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Tag X vor dem Paketkollaps: Wie die Zukunft der „letzten Meile“ aussehen könnte

Wochenlang geisterte das Schreckgespenst „Paketkollaps“ durch die Fachmedien – doch letztlich ist das letzte Weihnachtsgeschäft bemerkenswert unspektakulär über die Bühne gegangen. Die Paketdienstleister berichten einhellig von einer zwar herausfordernden, aber letztlich lösbaren Aufgabe. Und auch in den einschlägigen Facebook-Gruppen fällt das Händlerfeedback eher unspektakulär aus: Geringfügig verlängerte Laufzeiten, der eine oder andere Paketausfall, etwas gravierendere Störungen in den DHL-Logistikzentren von Bremen und Hamburg (die aber wohl vor allem mit technischen Störungen zusammenhingen, nicht unbedingt mit dem erhöhten Paketvolumen)… das war‘s auch schon. Ist das Logistik-Problem damit abgehakt?

Mitnichten. Dass der Kollaps im letzten Weihnachtsgeschäft ausgeblieben ist, dürfen sich die Paketdienstleister zwar durchaus auf die Fahnen schreiben: Mit großen Anstrengungen wurden noch rechtzeitig Personal und Fuhrpark aufgestockt, offenbar mit Erfolg. Allerdings kam der E-Commerce in diesem Jahr wohl vor allem aufgrund der milden Wetterbedingungen ohne blaue Augen davon. Bei Schneesturm und vereisten Straßen hätte die Bilanz sicher anders ausgesehen.

Außerdem gilt für das Logistik-Problem: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Paketvolumen wächst schließlich gemeinsam mit dem E-Commerce-Anteil am Gesamt-Handelsumsatz weiterhin stetig an. Bis 2021 wird die Zahl der jährlich beförderten Sendungen wohl um eine gute Milliarde auf dann 4,15 Milliarden ansteigen, schätzt der Bundesverband Paket- und Expresslogistik (BIEK). Und irgendwann wird das Ende der Ressourcen an Paketboten, Lieferfahrzeugen, Parkplätzen und Straßen letztlich doch erreicht sein. Und was dann?

Logistik ist „in“

Das Gute am kräftig spukenden Schreckgespenst „Paketkollaps“: Es hat viele Branchenteilnehmer genug aufgeschreckt, um sich endlich ernsthaft über Alternativen zur heutigen Zustelllogistik Gedanken zu machen. Auf breiter Front wird aktuell über Zustelldrohnen und Lieferroboter, über Lieferung in den Kofferraum oder Pakettransport per Lastenfahrrad diskutiert und über die Sinnhaftigkeit von Mikrodepots versus Packstationen oder Paketshops diskutiert.

Dabei reicht die Diskussion inzwischen auch über die Fachkreise hinaus: Politiker beschäftigen sich mit Förderungen für Elektromobilität in der Zustelllogistik. Stadtplaner setzen sich mit Parkflächen für Paketlaster oder Stellflächen für stadt-nahe Mini-Logistikzentren auseinander. Auch die Verbraucher werden über die Publikumsmedien immer mehr in die Debatte miteinbezogen – schließlich wird von immer mehr Parteien mehr oder weniger lautstark das Ende der kostenlosen Zustellung bis zur Haustür gefordert.

Hermes hat die verschiedenen Ansätze für die letzte Meile übrigens in einer Infografik zusammengefasst:

Amazon macht es vor – das 360°-Logistikkonzept

Durch die angeregte Debatte geraten auch die Logistikambitionen von Amazon wieder mehr in den öffentlichen Fokus. Unter dem Radar arbeitet der weltgrößte Online-Händler ja längst an eigenen Lösungen für das Last-Mile-Problem. Oder wie Marcel Weiß in seiner umfassenden Analyse für die K5 schreibt:

„Amazon baut eine Logistik auf, für die Amazon selbst der erste und beste Kunde ist, aber bei weitem nicht der einzige.“

Im Herbst letzten Jahres berichtete Bloomberg über Amazons neuestes Logistik-Baby, „SellerFlex“. Mit diesem neuen Logistikservice übernimmt Amazon die Frage, welcher Dienstleister die Pakete vom Warenlager zum Kunden bringt. Das kann UPS und FedEx und hierlande DHL sein, aber auch einer der Amazon-Dienste. Der Verkäufer übergibt diese Entscheidung, ähnlich wie beim FBA-Versand, an Amazon – nur dass im Fall von SellerFlex auch der Versand von Paketen aus Nicht-Amazon-Warenlagern von dem Amazon-Service gesteuert wird.

