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Wenn SAP den Omnichannel retten soll

Derzeit ist die Diskussion um Omnichannel wieder in vollem Gange. Für die einen der goldene Lösungsweg, um den stationären Handel zu retten, für die anderen nichts weiter als ein Groschengrab. Aber es hilft ja nichts, leere Innenstädte und der digitale Wettbewerb fordern Antworten. ›Etailment‹ hat darüber mit ihren Experten gesprochen.

Die Tage lud etailment zum Meinungsaustausch über Banken, Immobilien und dem Omnichannel ein. Bei der Frage »Wie stemmt man den Wandel (im Handel)?« gab Lothar Schäfer, Vorstandsvorsitzender von Adler Moden, einer Ex-Metro-Tochter, eine durchaus interessante Antwort:

»Das ist vor allem nicht trivial für stationäre Handelsunternehmen. Selbst Vorzeigeunternehmen haben teils veraltete Warenwirtschaftssysteme. Diese Systeme muss man mit viel Aufwand auf SAP umstellen – der Horror jedes IT-Leiters und Finanzchefs. Hat man das nicht, bekommt man die Omnichannelfähigkeit nicht hin.«

E-Commerce ist schnelllebig und fordert agile, flexible Software. Daher wäre ich nicht sofort auf SAP gekommen, wenn es um ein Heilmittel für den Omnichannel von alt eingesessenen, taumelnden Handelsunternehmen geht.

Alexander Graf, Herausgeber von kassenzone.de und CEO von Spryker Systems, kennt, auch ob seiner Vita, nicht nur die Handelswelt, sondern spätestens mit Spryker, auch die Anforderungen an eine moderne IT-Landschaft und deren Herausforderungen bestens.

In seinem Interview mit uns, erläutert er unter anderem, wo er die Probleme für die alten Handelsunternehmen und wie er die Sache mit dem Omnichannel sieht.

Alexander, der Vorstandsvorsitzende von Adler Moden glaubt, ohne SAP kann Omnichannel nicht funktionieren. Wie siehst Du das – ist SAP die richtige Entscheidung für diese Händler?

Viele alte Handelsunternehmen haben mit SAP/IBM & Co. vor ca. 20 Jahren die ersten großen Elektrifizierungsprojekte begonnen, allerdings ging es dabei ›nur‹ um die Verbesserung der Warenwirtschaft und des Debitorenmanagements. Die kundenorientierten Kompetenzen waren und sind oft jedoch noch sehr dezentral und papierlastig organisiert.

Nun kommt mit dem Thema Omnichannel etwas in die Unternehmen, was ein hohes Maß an Datenkontrolle (bspw. wo welche Ware liegt) verlangt und gleichzeitig eine hohe Automatisierung und Elektrifizierung der Marketingwerkzeuge erfordert. Wenn beides noch nicht vorhanden ist, denkt man als Manager eines Unternehmens natürlich zuerst an die ohnehin schon seit Jahren laufenden SAP/IBM-Projekte und möchte das Problem auch dort lösen.

Warum ist das so? 

In dieser Situation kommen unglücklicherweise zwei Missverständnisse zusammen. Auf der einen Seite sehen viele Manager von Handelsunternehmen ihre IT-Investitionen weiterhin als Teil des Cost Centers, also nur als Supportfunktionen für die restlichen Handelsaktivitäten. Es fehlt ihnen das Verständnis, wie in einer digitalen Welt Nachfrage entsteht und gehalten wird. Kein Unternehmen der digitalen Welt würde seine IT Strategie an einem der großen Enterprise-Anbieter festmachen, sondern dort nur punktuell einkaufen und kritische Funktionen selbst entwickeln.

Das ist für viele Handelsunternehmen oft gar nicht vorstellbar. Aber das Problem verschwindet dadurch nicht. Also investiert man lieber in Produkte, die nicht weiterhelfen können, anstatt gar nicht zu investieren.

Bei dieser Aussage wird ja grundsätzlich ein richtiger Punkt angesprochen: Die veraltete IT-Landschaft der etablierten Handelsunternehmen kann die Anforderungen des E-Commerce, Omnichannel oder was auch immer nicht abdecken. Einfach alles abzureißen und neu aufzubauen ist für sie auch keine Option. Was können diese Unternehmen also tun, um den Sprung in die digitale Welt zu schaffen?

Neu bauen wäre in den meisten Fällen die allerbeste Wahl, aber das ist organisatorisch und innenpolitisch oft nicht durchsetzbar. Zudem wird dann ein Managementmangel sichtbar: Wer soll so einen ›Neuaufbau‹ im laufenden Geschäft durchführen? Führende Onlineunternehmen müssen das übrigens auch regelmäßig machen, haben aber oft das Personal für solche Projekte.

