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Warum der Direktvertrieb boomt – und wie Online-Händler davon profitieren können

Gastartikel: Wissen Sie, wer den Beruf des Vertreters erfunden hat? Das war Vorwerk, anno 1926, um den Verkauf seines Staubsauger-Modells „Kobold“ anzukurbeln. 90 Jahre später boomt der Direktvertrieb immer noch. Die Zahl der in Deutschland tätigen freiberuflichen VertreterInnen, heute eleganter „Vertriebspartner“ genannt, ist 2016 um 8 Prozent gestiegen.

Moderne Vertreter klingeln allerdings nicht mehr an der Haustür, sondern lassen sich von Kunden zu geselligen Verkaufspartys einladen. Wir haben eine Redakteurin auf so eine Verkaufsparty geschickt. Von der kam sie mit spannenden Erkenntnissen über den modernen Direktvertrieb mit Online-Verknüpfung zurück – und beinahe mit einem funkelnagelneuen Thermomix. Aber lesen Sie selbst.

Es wird Zeit für ein Geständnis: Vor ein paar Wochen war ich auf einer Thermomix-Party. Ja, genau, auf einer dieser Verkaufsveranstaltungen, auf denen die Firma Vorwerk ihre unfassbar teuren Küchenwunderwerke an den Mann beziehungsweise an die Frau bringt. Eingeladen hatte eine Freundin von mir, die Verkaufsberaterin, von Vorwerk „Repräsentantin“ genannt“, war eine Freundin selbiger Freundin, alle Gäste stammten aus dem näheren Bekanntenkreis der Gastgeberin.

Und in dieser geselligen Runde, in der alle schnell per Du waren, stellte die Repräsentantin also ihren Thermomix auf den Tisch und fing an zu kochen. Jeder durfte das Gerät mal schnippeln, rühren, schroten oder mixen lassen, unter viel Gelächter, garniert von geschickt platzierter Produktinformation, entstand binnen einer halben Stunde ein dreigängiges Menü, das allen hervorragend schmeckte. Bei der Nachspeise wurden bereits die ersten Kaufverträge unterzeichnet und beim Abschluss-Prosecco hatten vier von acht Gästen einen Thermomix geordert. Für jeweils 1.200 Euro. Ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, Konversion Nummer 5 des Abends zu werden.

Meine Erkenntnis aus diesem unerwartet unterhaltsamen Abend? Direktvertrieb funktioniert – da kann noch soviel über spießige Tupper-Partys oder aufgetakelte Avon-Vertreterinnen gelästert werden. Das bestätigen auch die Zahlen: Thermomix steigerte seinen Umsatz 2015 um knapp 50 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro.

Das Interesse an der neuen, digitalen Variante des „Zaubertopfes“ war so groß, dass der Hersteller mit der Organisation von Verkaufspartys gar nicht mehr nachkam und die Zahl seiner Repräsentantinnen auf 16.500 verdoppeln musste. Und das Phänomen ist längst nicht auf den Thermomix beschränkt: In Deutschland finden pro Jahr etwa 8,5 Millionen Verkaufsveranstaltungen statt – oder anders ausgedrückt: alle 22 Sekunden gibt es irgendwo in Deutschland eine Verkaufsparty.

Rund 830.000 freiberufliche Verkäufer erwirtschaften dort Umsätze von über 16 Milliarden Euro, so eine Studie des Bundesverbands Direktvertrieb Deutschland (BDD). Die verkaufte Produktpalette reicht von Kosmetik über Haushaltswaren, Schmuck, Nahrungsmittel, Dessous, Erotikartikeln, Alarmanlagen, Wellness-Produkten und Smart-Home-Geräten bis hin zu Spielzeug, Büchern und Versicherungen.

Die Digitalisierung fördert den Direktvertrieb

Das Spannende ist: Trotz Digitalisierung und einem immer vehementeren Einzug des E-Commerce in alle Konsumbranchen wächst der Direktvertrieb über Verkaufspartys. Und zwar nicht zu knapp: Um 9 Prozent wird der Umsatz der Direktvertriebler in diesem Jahr wohl zunehmen. Tatsächlich wird die älteste Vertriebsform der Welt (die in den 1920er Jahren von Vorwerk erfunden wurde, um den Staubsauger, der zunächst ein Ladenhüter war, zu verkaufen) vom Internet eher befeuert als behindert.

Denn nie war es so leicht, Verkaufspartys zu organisieren wie über Websites mit Terminvereinbarungsoption. Nie war es so leicht, mehr Partygäste zu akquirieren als über soziale Netzwerke wie Facebook. Und nie war es so einfach, aus den Party-Kunden Stammgäste zu machen als über nachgeschaltete Webshops und E-Mail-Marketing-Kampagnen.

