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Curated Shopping als Geschäftsmodell: Funktioniert das Geschäft mit der Beratung?

Letzte Woche rauschte eine Meldung über Nordstrom durch den US-amerikanischen und europäischen Branchen-Blätterwald, die für einiges Aufsehen sorgte: Die US-amerikanische Kaufhaus-Kette, sonst weder für ein Übermaß an Innovation noch für eine besonders einfallsreiche E-Commerce-Strategie bekannt, plant eine Revolution am PoS: das Kaufhaus ohne Waren. Da war vom Einkaufen der Zukunft die Rede, von Beratung statt Wühltisch, von einem gepflegten Einkaufserlebnis und der Rettung des stationären Kanals.

Zu den Fakten: Am 3. Oktober eröffnet Nordstrom in West Hollywood mit dem „Nordstrom Local“ eine experimentelle Boutique, laut Wall Street Journal „eine Kreuzung aus Bar, Beauty-Salon und Personal-Shopping-Erlebnis“. Auf rund 280 Quadratmetern Fläche wird kein einziges Kleidungsstück präsentiert; stattdessen warten diensteifrige Mitarbeiter a.k.a. Stylisten auf ihren Einsatz. Mit Hilfe einer App stellen sie für jeden Kunden ein individuelles Outfit zusammen, dass dann stante pede aus den umliegenden Nordstrom-Filialen zur Anprobe angeliefert wird. Die Wartezeit können die Kunden an der zum Geschäft gehörenden Bar verbringen.

Nordstrom denkt mit dem Vorstoß ein Thema auf stationärer Ebene konsequent zu Ende, dass im Online-Retail-Bereich seit etwa 3 Jahren die Gemüter bewegt: das beratungsgestützte Einkaufen, kurz: Curated Shopping. Das verwundert nicht, schließlich hat Nordstrom schon 2014 mit Trunk Club den US-amerikanischen Vorreiter dieser Idee für geschätzte 350 Millionen Euro gekauft. „Nordstrom Local“ scheint nun die Konsequenz aus dieser spektakulären Übernahme zu sein.

Modomoto und Outfittery: Langer Atem in einem spitzen Markt

In Deutschland führten die Startups Modomoto und Outfittery die Idee, die Produkterstauswahl beim Modekauf einem Shopping-erfahrenen Stilberater zu überlassen, erstmals 2012 ein. Beide Unternehmen statten einkaufsmüde Männer stilsicher aus und konnten sich mit ihrem Geschäftsmodell über die Jahre am Markt etablieren, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Methoden. Modomoto agierte eher bodenständig und nahm über die Jahre Fremdkapital im niedrigen einstelligen Millionenbereich auf. Die meisten Investoren kamen über eine Fusion mit dem Konkurrenten The Cloakroom ins Unternehmen. Insgesamt häufte Modomoto in 6 Jahren weniger als 3 Millionen Euro Verlust an. Umsatzzahlen veröffentlicht das Unternehmen nicht, es ist von „signifikant zweistelligen Millionenbeträgen“ die Rede. 2017 soll die Profitiabilität erreicht werden. Konkurrent Outfittery dagegen agiert eher nach Silicon Valley-Manier: In mehreren Finanzierungsrunden sammelte das Start-up über 50 Millionen US-Dollar ein, verbrannte bei der aggressiven Expansion aber auch über 32 Millionen Euro an Verlusten. 2015 (das sind die neuesten Zahlen, die Outfittery ausgibt) steigerte das Unternehmen den Umsatz um 93 Prozent auf 36 Millionen Euro und schrieb beinahe halb soviel Verluste. Von Profitabilität ist keine Rede.

Dieser Blick auf die Zahlen der beiden Platzhirsche im Curated Shopping-Bereich – andere Anbieter wie Kisura oder Kindhoch3 veröffentlichen keine brauchbaren Zahlen – zeigt schon, dass das Geschäft mit der Beratung kein leichtes ist: Wer hier erfolgreich sein will, braucht einen langen Atem. Der allerdings fehlte vielen Marktteilnehmern, die das Konzept Curated Shopping für das eigene Unternehmen mal ausprobieren wollten, wie die „Internet World Business“ im Frühling in einer Analyse zusammenfasste: Peek & Cloppenburg, Wöhrl, Mey & Edlich, Navabi oder das Start-up Mybook haben sich allesamt am Geschäftskonzept Beratung versucht – und die Versuche schnell wieder eingestellt oder auf Eis gelegt. Die Gründe waren vielfältig: Mybook ging das Geld aus, Peek & Cloppenburg verzeichnete geringes Kundeninteresse, Wöhrl hatte durch die Insolvenz andere Sorgen und verschickt keine Pakete mehr, sondern berät nur noch in den Filialen. Und Navabi und Mey & Edlich hatten mit dem hohen Aufwand rund um ihr hauseigenes Beratungsangebot zu kämpfen.

