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Beginn der Widerrufsfrist bei Paketabgabe beim Nachbarn

Die Zustellung ist ein kritischer Punkt im E-Commerce: Einerseits wünschen sich die Kunden ihre bestellten Artikel so schnell wie nur möglich – andererseits ist Luzi-Normalverbraucherin zu typischen Paketzustellzeiten meist gar nicht zu Hause. Gottseidank nimmt Opa Semiros nebenan das Paket gern an: Toll, freut sich Luzi, einen Tag und einen Weg gespart. Toll, freut sich der Händler, Zustellung geklappt und Kundin zufrieden.

Aber was ist, wenn Luzi von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen will, die Ware aber erst einige Tage nach der Zustellung von Opa Semiros bekommen oder von ihm abgeholt hat? Wann beginnt denn die Widerrufsfrist in solchen Fällen? Das hatte das Amtsgerichts Winsen zu entscheiden und entschied: Die Widerrufsfrist beginnt NICHT bei der Ablieferung der Sendung beim Nachbarn, sondern erst dann, wenn der tatsächliche Adressat das Paket erhält!

Im verhandelten Fall war donnerstags eine Sendung bei der Nachbarin abgeliefert worden, diese gab sie dann jedoch erst am Donnerstag der Folgewoche an die Adressatin weiter – also mit einer Verzögerung von sieben Tagen.

Das Gericht begründet die Entscheidung damit, dass, solange die Ware beim freundlichen Nachbarn liegt, die Kundin ja gerade nicht in der Lage sei, die im Widerrufsrecht vorgesehene Prüfung der Ware vorzunehmen und diese Prüfung auch nicht vom aushelfenden Nachbarn vorgenommen werden könne:

Das gilt sowohl die Fälle, in denen der freundliche hilfsbereite Nachbar von nebenan ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Empfänger von sich aus zur Entgegennahme von Sendungen bereit ist, als auch dann, wenn jemand „einen freundlichen hilfsbereiten Nachbarn“ hat, der sich bereit gefunden hat, Sendungen für den Empfänger entgegenzunehmen. Dieser Nachbar will sowohl zur Entlastung des Lieferunternehmens auftreten, damit dieses nicht erneut erscheinen muss, als auch als Service für den Empfänger, dass jener die Sache bald entgegennehmen kann und nicht erst, wenn das Lieferunternehmen wieder erscheint oder wenn der Empfänger Zeit hat, zur Abholung  zur Postagentur zu fahren.  Ein solcher Nachbar befindet sich nicht im Lager des Empfängers und will und soll nicht als Bevollmächtigter des Empfängers auftreten, mit der Konsequenz, dass dieser je nach Sendung zum Beispiel rechtliche Schritte einleiten müsste. Ein solcher freundlicher hilfsbereiter Nachbar soll zum Beispiel nicht Briefe mit fristgebundenem Inhalt öffnen, um zeitgerecht zu reagieren. Auch soll er nicht das Erforderliche unternehmen, um die zugesandte Ware rechtzeitig auf Gefallen, Passen oder Mängeln zu prüfen, um dann im negativen Fall dafür Sorge zu tragen, dass rechtzeitig Widerspruch erhoben oder sonst das Erforderliche veranlasst wird. Folglich wird durch eine Abgabe einer Sendung „beim freundlichen Nachbarn“ der Empfänger gerade nicht in die Lage versetzt, ab dem Zeitpunkt der dortigen Abgabe in eine Prüfung der Ware einzutreten.

Das Gericht, das ausdrücklich großes Verständnis für die Situation von Händlern im Fernabsatz äußerte*, stellt darauf ab, dass es der Empfängerin einer Sendung nicht möglich ist, wirksam die Abgabe von Sendungen an „freundliche Nachbarn“ zu verhindern, während dies der Auftraggeber dem Logistikdienstleister sehr wohl untersagen kann.

Entsprechend sieht die Situation anders aus, wenn ein Empfänger ausdrücklich die Transportunternehmen autorisiert hat, Sendungen an bestimmte Personen abzugeben. Solche Vereinbarungen bietet beispielsweise die DHL an, die hierfür spezielle Vordrucke hat („Dürfen wir Ihnen einen Weg abnehmen“). In diesen Fällen ist die Person, die die Lieferungen annimmt, ausdrücklich sehr wohl als Bevollmächtigter bestimmt und die Widerrufsfrist startet dann direkt bei Auslieferung an die bestimmte Person.

Diese Rechtsprechung – so nachvollziehbar sie aus Kundensicht ist – birgt für Händler einiges an Konsequenzen. Eine Konsequenz könnte sein, Kunden mit einem Hinweis anzumailen, wenn man die Nachricht erhält, dass an einen Nachbarn ausgeliefert wurde: Falls der Nachbar selbst die Übergabe vergisst, kann der so informierte Kunden sich selbst um das Einholen der Sendung kümmern. Dennoch bleibt eine gewisse Unsicherheit, wann die Widerufsfrist tatsächlich anfängt zu laufen.

Händlern, die ganz sicher gehen wollen, bleibt allerdings nur, ihren Logistikunternehmen ausdrücklich die Abgabe der Sendungen bei nicht autorisierten Nachbarn explizit zu verbieten – auch auf die Gefahr hin, dass die Kunden sich dann andere Shops suchen, von denen sie die Ware „schneller“, weil über einen freundlichen Nachbarn, erhalten.

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

*Das Gericht hat auch Verständnis dafür, dass die Beklagte im Fernabsatzgeschäft so manche Unerfreulichkeiten erlebt. Der Unterzeichner hält über Regelungen des Fernabsatzgesetzes immer mal wieder Vorträge und bringt Beispiele, die nach traditionellem kaufmännischem Denken als Überforderung des Kaufmanns eingestuft werden könnten. Es ist jedoch eine Tatsache, dass der europäische Richtliniengeber in etlichen Bereichen den Kunden enorme Rechte eingeräumt hat. Die deutsche Rechtsprechung hat dieses im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung umzusetzen und natürlich zu respektieren.
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