Ein weiteres Puzzle-Stück in Amazons Logistik-Strategie ist der im November in Deutschland gestartee Service Amazon Flex, ein Uber-ähnlicher Zustelldienst, bei dem sich Privatleute stundenweise als Paketkuriere verdingen können. Für sich genommen klingt Amazon Flex nach einer verrückten, wenig nachhaltigen Idee. Aber als Teil einer von Amazon SellerFlex gesteuerten Logistik-Welt macht das neue Angebot schon deutlich mehr Sinn. Sehr fraglich allerdings ob die ausgelobte Aufwandsentschädigung, für die privaten Auslieferer, Anreiz genug ist. Mindestens genauso fraglich auch, was der Kunde davon hält, wenn er sein Paket nicht von der DHL, der DPD oder Hermes bekommt, sondern von ständig wechselnden Person in Zivilkleidung. Nicht dass  dies etwas über die Zustellqualität aussagt, aber es geht ja auch immer um vermeintliche Sicherheit und Vertrauen.

Ein anderer Ansatz, der in den USA schon fest zu Amazons Logistik-Konzept gehört und der hierzulande gerade erst richtig ausgerollt wird, ist der Amazon Locker – Jeff Bezos‘ Variante der DHL-Packstation. In Deutschland sind aktuell noch weniger als 200 der Amazon-eigenen Paket-Kästen aktiv, aber dank einer Kooperation mit Aldi, Edeka und den Shell-Tankstellen dürfte sich ihre Zahl 2018 drastisch erhöhen – und die DHL wird sich fragen lassen müssen, warum sie mit dem Ausbau ihrer eigenen Paketstationen nicht so wie angekündigt weiterkommt.

Aber kurz vor Weihnachten hat Amazon dann noch offenbart, wie man sich in Seattle die Zukunft der letzten Meile wirklich vorstellt: Seit November ist in den USA der „Amazon Key“ erhältlich, ein intelligentes Türschloss, dass Paketboten automatisch die Tür öffnet, damit die eine Lieferung abstellen können – auf Wunsch auch direkt in den hauseigenen Kühlschrank. Ähnliche Pläne liegen unter dem Namen „Amazon Phrame“ auch bereits für eine smarte Kofferraum-Lieferung vor.

Lösung für Deutschland: Paketsammelstellen? 

Solche Lösungen scheinen für das Datenschutz-sensitive Deutschland aktuell noch undenkbar. Deshalb konzentrieren sich hierzulande viele Zustell-Dienstleister eher darauf, die letzte Meile ganz abzuschaffen. Deshalb wird die Zahl der Paketsammelstellen wie Paketshops oder Paketstationen erhöht werden. Der Kunde soll seine Pakete dort selbst abholen – oder für die Lieferung zur Haustür einen Aufpreis bezahlen, fordern viele Branchenteilnehmer.

Was ökonomisch und ökologisch sinnvoll klingt, könnte allerdings an einem entscheidenden Faktor scheitern: dem Kunden. Denn der will seine Pakete nun mal bis zur Haustür geliefert haben. Über zwei Drittel der Befragten nannten in einer Umfrage der Bundesvereinigung Logistik von 2016 die private Adresse als bevorzugten Zustellort. Einer aktuellen Studie von ECC Köln und Hermes zufolge wollen sogar 80 Prozent ihre Pakete am liebsten nach Hause geliefert bekommen.

Wenn also Amazon auch bei der Logistik getreu dem Motto „Customer First!“ eine bequeme und kostengünstige Lösung findet, um diesen Wunsch zu erfüllen, werden es die deutschen Paketdienstleister und Onlinehändler sehr schwer haben, dagegen mit einer eigenen Lösung anzukommen – egal wie ökonomisch, ökologisch und Datenschutz-technisch einwandfrei die auch aussehen mag.

Anhand der aktuellen Diskussionen und Erkenntnisse, gehen wir derzeit vor allem von einen weiteren Ausbau der Paketshops und Paketstationen aus. Außerdem, dass es künftig zentrale Hubs geben wird, zu denen jeder Versender seine Pakete anliefert und diese dann von unabhängigen Drittunternehmen auf die letzte Meile geschickt bzw. ausgeliefert werden. Einen Aufpreis für die Haustürlieferung werden wir wohl, zumindest vorläufig noch, eher nicht sehen.

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