanten und wie ist die Margensituation? Manchmal lohnt auch ein Blick ins Ausland, bspw. indem man schaut, welche Produkte gerade in den USA oder in Asien gut laufen. Natürlich nur, wenn man davon ausgehen kann, dass dieser Trend auch zu uns rüberschwappen könnte.

Wenn man dann „seine“ Produkte für den Start gefunden hat, würde ich immer zuerst über verschiedene Marktplätze verkaufen. Das ist doch definitiv einfacher, alleine schon da man sich erstmal wenig um Marketing und quasi gar nicht um Payment etc. kümmern muss. Und man hat eine klar kalkulierbare Kostenstruktur ohne hohe Anfangsinvestitionen. Es ist also ein geringes Lehrgeld, das man sicherlich auch dort bezahlt.

Erst wenn man die ein bis zwei Marktplätze im Griff hat und die Prozesse beherrscht, geht man auf die nächsten Marktplätze zu oder startet mit einem eigenen Onlineshop. Möglicherweise kommt vor dem eigenen Onlineshop auch erst die Internationalisierung über Marktplätze.

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