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Facebook-Digest KW 18: Über den IDO und die Moral

Facebook: Daumen hoch

Willkommen zum Facebook-Digest der KW 18. Heute gibt es nur ein Thema: Den Streit um die Abmahnungen des IDO und die Bundestags-Petition einer Dawanda-Verkäuferin. Die Debatte findet statt unter dem Posting von Mark Steiers Artikel über die (ehemalige) DaWanda-Händlerin Vera Dietrich, die besagte Petition gestartet hat. Und diese Debatte ist meiner Meinung nach bemerkenswert.

Das Thema dieser Bundestags-Petition war in den diversen Gruppen schon früher einmal Diskussionsstoff. Dabei ging die Meinung vieler oft in die Richtung, dass die Petition an sich nicht unterstützenswert sei. Dies vor allem darum, weil das Werkzeug der Abmahnung als im Grunde durchaus wertvoll und sinnvolles Werkzeug angesehen wird.

Abmahnung als Werkzeug sinnvoll

Denn immer wieder gibt es Wettbewerber, die sich ihre Arbeit allzu einfach machen wollen, ihre Pflichten als Unternehmer vernachlässigen oder ganz ignorieren oder die gar die aufwendige Arbeit anderer ausnutzen, indem sie deren Bilder oder Texte „klauen“.

Solche unerlaubte Verwendung von Bildern oder Texten ist unbestritten ein ungeheurer Wettbewerbsvorteil. Und auch wenn beispielsweise neue gesetzliche Vorgaben einfach völlig ignoriert werden, hat ein solcher Händler einen Vorteil gegenüber seinen pflichtbewussten Wettbewerbern, die sich Stunden oder gar Nächte um die Ohren hauen, um ihren Pflichten nachzukommen. Darüber hinausbergen viele Verstöße auch das Potential, Kunden zu verwirren oder in ihren Rechten zu beschneiden. Mithin haben solche „Lässigkeiten“ neben den wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen für Mittbewerber oft auch Auswirkungen im Sinne des Verbraucherschutzes, also direkt auf Kunden.

In all diesen Fällen taugt das Werkzeug der Abmahnung (zumindest bei  „greifbaren“ Gegnern), um seine eigenen Rechte als Urheber oder Wettbewerber durchsetzen zu können bzw. um die Verbraucherrechte zu schützen. [Übrigens: Sollten Sie in der Situation sein, sich mittels einer Abmahnung wehren zu müssen, lassen Sie sich unser Experten-Webinar „So mahne ich als Händler erfolgreich ab (wenn es gerechtfertigt ist)“ am kommenden Donnerstag nicht entgehen. Mit Mark Steier!]

Abmahnungen als Selbstzweck

Doch neben den genannten Vergehen gibt es auch die kleinen „menschlichen Versehen“. Wer 200 selbstgestaltete Artikel einzeln beschreibt und einstellt, das Ganze ganz sorgfältig und liebevoll macht, dem unterlaufen evtl. dennoch bei einem oder zwei Artikeln Fehler. Nicht, weil ihm Gesetze und Pflichten egal sind, schon gar nicht, weil man sich einen Vorteil verspricht — einfach nur, weil man ein Mensch ist. So wie es dem bravsten Autofahrer schon einmal passiert ist, dass er eine durchgehende Linie überfahren hat. Oder am Stopschild nicht wirklich angehalten hat. Ersteres passiert besonders Fahranfängern schon mal, weil sie noch damit Probleme haben, sich auf alles gleichzeitig zu konzentrieren beim Fahren. Letzteres passiert selbst gerade alten Fahr-Hasen gern.