Ein weiterer Grund für die Attraktivität des Direktvertriebs: Der harte Konkurrenzdruck im Online-Handel. „Gegenüber Amazon haben Online-Shops keine großen Chancen mehr, daher boomt zur Zeit der Direktvertrieb mit Partys“, formulierte Andreas Schneck gegenüber Internetworld.de. Er ist Gründer der Plattform Verkaufspartys.net auf der interessierte Kunden direkten Kontakt zu Verkaufsparty-Veranstaltern in ihrer Nähe finden.

Rund 55 Unternehmen sind dort mit ihren etwa 2.600 Vertretern eingetragen. „Wir bringen Direktvertriebs-Berater, Gastgeber und Kunden zusammen – von Augsburg bis Zülpich“, erklärt Schneck. Dafür hat er ein System entwickelt, das über eine Datenbank die entsprechenden Wünsche und Anbieter kombiniert. Auf der Website verkaufspartys.net werden zahlreiche Firmen vorgestellt. Interessierte Gastgeber erfahren auf einen Blick, wer was an Rabatten bietet oder wer für die Organisation einer Veranstaltung ein Geschenk erhält.

Das Internet hat also die Organisations-Strukturen hinter den Verkaufspartys vereinfacht. Dadurch kann jeder an dem Trend teilnehmen – große, etablierte Hersteller wie Vorwerk oder Tupperware genauso wie digital orientierte Start-ups wie Pippa & Jean oder auch kleinere Händler, die Eigenmarken promoten wollen oder sich als Gastgeber für Produkte, die sie sowieso im Sortiment haben, neue Vertriebswege erschließen wollen.

So wie Amorelie: Der bekannte Erotik-Händler lädt regelmäßig in den Wohnzimmern ihrer Kundinnen zur Toy-Party, um unter der Einwirkung von stimmungs- und verkaufsförderndem Prosecco die Funktionsweise von Sex-Spielzeug zu demonstrieren. Dass das System auch für kleinere Nischenhändler mit deutlich weniger medialer Aufmerksamkeit funktioniert, demonstriert dagegen beispielsweise MyMomDesign: Der kleine feine Online-Shop für Kinder- und Müttermode fertigt auch individuelle Produkte nach Kundenwunsch an – die Designs dafür können Kunden zusammen mit einer MyMom-Beraterin in geselliger Runde auf einer Design-Party gestalten.

Diese Beispiele zeigen: Moderner Direktvertrieb läuft heute über viele Kanäle. 41 Prozent der in Deutschland tätigen Direktvertriebler verkaufen ihre Produkte zusätzlich auch über das Internet. Zu ihnen gehört auch Vorwerk: Der Thermomix selbst wird zwar ausschließlich über Verkaufspartys vertrieben, Zubehör und Kochbücher können Kunden aber auch im Online-Shop ordern. 18 Prozent der Direktverkäufer haben zusätzlich eigene Läden.

Zu ihnen wird auch bald Tupperware gehören: Der Plastikschüssel-Hersteller will in Deutschland mittelfristig 500 „Tupper-Studios“ eröffnen, die Verkäuferinnen als Showroom oder als Party-Location nutzen sollen. Das Kernstück eines jeden Direktvertriebs bleibt schließlich der persönliche Kontakt zum Kunden. „Wichtig für den Verkaufserfolg ist, dass die Produkte intensiv erklärt werden“, betonte Vorwerk-Chef Reiner Strecker gegenüber dem „Handelsblatt“. Das Bemühen um den Kunden vor Ort zahlt sich aus: Nur jedes 123. im Direktvertrieb verkaufte Produkt wird retourniert; im Online-Handel ist es durchschnittlich jedes 8., im Fashion-Bereich sogar jedes 4.

Fazit: Einen vorurteilsfreien Blick wert

Vor allem erklärbedürftige Produkte wie Haushaltsgeräte, Elektronik-Produkte etc. eignen sich also hervorragend für den Direktvertrieb. Aber auch Produkte mit hohem Variationsgrad, die Kunden ausprobieren müssen, um zu wissen, ob sie zu ihnen passen (wie Mode, Kosmetik, Schmuck, Erotikartikel etc.) profitieren von dem persönlichen Beratungsfaktor einer Verkaufsparty. Dank der vereinfachten digitalisierten Organisationsstruktur können auch Online-Händler über einen Ausflug ins Direktfach nachdenken.

Direktvertrieb bleibt zwar auf den ersten Blick teurer als klassischer Versandhandel, weil der Berater ja auch bezahlt werden will. Aber dafür locken Retourenquoten im Promille-Bereich. Ach ja: Und der Rohkost-Salat aus dem Thermomix-Party-Menü ist wirklich verboten lecker. Vielleicht sollte ich doch mal meine Repräsentantin anrufen…

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