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LG Berlin erkennt auf rechtsmissbräuchliche Abmahnung

Das LG Berlin war bisher oft eine sichere Bank für Abmahnanwälte. Dies scheint sich zu ändern, wie ein interessantes aktuelles Urteil nahelegt. Danach hat die Kammer für Handelssachen unter dem Vorsitzenden Richter Markfort eine Abmahnung wegen Rechtsmissbräuchlichkeit kostenpflichtig zurückgewiesen. Besonders interessant dabei: Die Zurückweisung erfolgte ohne Berücksichtigung eines möglichen Vorliegens tatsächlich abmahnfähiger Gründe. Aus dem Urteil (LG Berlin, 96 O 60/09 vom 30.04.2009):

"Ein Missbrauch im Sinne von §8 IV UWG liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Ein Fehlen oder vollständiges Zrücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Ziele ist nicht erforderlich (Hefermehl/Kähler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., 2009, §8, Rn.-4.10 m.w.N.)."

Die Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage leitete das Gericht aus dem Umstand ab, dass der Kläger seinem Rechtsanwalt (dank Honorarvereinbarung) deutlich weniger zahlte, als er in der Abmahnung auswies. Dies ist eine übliche Praxis unter Abmahnern: Sie handeln mit ihren Rechtsanwälten günstige Honorarvereinbarungen aus, formulieren in ihren Abmahnungen aber Aufwendungsersatzansprüche nach Gebührenordnung. Unter dem Strich bleibt somit ein Gewinn, den der Abmahner einstreicht oder mit dem Anwalt teilt. Im vorliegenden Fall war zur Verschleierung sogar keine genaue Summe in der Abmahnung genannt worden und auch die Gebührennote wurde nicht zu den Gerichtsakten eingereicht. Doch es wurde in der Abmahnung offenbar darauf hingewiesen, dass nach Gebührenordnung berechnet werde und dass in vergleichbaren Fällen eine Wertfestsetzung von 30.000,- Euro erfolgt sei.

Die tatsächliche Kostennote enthielt dann zwar "nur" Gebühren auf der Basis eines Streitwertes von 10.000,- Euro (= 651,80 Euro), lag damit aber dennoch über dem tatsächlich mit dem Anwalt vereinbarten Honorar.

Der Diktion des Urteils nach ist dem Vorsitzenden Richter geradezu die Hutschnur hochgegangen, er ließ den Antragssteller eine eidesstattliche Versicherung über die ihm tatsächlich entstehenden Anwaltskosten abgeben und schmetterte daraufhin das Verfahren als "rechtsmissbräuchlich" ab:

Der Antragssteller, der gemäß §12 I 2 UWG nur Ersatz der ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen verlangen kann, macht damit Ansprüche geltend, die xyz Euro deutlich übersteigen, obwohl ihm Aufwendungen nach den Gebührenvorschriften des RVG für diese Abmahntätigkeit nach dem eigenen Vorbringen nicht entstehen. Ein Gewinnerzielungsinteresse entweder des Antragsstellers selbst oder seines Rechtsanwaltes liegt damit auf der Hand."

Ohne Belang fand es das Gericht, ob der Antragssteller das "Gebahren seines Rechtsanwaltes" bekannt war oder nicht. Ebenfalls unerheblich sei es, dass ein Aufwendungsersatzanspruch gar nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war:

"Ausreichend ist, dass die Verfolgung des Anspruchs in der Gesamtschau darauf gerichtet ist, der Höhe nach nicht entstandene Aufwendungen geltend zu machen. Dass dies der Fall ist, zeigt die Abmahnung vom 13. März 2009."

Dies sei "in einer Weise, die kaum deutlicher sein könnte" ein "Indiz für eine Missbräuchlichkeit des Vorgehens", hielt der Richter dem Antragssteller vor.

Fazit: Abmahnungen, bei denen via Honorarvereinbarung und Gebührenberechnung nach RVG ein Gewinn erzielt werden soll, können allein aus diesem Grund bereits rechtsmissbräuchlich erscheinen. Eine erfrischend pragmatische und lebensnahe Interpretation der bei Abmahnungen oft typischen Grundkonstellation zwischen Abmahner und Abmahnanwalt!

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

Danksagung: Wir danken für die freundliche Übersendung des Urteils! Interessant wäre es, zu erfahren, wie weit sich der laut Honorarvereinbarung zu zahlende Betrag von der nach RVG berechneten Summe unterschied: Bei einer nur geringen Abweichung hätte das Gericht vermutlich nicht so empfindlich reagiert. Mithin stellt diese Differenz vermutlich die Basis der Abweisung dar…

Nachtrag: Auf unseren Artikel hin hat auch das Shopbetreiber-Blog diesem Urteil einen ausführlichen Artikel gewidmet. Der gesamte Text des Urteils (allerdings ohne den interessierenden Betrag nach Honorarverordnung) ist nun hier lesbar.

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