Und dann gibt es Leute, die das Werkzeug der Abmahnung nutzen, nicht um jemanden, der sich auf ihre Kosten einen Vorsprung verschafft, in die Grenzen zu weisen, sondern um die Abmahnung als Werkzeug zur Marktbereinigung zu nutzen. Also um sich selbst mittels der Abmahnung einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Solche Leute lauern ihrem „Markt-Gegnern“ auf, bis sie ihn — um im Bild zu bleiben — beim Touschieren der durchgezogenen Linie oder beim nicht vollständigen Anhalten am Stopschild erwischen. Noch einmal: Dabei geht es nicht um echte Vorteile durch absichtliches oder auch nur fahrlässiges Fehl-Handeln. Sondern um die eine kleine Nachlässigkeit, der eine kleine menschliche Fehler, beispielsweise bei einem oder zwei Produkten von 200.

So tat es offensichtlich auch der IDO. Und dann nutzt er für diese Fehler das Werkzeug der Abmahnung.

Der Fall des Anstoßes

Im Fall, der die ganze Geschichte ins Rollen brachte war „die Täterin“ eine Mutter, die angefangen hatte, sich mit selbstgemachten Schals ein Geschäft aufzubauen. Diese Schals verkaufte sie bei DaWanda und Etsy.

Bei DaWanda und Etsy verkaufen mittlerweile auch viele Händler*innen, die „normale Handelsware“ rund um den Kreativ- und DIY-Bereich vertreiben. Das läuft dort gut, denn die Kunden, die sich auf diesen Plattformen tummeln, sind Kunst(handwerk)liebhaberinnen und Bastelfeen. Und die fühlen sich inspiriert, auch selbst tätig zu werden, weil das Herz dieser Plattformen eben gerade nicht Handelsware ist, sondern ganz individuelle Produkte. Artikel, die sich kaum mit anderen Artikeln messen lassen, weil sie so einzeln und handgefertigt sind. Oft sind es Mütter, die nach den Kindern in der „Kinderfalle“ steckten und keinen zum Familienleben passenden Job mehr fanden, die diese Plattformen nutzen, um sich ein neues Standbein aufzubauen. Die beginnen, nachts zu schneidern — Einzelstücke, die sie dann über DaWanda und Etsy verkaufen. Manche schaffen es so, sich ein eigenes kleines Label aufzubauen mit selbstdesignter Kleidung oder Accessoires.

Diese zauberhaften Produkte machen wie gesagt das Herz der Plattformen aus. Sie sind es, die die Kund*innen anziehen und auch inspirieren und die somit auch den Vertrieb von Handelswaren wie Stoffen, Perlen, Bastelmaterial, Papeterie etc. antreiben. Solche Handelswaren können oft sogar zu vergleichsweise hohen Preisen auf Etsy & DaWanda vertrieben werden. Warum? Weil die Plattform durch den persönlichen und individuellen Charakter der handgefertigten Produkte und die „freundinnenhafte“ Kommunikation emotional so aufgewertet sind, dass Kundinnen auch austauschbare Handelsware lieber höherpreisig dort kaufen, als billig woanders.

Manche der Händler*innen auf den Plattformen sind allerdings allzu naiv, auch sie fühlen sich in einer Art „Freundinnen-Atmosphäre“ und glauben, sich nicht umfassend über die Regeln im Onlinehandel informieren zu müssen.

Die Händlerin mit ihren selbstkreierten Schals war allerdings von der gewissenhaften Sorte. Sie ist promovierte Volkswirtin, sie hatte sich umfassend informiert, sie hatte sich anständige Rechtstexte besorgt und ihren DaWanda-Shop akribisch aufgesetzt. Sie hielt sich auch die Textilkennzeichnungs-Vorgaben. Und doch passierte es ihr, dass sie bei einem Artikel die vorgeschriebene Angabe der Materialien vergaß. Wohlgemerkt: Es war NICHT so, dass sie sich etwa um die Vorgaben und Regeln nicht scherte oder generell ihren „Job als Untenehmerin“ schlecht machte, sondern 199 Artikel waren sorgfältig regelkonform bis ins letzte Detail angelegt. Es war ein schlicht Fehler in einem Artikel.

