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Marken und der Algorithmus: Was sind Marken im Amazon-Zeitalter noch wert?

Ein Haufen Fragezeichen

Etablierte Marken tun sich schwer mit Amazon. Das zeigt nicht nur der „Fall Birkenstock“: Das Unternehmen hat sich im Januar mit deutlichen Worten von dem Marktplatz zurückgezogen, weil Amazon eine Umgebung sei, „in der wir inakzeptable Geschäftspraktiken erleben, die unserer Meinung nach unsere Marke beschädigen“ – und trotzdem ist das Unternehmen heute ungewollt mit mehreren tausend seiner Produkte auf Amazon vertreten. Für den Kunden ist es faktisch so, als hätte Birkenstock Amazon gar nicht verlassen. Die Sandalen gibt es dort ja trotzdem noch.

Und Birkenstock ist beileibe kein Einzelschicksal. Viele Marken, die eigentlich nicht auf Amazon vertreten sein wollen, findet man dort doch irgendwie – in den Angeboten von Dritthändlern oder auch direkt von Amazon selbst verkauft, in der Form von Restbeständen oder Weiterverkäufen aus anderen Kanälen. Joe Kaziukenas, Gründer des US-E-Commerceportals „Marketplace Pulse“, hat deshalb zurecht schon Ende letzten Jahres gefragt, was „Marke sein“ im Amazon-Zeitalter eigentlich noch wert ist. „Die Grundlage, auf der Marken bisher ihren Wert bemessen haben, lässt sich nicht leicht auf den Online-Bereich übertragen – und sie verschwindet beinahe vollständig auf Amazon“, schreibt Kaziukenas.

Tatsächlich könnte man die große Zahl an gut funktionierenden Händler-Eigenmarken auf Amazon dahingehend interpretieren, dass die Kunden beim Einkauf dort viel weniger auf die Marke achten als in anderen Shopping-Situationen. „Mithilfe von Technologie, einer Milliarde Produktrezensenten und Algorithmen können wir den hochpreisigen Bereich, den Marken bisher besetzt haben, zerstören. Der ganze Aufwand in Sachen Marketing, bei der Verpackung, bei der Präsentation im Ladengeschäft, all das wird sich dann nicht mehr lohnen“, behauptet deshalb Scott Galloway, Gründer des Beratungsunternehmens L2.

Algorithmen und Bewertungen sind das neue Vertrauensbarometer

Sicherlich eine steile These, die aber nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Fakt ist: Amazon ersetzt das bisher gültige Markenvertrauen durch Algorithmen. Kunden sollen nicht mehr wie früher gezielt die Markenprodukte auswählen, denen sie vertrauen, stattdessen will Amazon die Auswahl für sie treffen – basierend auf Algorithmen. Produktrezensionen und -bewertungen werden zum Schlüssel zu den besten Produkten in Amazons immer umfangreicher werdenden Sortiment. In dieser Weltanschauung ist Coca-Cola, eine der bekanntesten Marken der Welt, nicht besser als jede andere Getränkemarke, die es auf eine 5-Sterne-Bewertung bringt.

Marken waren das Vertrauensbarometer der Vergangenheit, heute treten an ihre Stelle Algorithmen und Produktbewertungen“, ist auch Klaus Forsthofer von der Amazon-Beratungsagentur Marktplatz1 überzeugt. „Allerdings: Auch Bewertungen sind Assets, die man wiederum für den Markenaufbau nutzen kann.

Das Problem ist: Markenaufbau kostet Zeit und Geld – einen Algorithmus richtig anzusprechen ist oft viel einfacher und schneller. Und wie alles, was schnell und einfach geht, zieht dieser Fakt eine Menge Leute an, die ihr Glück damit versuchen wollen. Das Ergebnis sieht man aktuell auf Amazon – fast stündlich werden neue Eigenmarken gelauncht, die um die Aufmerksamkeit der Kunden buhlen.

