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Paketkollaps: Adé letzte Meile?

Dieses Jahr könnte es in Sachen Weihnachtslogistik richtig eng werden. Die Paketdienstleister sind jetzt schon am Anschlag, tausende Stellen für Paketfahrer sind weiterhin unbesetzt und vor allem an belebten Standorten platzen die Packstationen aus allen Nähten. Und im Weihnachtsgeschäft werden wohl 30 Millionen Pakete mehr als im Vorjahr auf die Reise gehen.

Bild: josefkubes @ bigstock

Wenn es unterm Weihnachtsbaum also lange Gesichter gibt, sei das hauptsächlich die Schuld der Logistik-Dienstleister, argumentieren einige Branchenbeobachter. Für Jochen Krisch, der schon seit diesem Sommer vor einem Paketkollaps zu Weihnachten warnt, ist klar: DHL, Hermes und Co. haben die Wachstumsdynamik des E-Commerce seit Jahren unterschätzt – und werden jetzt von einer Welle überrollt, die sie nicht mehr beherrschen können. Andere Experten wie auch Claus Fahlbusch, CEO des Versandschnittstellen-Anbieters shipcloud, sind der Ansicht: In einem Tsunami kann man nicht surfen.

Herr Fahlbusch, 30 Millionen Pakete mehr werden in diesem Weihnachtsgeschäft auf die Reise gehen als letzten Jahr. Steuern wir auf einen Paketkollaps zu oder haarscharf dran vorbei?

Claus Fahlbusch: Ich gehe davon aus, dass wir nahe an den Kollaps herankommen. Wie nahe, hängt noch von der Wetterlage ab. Wenn es im Dezember viel Schnee und glatte Straßen gibt, kriegen wir es dieses Jahr wohl nicht mehr gewuppt und unterm Baum werden einige Päckchen fehlen. Die meisten Paketdienstleister sind mit ihren Kapazitäten komplett am Anschlag.

Aber warum? Die E-Commerce-Wachstumsraten sind doch seit Jahren stabil zweistellig, das steigende Paketvolumen war also leicht vorauszuberechnen.

Fahlbusch: Ich glaube schon, dass die Paketdienstleister versucht haben, sich auf das Volumen einzustellen, aber man trifft einfach auf eine physikalische Grenze. Man findet keine Fahrer mehr, die Straßen sind verstopft, auch Standorte für Paketshops oder Packstationen gibt es nicht wie Sand am Meer. Über natürliche Grenzen kommt man auch mit guter Planung nicht hinaus.

Naja, die DHL liegt in jedem Fall unter ihrer eigenen Planung, was die Zahl der Paketstationen angeht…

Fahlbusch: Mehr Paketstationen hätten das Problem auch nicht gelöst. Die sind platzmäßig begrenzt und nicht auf die Paketgrößen ausgerichtet, die heutzutage versendet werden. Jedes Windelpaket ist größer als die Standardfächer einer Packstation.

Aber was würde das Problem dann lösen?

Fahlbusch: Man könnte es zumindest deutlich entschärfen, wenn die letzte Meile in Zukunft an einem zentralen Sammelpunkt enden würde und nicht an der Haustür. Die Haustürlieferung mit ihren ganzen Unwägbarkeiten – der Fahrer kann nirgends parken, der Kunde ist nicht zuhause, Verkehrsströme behindert die Zustellung in kleinen Zeitfenstern etc. – wird auf Dauer nicht mehr funktionieren. Stattdessen könnte der günstige Versand zu einer Sammelstelle, sei es an der Tankstelle, im Supermarkt oder im Paketshop, von der der Kunde seine Pakete selbst abholt, der kostengünstige Standard werden – und die Einzelzustellung bis an die Haustür wird dafür zum teuren Extra-Service.

Da heißt es von deutschen Branchenteilnehmern gern: Das wird in Deutschland nicht funktionieren, hier geht nur kostenloser Versand- und Rückversand. Bis an die Haustür, wohl gemerkt.

Fahlbusch: Das klappt aber nicht. Wenn wir bei der Haustürlieferung bleiben wollen, brauchen wir viel mehr Fahrer. Dafür muss der Job aber attraktiver werden – und das heißt vor allem: besser bezahlt. Aber dann müssen auch die Paketpreise hoch, sonst arbeitet die gesamte Logistikbranche unrentabel. Es ist doch so: Die realen Kosten für den Haustürversand sind enorm hoch – und die Versandkosten müssen sich früher oder später daran anpassen. Das ist ja nicht gerade Raketenwissenschaft: Nirgends in der EU sind die Preise für Paketversand so niedrig wie bei uns.

Mit solchen Thesen machen Sie sich unter Online-Händlern nicht gerade beliebt…

Fahlbusch: Das ist mir klar. Zu uns kommen regelmäßig Händler, die klar sagen: Ich muss meine Pakete für maximal 2,50 Euro pro Stück verschicken, sonst funktioniert mein Geschäftsmodell nicht. Gleichzeitig brauchen sie maximalen Service, um beim Kunden zu punkten. Das passt nicht zusammen. Hier muss ein Mentalitätswechsel stattfinden.

Gehen wir mal davon aus, dass der Paketversand tatsächlich in den kommenden Jahren massiv ansteigt…

Fahlbusch: Das wird auf jeden Fall kommen, und dann mit der Keule. Da gehen dann die Logistikpreise auf einen Schlag um 10 oder 20 Prozent hoch, sage ich Ihnen.

Wie werden die Konsumenten reagieren, wenn sie Hin- und Rückversand teuer bezahlen müssen? Wird das das E-Commerce-Wachstum bremsen?

Fahlbusch: Das glaube ich nicht. Sicher, in manchen Segmenten werden sich die Verbraucher vielleicht genauer überlegen, wieviel sie bestellen und wieviel sie zurückschicken. Aber dafür werden erst durch reelle Versandpreise ganz neue Sortimente für den E-Commerce attraktiv. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass die aktuell schon hohen Click&Collect-Anteile am Online-Umsatz mit der Versandkostensteigerung noch deutlich nach oben gehen werden. Umgekehrt wird es dann ganz viele Start-ups geben, die sich ausschließlich um die erste und letzte Meile kümmern.

Sie sprechen von Unternehmen wie z.B. qool, das gekühlte Abholboxen für online bestellte Lebensmittel anbietet?

Fahlbusch: Das ist eine von vielen interessanten Ideen. Aber aktuell können diese Start-ups noch nicht wirtschaftlich arbeiten, weil sie mit den niedrigen Versandkosten der KEP-Dienstleister konkurrieren müssen. Aber das muss und wird sich bald ändern.

Vielen Dank für das Interview.

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