Das Problem: Faktor Mensch vs. Skalierbarkeit

Denn Curated Shopping ist trotz vieler Tools und technischer Hilfen immer noch ein Mensch-zu-Mensch-Geschäft. „Die Entscheidung, was final in die Box kommt, trifft immer der Mensch“, betonte auch Outfittery-Gründerin Anna Alex gegenüber der „Internet World Business“. Deshalb sind die nötigen Ressourcen an Manpower ein echter Kostenfaktor: Outfittery beispielsweise beschäftigt 150 Berater – und nur 30 IT-Mitarbeiter. Auch bei Modomoto ­gehört das Gros der 250 Mitarbeiter dem Berater-Team an. Zalon, der 2015 gegründete Curated Shopping-Ableger von Zalando, beschäftigt sogar 350 Stylistinnen.

Wie gut Zalon in Zahlen funktioniert, verraten die Berliner bisher nicht. „Um bei einem Unternehmen von Zalandos Größe etwas zu bewegen, muss das neue Projekt schon einen gewissen Anklang finden. Die Erwartungen waren hoch – aber wir haben sie mit Zalon bisher voll erfüllt“, so aber Zalon-­Geschäftsführer Ivo Scherkamp gegenüber brand 1. Dass sich Zalando von seinem Service einiges verspricht, zeigen auch andere Meldungen: So ist Zalon mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden und in Belgien im Einsatz. Und im August eröffnete in Wien ein Popup-Store mit Beratungsangebot unter dem Label „Zalon“.

Alles Anzeichen dafür, dass die deutsche Nummer 3 der größten Online-Händler Curated Shopping durchaus ernst nimmt – und aus gutem Grund, wie Scherkamp betont: Zalon-Bestellungen erzielen nämlich im Durschnitt „deutlich höhere Warenkörbe“ als Zalando-Bestellungen (zum Vergleich: eine durchschnitt­liche Zalando-Bestellung liegt nach Retouren bei 66,20 Euro). Outfittery wiederum berichtet von Warenkörben im Wert von durchschnittlich 200 Euro – also etwa dreimal so viel wie im normalen Online-Modehandel.

Fazit: Nur für die Großen lohnenswert?

Eine Bilanz von Curated Shopping-Services bleibt zwiegespalten: Da locken auf der einen Seite also hohe Warenkörbe und gute Kundenbindungsmöglichkeiten durch die persönliche Beratung – aber auf der anderen Seite stehen die hohen Kosten eben durch die persönliche Beratung durch menschliche Stylisten und die schwierigen Skalierungsmöglichkeiten durch fehlende bzw. unmögliche Automatisierung. Dazu kommt eine eher spitze Zielgruppe: Laut einer IFH-Studie haben 4 Prozent aller Onlineshopper schon einmal Curated-Shopping-Dienste getestet, 25 Prozent können es sich vorstellen, diese einmal auszuprobieren. Die so genannten Smart Natives – also online-affinen Nutzer unter 25 – sind interessierter: In dieser Zielgruppe haben bereits 10 Prozent Curated Shopping ausprobiert, und 38 Prozent können sich vorstellen, es zu testen. Das ist aber immer noch kein riesiger Markt. Es gibt eben eine überwiegende Mehrheit an Konsumenten – vor allem Frauen – die eigentlich ganz gerne selbst shoppen.

Auch das Sortiment ist entscheidend: Curated Shopping-Anbieter müssen einerseits eine große Auswahl an Kleidungsstücken in verschiedenen Stilrichtungen in allen möglichen Größen vorhalten – setzen aber von jedem Stück nur wenige Exemplare ab. Durchaus ein (Lager-)Problem, wenn hinter dem Angebot kein „normaler“ Händler steht, der Ladenhüter auch mal über einen Schlussverkauf oder über andere Verkaufskanäle an den Mann bringen kann.

Was bleibt also vom Curated Shopping-Hype? Ein eher kleiner, schwieriger Markt, der einen langen Atem, aufwändiges Marketing und hohe Personalkosten fordert und nur wenige Skalierungsmöglichkeiten bietet – und an dem sich auch schon große Player die Finger verbrannt haben. Man darf gespannt sein, wie die „Nordstrom Local“ Boutique in Hollywood läuft –  und wie andererseits vielversprechende Ansätze wie Zalon das eigentlich spannende und sehr kundenfreundliche Konzept weiterentwickeln werden.

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