Im betreffenden Facebook-Thread schreibt eine professionelle Händlerin, dass sie schon zwei Studenten an den Artikeln hatte, die beide intensiv geschult worden waren von ihr. Und dennoch waren zwei Artikelbeschreibungen von 1000 fehlerhaft. Nicht, weil es den Leuten egal war, sondern einfach weil es menschlich ist, dass Fehler passieren. Wer seit mehr als 4 Wochen Auto fährt und NOCH NIE eine durchgezogene Linie touschiert hat oder die Haltelinie am Stopschild verpasst hat, der möge sich bitte melden. Alle anderen sollten sich gut überlegen, ob sie den Stein in der Hand nicht besser wieder hinlegen.

Ziel der Abmahnung?

Der IDO hat sich auf die Fahne geschrieben, gegen Wettbewerbsverzerrungen und Kundenübervorteilung ins Feld zu ziehen. Soweit so löblich.

Aber im besagten Fall halten wir fest: Das Vergehen der abgemahnten Händlerin war KEIN Vergehen, dem ein generell laxer Umgang mit oder gar Ignoranz gegenüber den rechtlichen Regeln im Onlinehandel zugrunde liegt. Es stellt auch keinen ungerechten Wettbewerbsvorteil dar. Denn es ist kaum denkbar, dass Kunden gerade wegen der fehlenden Angabe eher kaufen — im Gegenteil, Kunden würden bei Interesse an der fehlenden Information nachfragen müssen und dieser Mehraufwand dürfte als Kaufhindernis wirken. Der Fehler stellt auch keine Kundentäuschung dar, denn es wurde keine Höherwertigkeit vorgegaukelt o.ä., die Angabe fehlte einfach komplett. Das könnte ärgerlich sein für Allergiker, allerdings sind Allergiker im Allgemeinen darauf trainiert, Materialangaben zu lesen. Fehlerhafte Angaben könnten da schlimme Folgen haben, komplett fehlende Angaben aber würden vermutlich nur zum Nicht-Kauf oder eben einer Nachfrage führen.

Was also könnte das Ziel einer Abmahnung eines solchen nicht-systematischen, nicht wettbewerbsverzerrenden und auch nicht kundentäuschenden Vergehens sein? Im Falle der Abmahnung eines direkten Wettbewerbers würde man denken, es geht darum, dem Händler ein Bein zu stellen, mithin um die Erlangung eines eigenen Wettbewerbsvorteiles.*

„Der IDO & Co. säubert doch nur von genau diesen Leuten. Die denken der Handel sei mal eben Geld zu verdienen und das sind doch zum großen Teil die Leute, die alles kaputt machen. Verkaufen Ware unter Wert, drücken alle im Preis – Was auch immer.“ meint ein Kommentator denn auch. Allerdings bei solchen individuell handgefertigten Schals ist auch dieses Motiv ausgesprochen fraglich. Solche Einzelstücke werden meist nur dann zu billig angeboten, wenn die Angebote von Händlern aus China stammen. Artikel wie die Schals der ehemaligen Händlerin (angesichts der horrenden Vertragsstrafen in der Unterlassungserklärung, zu deren Unterzeichnung sie gezwungen wird, hat sie die Segel gestrichen) Vera Dietrich vom Markt zu drängen, wird nicht dazu führen, dass Kunden wo anders teurere Schals kaufen, vermutlich nicht einmal dazu, dass die Kunden überhaupt andere Schals kaufen. Und Handelsware schon mal gar nicht.

Was bleibt also als Ziel dieser Abmahnung? Das ist die große Frage und dieser Fall legt den Verdacht nahe, dass es dem IDO eventuell doch nicht (nur) um Wettbewerbs- und Verbraucherschutz geht. So sah es zumindest auch DaWanda und klagte gegen den IDO, allerdings ohne Erfolg. Auch in den Diskussionen finden viele, dass solche Abmahnungen „zum Himmel stinken“ und ein Regulativ her sollte, so etwas zu verunmöglichen.