Es gibt ein paar Ansätze, um so einen Prozess besser zu verdauen. Man könnte bspw. den Aufbau einer Ländergesellschaft technisch auf der ›grünen Wiese‹ starten oder vertikale Einheiten im Unternehmen schaffen, die bestimmte Produkte oder Services auf neuen technisch Ansätzen aufbauen.

Ich habe in den letzten Jahren noch kein Unternehmen gesehen, wo so etwas nicht möglich wäre. Das jedoch erfordert ein mutiges Management und auch dazu ermächtigte CEOs. Wenn man immer bei allen Stakeholdern nachfragen muss, dann wird das natürlich nichts.

Du glaubst ja nicht an den Omnichannel, da dies die Konsumenten Deiner Meinung nach nicht interessiert. Ist es wirklich so oder haben die stationären Händler einfach noch nicht den richtigen Ansatz gefunden bzw. betreiben das Ganze einfach nicht konsequent genug, sondern zu halbherzig?

Omnichannel ist aus meiner Sicht keine Strategie, sondern oft nur Hygiene. Ein durchschnittliches Handelsmodell wird nicht besser, wenn es auf allen Kanälen aktiv ist. Meine Omnichannel-Aversion kommt daher, dass ich Unternehmen sehe, die 80 Prozent ihrer Ressourcen in dieses Thema stecken, obwohl damit nur 2-3 Prozent Wachstum möglich sind. Das ist betriebswirtschaftlicher Unsinn.

Es kann durchaus Modelle geben, bei denen sich eine parallele Investition in alle Kanäle lohnt, aber ich sehe das bisher nur sehr vereinzelt und auch bei den erfolgreichen Modellen im Omnichannel, dominiert oft nur ein Kanal.

Man könnte sich da Unternehmen wie IKEA oder ZARA genauer anschauen, deren DNA im stationären Handel liegt. Den Kunden interessiert meist nur ein sehr flüchtiges Set aus Preis, Angebot und Verfügbarkeit. Kanäle sind ihm egal.

Man hört ja nun von den verschiedensten stationären Händlern, wie zuletzt Conrad Electronics, dass sich Omnichannel nicht lohne. Kann es aber nicht sein, dass diese Unternehmen – mangels Fachkompetenz – einfach unnötig viel zu viel Geld ausgeben und die falsche Strategie, den falschen Ansatz und die falsche IT wählen?

Ich glaube das hätte man vor ein paar Jahren so schlussfolgern können. Aber was Conrad oder auch Butlers in diesen Bereichen gemacht haben war und ist nicht schlecht, auch wenn noch viel Luft nach oben ist. Die Idee dieser Ansätze war ursprünglich, dass man auf relativ breiter Basis verbesserte Loyalitätsraten bei den Kunden erreichen kann.

Also, ein Kunde, der bei Conrads im stationären Geschäft etwas gekauft hat, kauft dann auch eher bei conrad.de. Diese Loyalität hat sich in den Daten aber nicht gezeigt bzw. nur bei 0,5-2% der angesprochenen Kunden. Das reicht nicht aus, um die Investitionen in die sehr aufwendigen Omnichannel-Konzepte zu rechtfertigen.

Mangelnde Fachkompetenz war es sicherlich nicht. Conrad hat nichts falsch gemacht. Aber das reicht nun mal nicht mehr aus.

Einmal angenommen Amazon würde tatsächlich verstärkt in den stationären Handel gehen. Ich gehe davon aus, dass dies dann auch von Erfolg gekrönt wäre. Wie siehst Du das?

Ja, Amazon wäre sicherlich auch stationär erfolgreich. Aber es gibt noch viele andere Bereiche in denen Amazon viel schneller und profitabler wachsen kann. Ich betrachte es zurzeit nur noch aus einer Plattformperspektive. Kann ein Investment (z. B. von Amazon) dazu führen, dass man mehr Kontrolle über den Endkundenzugang hat oder eben nicht?

Stationärer Handel könnte für Amazon ein Weg sein, um neue bzw. noch nicht so stark internetaffine Kunden für das eigene Ökosystem zu gewinnen. In diesem Sinne wäre der stationäre Handel für Amazon aber nur eine Brückentechnologie. Verglichen mit den vielen anderen angesprochenen Themen, in die Amazon noch investieren kann, ist es nun mal ein sehr teurer Zugang, den Amazon heute noch nicht braucht und so wie sich der Handel aktuell entwickelt auch in Zukunft nicht brauchen wird.

Vielen Dank für das Interview.

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Bildquelle: © romolo tavani/ fotolia

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