Sucht man auf Amazon.de beispielsweise nach „kabellose Kopfhörer“, bekommt man über 10.000 Ergebnisse, viele sind äußerlich und anhand der technischen Features kaum voneinander zu unterscheiden. Namen wie Holyhigh, Zling, CYDZ, Havit, Mpow, Ifecco und Aukey dominieren die Liste, und sie alle kosten deutlich weniger als Produkte der etablierten Marken wie Bose oder JBL, die in den Suchergebnislisten übrigens abgeschlagen erst auf den hinteren Plätzen erscheinen.

Aus der Maße herausragen mit 5-Sterne-Bewertung und Sichtbarkeitsstrategien

Das einzige Mittel für solche Marken mit geringer Strahlkraft, um sich von der Konkurrenz abzuheben, ist eine 5-Sterne-Bewertung anzuhäufen. Um diese zu erreichen, haben sich deshalb in den letzten Jahren verschiedenste Taktiken entwickelt, sei es in Form der inzwischen verbotenen incentivierten Reviews, über Produktbewertungsgruppen auf Facebook bis hin zu Blackhat-Techniken. Und das alles nur, um den Amazon-Algorithmus dazu zu bringen, dem Produkt zu vertrauen und es auf Position 1 der Suchergebnisse zu hieven.

Etablierte Marken, die gegen die Algorithmus-Profis auf Amazon bestehen wollen, dürfen sich nicht auf die Strahlkraft ihrer Marke verlassen, sondern müssen aktiv werden, rät Klaus Forsthofer:

Sie brauchen perfekt gestaltete Listings, einen eigenen Brandstore und ausgezeichneten Content, sie sollten an Amazons Rezensions-Programm VINE teilnehmen und AMS (Amazon Marketing Services) für das Marketing nutzen sowie mit externem Traffic (z.B. Landingpages, Facebook, Instagram etc.) für mehr Sichtbarkeit bei Amazon sorgen“, so der Berater. „Ohne die ganze Klaviatur geraten sie gegenüber den kleineren, neuen Marken auf Amazons ins Hintertreffen.

Amazon ist eine Brutstätte für schwache Marken, konstatiert Joe Kaziukenas von Marketplace Pulse. Diese kleinen, jungen Marken zielen einzig und allein darauf ab, durch den Algorithmus auf Position 1 zu kommen. Daraus ist eine Klein-Industrie an Unternehmen herangewachsen, die versuchen, sich gegenseitig auszustechen.

Leider macht es diese Industrie in Kombinationen mit den laxen Eintrittsbeschränkungen für neue Marketplace-Händler auch Markenfälschern leicht, auf Amazon ihr Geschäft zu verfolgen. Die Fälle von tatsächlich verkauften gefälschten Markenprodukten machen zwar nur einen sehr kleinen Prozentsatz am Gesamtumsatz von Amazon aus, aber je größer Amazon wird, desto größer wird auch die Zahl an unzufriedenen Kunden, für die dieser kleine Prozentsatz steht.

Algorithmus-Kenntnis + vertrauenswürdige Marke = Nachhaltigkeit

Aktuell gibt es über 550 Millionen Produkte auf Amazon. Bleibt das aktuelle Wachstum konstant, wird sich ihre Zahl in den nächsten fünf Jahren verdoppeln, da es Amazon bei der Sortimentsgestaltung bisher eher um Quantität als um Qualität geht. Amazon stellt angesichts des riesigen Sortiments aber weiterhin an sich selbst den Anspruch, dass die Kunden auch bei einer Auswahl von über einer Milliarde Produkten immer noch mithilfe des Algorithmus jederzeit die für sie besten Produkten zur Auswahl gestellt bekommen.

Aber, fragt Kaziukenas zu Recht: Was, wenn das nicht funktioniert? Was, wenn die Kunden dem Algorithmus, der einmal zu häufig von Eigenmarken geringer Qualität oder von Markenfälschern ausgetrickst wurde, in Zukunft nicht mehr vertrauen? In diesem Fall könnte die Renaissance der Marke als Vertrauensbarometer anbrechen. „Und dann können vertrauenswürdige Marken, die auch im Algorithmus zu überzeugen wissen, ihren Kunden weiterhin einen Mehrwert bieten“, meint Klaus Forsthofer. „Und zwar nachhaltig.“

Bildnachweis: Arek-Socha via pixabay

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