Die Petition

Dies ist das Ziel der von Vera Dietrich initiierten Petition. Und auch der Händlerbund ist davon überzeugt, dass das „Werkzeug Abmahnung“ dringend verbessert werden sollte und unterstützt daher die Petition, ebenso wie wohl zumindest einige IHKn.

Vieles im Argen auf den Plattformen

Der Fairness halber muss man sagen: Es gibt viele, viele Händler*innen auf den beiden Plattformen, die schlicht nicht professionell arbeiten. Wie gesagt, naiv oder nicht in der Lage, die Regeln umfassend zu verstehen und mit ihren drei selbstgekochten Marmeladen auch finanziell nicht so ausgestattet, sich ausreichende Beratung leisten zu wollen oder zu können.

Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen, Hinweise auf „versicherten Versand“ etc. — es gibt massenhaft „alte Bekannte“ unter den Verfehlungen, die erstens wirklich leicht vermeidbar wären und zweitens tatsächlich Kunden täuschen oder in ihren Rechten beschneiden**. Und der IDO hat bei seiner großangelegten Abmahnaktion schwerpunktmäßig (auch) solche Vergehen abgemahnt.

„Sowas wie Telefonnummer im Widerrufsformular abmahnen, finde ich auch übertrieben, aber im Endeffekt muss da mal jemand aufräumen. Viele Verkäufer dort (nicht alle, längst nicht alle, viele geben sich verdammt viel Mühe) treten die Regeln mit Füßen, das geht auch nicht so weiter. Der sinnvollste Anfang bei DaWanda wäre verpflichtendes Impressum und Steuernummer, das würde schon viele abschrecken“, findet eine Händlerin in diesem Thread trotz ihrer Anerkennung für die Leistung vieler Händler*innen dort.

Ein anderer Händler formuliert es allerdings deutlich schärfer, „Dank des IDO gibt’s von solchen Pfeifen halt weniger, ist doch gut so“ und fasst damit die Auffassung der Unterstützer des IDO-Vorgehens ganz gut zusammen.

Was denken Sie?

Und nun kommen Sie: Was denken Sie von der Sache: Der Abmahnung von Vera Dieter durch den IDO, DaWandas (vergebliches) Aufbegehren , die Petition? Und wie denken Sie über das „Werkzeug Abmahnung“? Haben Sie beispielsweiese angesichts der DSGVO besondere Befürchtungen betreffend Abmahnungen? Oder sind Sie im Gegenteil heilfroh, sich mit gerechtfertigten Abmahnungen gegen unlauter handelnde Mitbewerber wehren zu können [Schon angemeldet für unser „15 minutes“-Webinar am Donnerstag?!]? Ich bin gespannt!

 

Herzlich aus Hürth
Nicola Straub

* Und ich bin ehrlich: Solcherart motivierte Abmahnungen finde ich mies. Einen Wettbewerber, der im Grunde vollständig regelgerecht handelt, so zu belauern, dass einzelne blöde Fehler („weil vielleicht die Ebay Seite weggesprungen ist, oder wieder mal technische Fehler waren…“) aufgefunden werden können, um diese dann als Hebel für eine Abmahnung zu nutzen, spricht für mich von wenig eigener Kompetenz. Diese Energie sollte man doch lieber in die eigene Arbeit stecken!

**Trotzdem möchte ich zu bedenken geben: Wäre der Onlinehandel tatsächlich reicher, wenn die „Pfeifen“ — die handgekochten Marmeladen und selbstgefilzten Handstulpen — alle vom Markt geputzt würden? Ich behaupte: Der Onlinehandel würde ärmer, es würde ihm sogar geschadet! Weil gerade solche „Gemmen unter den Einkäufen“ die Stimmung von Kunden heben. Solche Produkte zu shoppen ist tatsächlich solch ein positives und einmaliges Erlebnis, wie es immer wieder angestrebt wird im Onlinehandel. Und dieses Kauferlebnis fördert generell den Kaufwillen der entsprechend affinen Kundschaft.

Bild: Mizter x94 via Pixabay

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